Mittwoch, 2. September 2015

Treffpunkt Leninkopf

Seit ich meinen Couchsurfing-Account von Potsdam auf Ulan-Ude umgestellt habe, bekomme ich regelmäßig Anfragen von Reisenden, die hier Station machen. Bärtige Moskauer Tramper, Transsibirische-Eisenbahn-verrückte Slowenier oder eurasiendurchquerende Japanerinnen melden sich und fragen, ob sie ein paar Mal übernachten können oder ich ihnen wenigstens die Stadt zeigen kann, getreu dem Couchsurfing-Prinzip „Lieber bei Einheimischen unterkommen als in Hostels“ – aus der Perspektive Russland-unerfahrener Durchreisender gehöre ich wohl fast schon zu den ‚locals‘. Ulan-Ude ist keineswegs das Ende der Welt, sondern ein Verkehrsknotenpunkt: wer von der Mongolei nach Norden oder nach Europa fährt, landet hier, und Transsib-Touristen legen gern einen Aufenthalt ein, bevor sie entweder weiterfahren oder einen Abstecher an den Baikalsee machen.
Wenn jemand die Stadt gar nicht kennt und weder weiß, wo der Panzer, noch, wo das Theater ist, dann ist es am besten, sich am pamjatnik Leninu, dem Lenindenkmal in Gestalt eines gigantomanischen Kopfes, zu verabreden. Das Denkmal steht auf dem zentralen Sowjet-Platz, ist mit Sockel 13,50m hoch (davon entfallen 5m auf den Kopf) und wurde 1970 anlässlich des 100jährigen Geburtstages von Lenin aufgestellt.
Meine erste Couchsurfing-Gäste waren Sezgin und Ebru, ein junges türkisches Ehepaar, die mit Isomatten und Schlafsäcken ankamen (ein Gästebett oder –sofa habe ich nicht), mich in meiner eigenen Wohnung wunderbar vegetarisch bekochten und voller Begeisterung meinen sowjetischen Machorka-Tabak proberauchten. Für mich war es ein Erlebnis, dass es auch ganz andere Türken gibt als türkendeutsch sprechende Dönerverkäufer in Deutschland.
Gestern gab ich meinen ersten Unterricht an der Uni. Die erste Gruppe – Bachelor-Studenten im 4. Studienjahr – studierte Deutsch nur als zweite Fremdsprache und hatte ein eher bescheidenes Niveau, die zweite Gruppe – Masterstudenten – war wesentlich besser. Die Unterrichtsbedingungen hier sind in Ordnung, natürlich kein Vergleich mit der Volkshochschule Potsdam: die Kreidetafeln sind nur mit viel Mühe beschreibbar und mit jedem Schritt quietschen meine Sohlen auf dem hochglanzpolierten Lackfußboden.
Im Erdgeschoss des Institutes gibt es ein großes deutsches Lehrmittelzentrum, ausgestattet mit Bergen an Fachliteratur, Lehrbüchern und Zeitschriften, darunter auch viele überraschend aktuelle Materialien – aber es scheint sich kaum jemand dafür zu interessieren. Die Bücher sind für Studenten unzugänglich hinter verschlossenen Schranktüren, und das Chaos lässt darauf schließen, dass seit 20 Jahren niemand mehr aufgeräumt oder aussortiert hat.

Noch Aufräumbedarf: Blick in einen Schrank des "Lehrmittelzentrums"
Das Lenindenkmal in Ulan-Ude, rechts hinten das Operntheater
Sezgin und Ebru, meine ersten Couchsurfing-Gäste hier