Seit ich meinen
Couchsurfing-Account von Potsdam auf Ulan-Ude umgestellt habe, bekomme ich
regelmäßig Anfragen von Reisenden, die hier Station machen. Bärtige Moskauer
Tramper, Transsibirische-Eisenbahn-verrückte Slowenier oder
eurasiendurchquerende Japanerinnen melden sich und fragen, ob sie ein paar Mal
übernachten können oder ich ihnen wenigstens die Stadt zeigen kann, getreu dem
Couchsurfing-Prinzip „Lieber bei Einheimischen unterkommen als in Hostels“ –
aus der Perspektive Russland-unerfahrener Durchreisender gehöre ich wohl fast
schon zu den ‚locals‘. Ulan-Ude ist keineswegs das Ende der Welt, sondern ein
Verkehrsknotenpunkt: wer von der Mongolei nach Norden oder nach Europa fährt,
landet hier, und Transsib-Touristen legen gern einen Aufenthalt ein, bevor sie
entweder weiterfahren oder einen Abstecher an den Baikalsee machen.
Wenn jemand die Stadt gar nicht
kennt und weder weiß, wo der Panzer, noch, wo das Theater ist, dann ist es am
besten, sich am pamjatnik Leninu, dem Lenindenkmal in Gestalt eines
gigantomanischen Kopfes, zu verabreden. Das Denkmal steht auf dem zentralen
Sowjet-Platz, ist mit Sockel 13,50m hoch (davon entfallen 5m auf den Kopf) und
wurde 1970 anlässlich des 100jährigen Geburtstages von Lenin aufgestellt.
Meine erste Couchsurfing-Gäste
waren Sezgin und Ebru, ein junges türkisches Ehepaar, die mit Isomatten und
Schlafsäcken ankamen (ein Gästebett oder –sofa habe ich nicht), mich in meiner
eigenen Wohnung wunderbar vegetarisch bekochten und voller Begeisterung meinen
sowjetischen Machorka-Tabak proberauchten. Für mich war es ein Erlebnis, dass
es auch ganz andere Türken gibt als türkendeutsch sprechende Dönerverkäufer in
Deutschland.
Gestern gab ich meinen ersten
Unterricht an der Uni. Die erste Gruppe – Bachelor-Studenten im 4. Studienjahr –
studierte Deutsch nur als zweite Fremdsprache und hatte ein eher bescheidenes
Niveau, die zweite Gruppe – Masterstudenten – war wesentlich besser. Die
Unterrichtsbedingungen hier sind in Ordnung, natürlich kein Vergleich mit der
Volkshochschule Potsdam: die Kreidetafeln sind nur mit viel Mühe beschreibbar
und mit jedem Schritt quietschen meine Sohlen auf dem hochglanzpolierten
Lackfußboden.
Im Erdgeschoss des Institutes
gibt es ein großes deutsches Lehrmittelzentrum, ausgestattet mit Bergen an
Fachliteratur, Lehrbüchern und Zeitschriften, darunter auch viele überraschend
aktuelle Materialien – aber es scheint sich kaum jemand dafür zu interessieren.
Die Bücher sind für Studenten unzugänglich hinter verschlossenen Schranktüren,
und das Chaos lässt darauf schließen, dass seit 20 Jahren niemand mehr
aufgeräumt oder aussortiert hat.
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Noch Aufräumbedarf: Blick in einen Schrank des "Lehrmittelzentrums" |
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Das Lenindenkmal in Ulan-Ude, rechts hinten das Operntheater |
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Sezgin und Ebru, meine ersten Couchsurfing-Gäste hier
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