Deutschland steht für Qualität.
Vor ein paar Tagen habe ich im Sputnik,
dem edelsten und teuersten Lebensmittelgeschäft im Zentrum der Stadt, eine
Packung Toffifee für eine Kollegin zum
Geburtstag gekauft. Auf der Vorderseite ist eine deutsche Fahne abgebildet:
Hergestellt in Deutschland. Auch original Rittersport-Schokolade gibt es, proisvjedenó v Germanii.
Mitunter werden Waren so benannt
und verpackt, dass sie deutsch aussehen, obwohl sie mit Deutschland nichts zu
tun haben. Ein paar Schritte weiter im Kühlregal stieß ich auf Tilsiter, „Der
traditionelle Käse“, „Wiederverschließbar“ steht auf einer Ecke der Verpackung,
und ein rundes Siegel verkündet „Das originelle Rezept“. Spätestens hier wurde
ich stutzig – wahrscheinlich soll es „Original-Rezept“ heißen, und ein Blick
auf den winzigen Aufkleber auf der Rückseite bestätigte meine Vermutung:
Hergestellt in Moskau. Aufgrund des Lebensmittelembargos darf es nämlich gar
keine westeuropäischen Käse hier geben – ein Umstand, unter dem ich etwas
leide, mir fehlen aromatische Schnittkäse, Appenzeller
und Old Amsterdamer, die russischen
Käse schmecken fast alle gleich und haben eine abenteuerliche Zutatenliste: Kondensmilch-Aroma,
Farbstoff, Konservierungsmittel. – Aus landeskundlichem Interesse kaufte ich
den Tisiter trotzdem, zusammen mit einem Blauschimmelkäse der Marke „Schönfeld“,
eindeutig ein deutscher Name, oder? Hergestellt in Argentinien, verpackt in
Moskau.
In russischen Schreibwarengeschäften
finden sich in Hülle und Fülle Produkte der Marke „Erich Krause“. Wenn man
genauer hinschaut, hat die „Erich Krause Deutschland GmbH“ tatsächlich eine
deutsche Adresse. Damit endet allerdings auch das Deutschtum: es ist eine
russische Firma, die in China produzieren lässt.
Gestern war ich eingeladen, an
der Technischen Universität zu einer Studentischen
Wissenschaftlich-Praktischen Konferenz zu kommen und mir dort als
Jurymitglied die Präsentationen von Studierenden über deutschlandbezogene
Themen („Das Umweltschutzverständnis in Deutschland“, „Das deutsche
Steuersystem“) anzuhören und sie zu bewerten. Für mich war es eine schreckliche
Veranstaltung, weil ich den Eindruck hatte, dass weder die vortragenden
Studenten, noch die zuhörenden Studenten, noch die Organisatorin eigentlich an
den Themen interessiert waren. In Windeseile wurden im Internet gefundene Texte
heruntergenudelt, das Publikum saß in geduldiger Langeweile seine Zeit ab, und
die Organisatorin verließ erst einmal den Raum, nachdem sie die Veranstaltung
eröffnet hatte. Niemand hat irgendwelche Fragen, keinerlei geistige
Auseinandersetzung fand mit den Inhalten statt. Und ich saß als Jurymitglied da
und sollte irgend etwas bewerten, weil danach, wie sollte es anders sein, Preise
und Urkunden zu vergeben waren. Eine völlig gespenstische, unwirkliche
Situation, und gleichzeitig so typisch russisch – natürlich sahen alle schick
aus, die Studentinnen traten selbstbewusst mit Absatzschuhen und Minirock
hinter das Rednerpult, und es gab ein gedrucktes Heft „soundsovielte
studentische wissenschaftlich-praktische Konferenz“ mit allen Themen und Namen
der Vortragenden, und wahrscheinlich sind auch noch irgendwo die echten
deutschen Jurymitglieder erwähnt. Eigentlich existierte diese Veranstaltung
nur, weil ihre jährliche Durchführung in irgendeinem Plan vorgeschrieben ist.
Von oben wird irgendeine Form
festgelegt, die von Seiten der ausführenden Menschen für das Häkchen im Bericht
durchgeführt, aber mit null Inhalt
ausgefüllt wird – das ist eine Seite Russlands, von der ich manchmal die Nase
voll habe.
Jährlich werden Scharen von
jungen Leuten durch das russische Uni-System geschleift, die eigentlich in
einer praktischen Berufsausbildung besser aufgehoben wären. Es gibt aber in
Russland kein richtiges Berufsausbildungssystem wie in Deutschland. Es gehört sich
mehr oder weniger einfach für jeden, einen Hochschulabschluss zu haben, auch
wenn man anschließend im Supermarkt an der Kasse arbeitet. Entsprechend hat „Universität“
und „Student“ hier auch nicht unbedingt etwas mit „geistiger Tätigkeit“ zu tun,
wie man es vermuten könnte, wenn man die Begriffe aus dem deutschen Kulturraum
kennt.
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Ulan-Ude hat kein eigenes
sinfonisches Orchester, und das klanglose, kratzige kleine Opernorchester mag
ich auch schon nicht mehr hören. Mitunter jedoch gastieren hochkarätige Musiker
im Gebäude der Philharmonie, oft aus Moskau oder St. Petersburg. Dem weniger an
anspruchsvolle Klassik gewöhnten Ulan-Ude’er Publikum muten sie dabei ganz
schön viel zu. Der junge Cellist Alexander Ramm konzertierte mit der technisch
und musikalisch komplizierten Prokofjew-Cellosonate, das berühmte
Glinka-Streichquartett war zu Gast mit einem herben, schwer verdaulichen
Brahms-Quartett, und der Bratscher Wladimir Tkatschenko spielte Hindemith,
Expressionismus aus dem 20. Jahrhundert. Zufällig traf ich Micha, einen
Kollegen vom Englisch-Lehrstuhl, mit seiner Familie, als sie in der Pause
gerade aus dem Saal flüchteten. „Das soll Musik sein? Schrecklich! Solche
Geräusche kann ich mir auch ausdenken!“ Ich – gut gelaunt von einem erfüllenden
Hörerlebnis, Micha – völlig fassungslos. Wahrscheinlich besser, dass ihr geht,
meinte ich zu ihm, nach der Pause wird es nicht anders. Auf dem Programm stand
die Bratschensonate von Schostakowitsch, das letzte Werk meines Lieblingskomponisten,
kurz vor seinem Tode 1975 entstanden, eine meditative, abstrakte, fast schon
garstige Musik, nichts für Ohren, die Erbauung in schönen Melodien suchen.
Echte (oben) und scheinbare (unten) Qualität aus Deutschland |