Mittwoch, 9. September 2015

Kamelhaar, Kaffee, Kurse, Couchsurfer

Nicht weit von mir entfernt neben den Eisenbahngleisen befindet sich das Gelände eines großen Warenmarktes. In gefühlt tausend kleinen Lädchen verkaufen tausend Verkäufer tausend für den Haushalt nützliche und weniger nützliche Dinge, und zwar überall ungefähr die gleichen. In einem dieser Lädchen erstand ich am Wochenende eine Bettdecke, um nicht mehr – wie bisher – in meinem Schlafsack liegen zu müssen. Eigentlich wollte ich eine dicke Daunendecke kaufen, wie ich sie auch in Deutschland hatte. Aber Daunendecken scheinen hier nicht üblich zu sein, und so wurde eine Kamelhaardecke daraus. Hinterher fiel mir ein, dass mir ein anthroposophischer Berliner Allergologe genau Kamelhaar empfohlen hatte, um schnupfenfrei zu schlafen – also passt es gerade!
Wie überall in Russland werden auch Lebensmittel in tausend kleinen Geschäften verkauft, gelegentlich gibt es den einen oder anderen größeren Supermarkt. Im Supermarkt hier um die Ecke finden sich ungefähr 20 Sorten Kaffee – aber alles nur löslicher, kein echter. Dabei trinken die Russen durchaus nicht nur Tee. Interessant, warum einem in Deutschland echter Bohnenkaffee kiloweise zu Ramschpreisen um die Ohren geworfen wird, während er sich hier überhaupt nicht durchsetzen konnte. In der Nähe des Siegesdenkmals fand ich ein kleines Spezialgeschäft, was Wein, losen Tee und Kaffee verkauft – Direktanlieferung aus Moskau, 100 Gramm frisch gemahlenen Kaffee ab umgerechnet 4 Euro.

Die erste Hausaufgabe, die ich meinen Studentinnen gab, war ein kleiner Aufsatz „Das bin ich“, in dem sie kurz auf Deutsch über sich erzählen sollten. Vieles darin wiederholt sich und ist mir schon bekannt: „Ich lebe mit meinen Eltern, mein Vater ist beim Militär“, „Ich möchte reisen und die Welt sehen“, „Mein Hobby ist Tanzen“, „Ich mag deutsche Rockmusik“. Manchmal musste ich bei der Lektüre auch schmunzeln. „Mit 30 Jahren hat man schon praktisch die Hälfte des Lebens vorbei, zumindest für die russischen Verhältnisse“, schreibt eine ältere Studentin, und weiter: „Und wahrscheinlich um die Memoiren zu schreiben, ist es noch zu früh, aber einiges habe ich schon zu erzählen. Erstens, habe ich zwei gute Kinder. Mein Sohn ist 11 und meine Tochter 8.“ Nach dem Unterricht fragte mich diese Studentin, wie alt ich bin – ich ließ sie raten und sie schätzte 28. Hier in Russland hält man mich gewöhnlich für 5 bis 10 Jahre jünger, als ich wirklich bin. Für meine Maßstäbe sehen Russen recht früh oft schon sehr erwachsen aus.
Mein Stundenplan umfasst 8 bzw. 9 Doppelstunden (es gibt die sich einander abwechselnden „Woche 1“ und „Woche 2“ mit sich leicht voneinander unterscheidenden Plänen). Ich unterrichte im 3. und 4. Bachelor-Studienjahr und im 1. Master-Studienjahr, drei Kurse sind sprachpraktische Kommunikationskurse, einer heißt „Training zur interkulturellen Kommunikation“ (da muss ich mir noch etwas Interessantes ausdenken) und einer ist ein Lektüre-Kurs – ich bespreche ein literarisches Werk, dass die Studenten zuhause lesen sollen.

Inzwischen hat mich das dritte Couchsurfer-Paar besucht: Ivan und Nastja, per Anhalter unterwegs von Wladiwostok nach Moskau, und wieder wurde ich in meiner Wohnung bekocht, diesmal mit Bliny und Buchweizengrütze. Meinen Couchsurfing-Account habe ich jetzt erst einmal auf „Empfange gerade keine Gäste“ umgestellt, da ich mich sonst vor lauter Anfragen gar nicht retten kann.
Mein Stundenplan - rechts der Name des Dozenten, der den Kurs hätte, wenn ich nicht da wäre

Nastja und Ivan, meine dritten Couchsurfing-Gäste, vor meinem Haus