Sonntag, 20. September 2015

Gremjatschinsk


Vor der Abfahrt des Kleinbusses zu meinem Reiseziel an diesem Wochenende stöberte ich in der großen Buchhandlung in der Nähe des Busbahnhofes. Ein Tisch mit dem Aufsteller „Verbotene Bücher“ erregte meine Aufmerksamkeit. „Diese Bücher sind in der Ukraine verboten“, stand dort, und versammelt waren Titel wie „Projekt Neu-Russland“, „Ukraine – Revolution und Chaos“ und „Ende des Projekts Ukraine“. Es wäre interessant zu wissen, ob es in ukrainischen Buchläden ähnliche Auslagen mit in Russland verbotenen Büchern gibt.
Mein dritter und landschaftlich schönster Ausflug ans Ufer des Baikals führte mich nach Gremjatschinsk. Das Ufer an dem kleinen Dorf 140 Kilometer nördlich von Ulan-Ude ist flach und sandig, umrahmt von waldbewachsenen Bergen. Malerische Kiefern stehen nicht weit vom Wasser, und der Blick über den See hinweg fällt auf die Steilküste von Olchon, der berühmtesten und größten Insel des Baikals Die Luft war sauber und das Wasser herrlich klar, von den diesjährigen Waldbränden zeugten nur viele kleine verkohlte Holzstückchen, die die Wellen ans Ufer geworfen haben.
Ich kam erst am späten Nachmittag an und übernachtete in einem einfachen, leeren Hotel (die Touristensaison ist schon vorbei). Das spartanische Zimmer kostete 500 Rubel, der asiatisch aussehende Inhaber sprach Russisch mit einem ganz merkwürdigen Akzent. Wahrscheinlich einer der Burjaten, die so weltfremd aufgewachsen sind, dass sie noch nicht einmal die Landessprache richtig beherrschen und über die ich gehört hatte, dass es sie vereinzelt noch geben soll. Es war kühl und die Hoteldecke ziemlich dünn, zum Glück hatte ich meinen kuscheligen Daunenschlafsack dabei.
Am nächsten Morgen stellte sich heraus, dass der Burjate in Wirklichkeit ein Kambodschaner war, der seit 30 Jahren in Russland lebt und hier studiert hat. Sicher lerne ich bald noch, die asiatischen Kulturen etwas besser auseinanderzuhalten.
Für die Rückfahrt stellte ich mich an die Straße und hielt den Daumen heraus. Nach einer kleinen Weile stoppte ein schicker, glänzender Jeep. Am Steuer saß ein dicker Mann mit feistem Gesicht. „Fahren Sie nach Ulan-Ude?“ – „Ja, aber ich bin betrunken. Macht das was?“ – Ich schaute etwas hilflos seine Beifahrerin an. „Macht er Spaß?“, wollte ich wissen, aber sie schaute nur ausdruckslos vor sich hin. „Na, wenn Sie betrunken sind, dann lieber nicht…“ meinte ich unsicher, woraufhin der Mann grinste und Gas gab.
Mit dem nächsten Fahrer hatte ich Glück. Wir fuhren an grünen Kiefernwäldern und gelb-orange glänzenden Laubwäldern vorbei und ich wurde auf schwarze und braune Stellen hingewiesen, an denen der Wald gebrannt hat. In diesem Sommer hat das Feuer wohl 12000 Quadratkilometer erfasst – zwei Drittel der Fläche Sachsens, das ist auch für hiesige Maßstäbe eine Menge.

Der erste Brief aus Deutschland hat mich erreicht – er war drei Wochen unterwegs. Wer mir schreiben möchte, kann das an folgende Adresse tun (auch wenn der Briefkasten nicht abschließbar ist, klaut hier wahrscheinlich keiner Briefe):

670000, Ulan-Ude
ul. Frunze, dom 16, p. 3, kv. 46
Thomas Ranft
RUSSLAND

In Russland werden Adressen oft genau umgekehrt geschrieben wie bei uns, also beginnend mit der Postleitzahl und endend mit dem Namen. Die drei Zahlen in der zweiten Zeile sind Hausnummer, Eingangsnummer und Wohnungsnummer. Postboten können inzwischen wohl auch lateinische Buchstaben lesen.
Container als Fischerhütten
Verkohlte Holzstückchen am Ufer

Blick auf das Dorf Gremjatschinsk und die sandige Bucht