Sonntag, 13. September 2015

Kollegen, Konto und Kleidung



Ich arbeite an der Burjatischen Staatlichen Universität am Lehrstuhl für Deutsch und Französisch. Von einer Ausnahme abgesehen, sind meine Kollegen hier alle weiblich. Etwa die Hälfte von ihnen unterrichtet Deutsch, die andere Französisch. Das Lehrstuhl-Zimmer, wo man zur Unterrichtsvorbereitung zusammenkommt oder sich auch nur zum Teetrinken aufhält, liegt direkt neben meinem Büro. Mit den Deutsch-Kolleginnen spreche ich meistens Deutsch, mit den anderen Russisch – mein eingerostetes Französisch reicht nicht mehr für ein Gespräch. Am anderen Ende des Korridors ist der Lehrstuhl für Übersetzungswissenschaften, wo viele Kolleginnen sind, die Englisch unterrichten, mit denen ich aber bisher weniger zu tun hatte.
Die ganze Abteilung nennt sich „Institut für Philologie und Massenkommunikation“. Neben Fremdsprachen kann man hier auch Journalistik, Reklamewissenschaften und natürlich Russische Sprache und Literatur studieren. Die Tür zum Gebäude ist tagsüber immer offen, im Vorraum geht man an einem Wächter vorbei, von denen sich drei oder vier im Schichtdienst abwechseln, die wohl auch dort schlafen. Zum Glück gibt es hier nicht die sinnlosen und umständlichen Drehkreuze und man muss auch keinen Ausweis vorzeigen, wie ich das in so vielen Universitäten im Westen Russlands erlebt habe. Ich grüße den Wächter nickend oder mit einem kurzen Handzeichen, manchmal hole ich mir von ihm einen Schlüssel zu einem Lehrraum und nehme mir Zeit für ein kleines Gespräch: ein guter Draht zu ihnen kann in vielen Situationen nützlich sein. Was gibt es Neues in Deutschland, werde ich gefragt, könnt ihr euch vor lauter Flüchtlingen noch retten?
In der letzten Woche war Lehrstuhlsitzung. Ich fühle mich wohl im Kreis der Kollegen, die Atmosphäre ist entspannt und informell. Nach der Sitzung gab es einen kleinen Imbiss, geschätzt wurde der echte Bio-Bohnenkaffee, von mir aus Deutschland mitgebracht. Ich versuchte aus den Gesprächen herauszuhören, was die Kollegen so bewegt, wie die allgemeine Stimmung ist. Vieles hier muss man mit der Zeit mitbekommen und abspüren, vieles läuft über persönliche Kontakte und Beziehungen. Der Rückgang der Popularität der deutschen Sprache zugunsten des Englischen ist ein Problem, die Überlastung mit Bürokratie, die geringen Löhne.
Um den (kleinen) Teil meines Gehaltes zu bekommen, den mir die russische Seite auszahlt, habe ich mir bei der BaikalBank ein Konto einrichten lassen. Es läuft etwas anders als auf einer deutschen Bank: die Geldkarte zum Abheben und Einkaufen konnte ich sofort mitnehmen und musste mir vor Ort eine PIN ausdenken. Jetzt verstehe ich auch, warum sich hier niemand um abschließbare Briefkästen kümmert – wichtige Dinge wie Bankkarten oder PINs werden nie per Post verschickt. Das Geld, was auf dem Konto ist, ist nicht sofort mit der Karte verfügbar, sondern diese muss erst „aufgeladen“ werden – ein Zwischenschritt als zusätzliche Sicherheitsmaßnahme.
Im Beruf kleiden sich Russen bekanntlich gern etwas formeller als Deutsche, und ich passe mich dem gerne an: meine besten Hemden haben im Reisekoffer Platz gefunden, und kurz vor der Abreise beriet mich mein guter Freund Robert beim Kauf eines Edel-Anzuges im Weimarer Schillerkaufhaus, den ich freilich nur bei bestimmten Anlässen wie einem Gespräch mit der Institutsdirektorin trage. Die Krawatte hängt bisher noch unbenutzt im Schrank. Ihre Zeit ist bald gekommen: demnächst steht ein Treffen mit dem Rektor an.
Über die Hälfte der Studentinnen in meinen Kursen sehen sehr asiatisch aus und sind also unverkennbar burjatischer Abstammung. Während die Russinnen wie üblich Nastja, Marina, Olga oder Julia heißen, muss ich mich an die burjatischen Namen erst gewöhnen: Segseg, Erzhena, Aja, Tschimita – wobei auch viele Burjatinnen einfach russische Namen haben.
Meine Kollegen am Lehrstuhl, rechts die Lehrstuhlleiterin Elena


Die Studentinnen des ersten Master-Studienjahres
Die Studentinnen des 4. Studienjahres mit Deutsch als 2. Fremdsprache