Ich arbeite an der Burjatischen
Staatlichen Universität am Lehrstuhl für Deutsch und Französisch. Von einer
Ausnahme abgesehen, sind meine Kollegen hier alle weiblich. Etwa die Hälfte von
ihnen unterrichtet Deutsch, die andere Französisch. Das Lehrstuhl-Zimmer, wo
man zur Unterrichtsvorbereitung zusammenkommt oder sich auch nur zum Teetrinken
aufhält, liegt direkt neben meinem Büro. Mit den Deutsch-Kolleginnen spreche
ich meistens Deutsch, mit den anderen Russisch – mein eingerostetes Französisch
reicht nicht mehr für ein Gespräch. Am anderen Ende des Korridors ist der
Lehrstuhl für Übersetzungswissenschaften, wo viele Kolleginnen sind, die
Englisch unterrichten, mit denen ich aber bisher weniger zu tun hatte.
Die ganze Abteilung nennt sich „Institut
für Philologie und Massenkommunikation“. Neben Fremdsprachen kann man hier auch
Journalistik, Reklamewissenschaften und natürlich Russische Sprache und
Literatur studieren. Die Tür zum Gebäude ist tagsüber immer offen, im Vorraum
geht man an einem Wächter vorbei, von denen sich drei oder vier im
Schichtdienst abwechseln, die wohl auch dort schlafen. Zum Glück gibt es hier
nicht die sinnlosen und umständlichen Drehkreuze und man muss auch keinen
Ausweis vorzeigen, wie ich das in so vielen Universitäten im Westen Russlands
erlebt habe. Ich grüße den Wächter nickend oder mit einem kurzen Handzeichen,
manchmal hole ich mir von ihm einen Schlüssel zu einem Lehrraum und nehme mir Zeit
für ein kleines Gespräch: ein guter Draht zu ihnen kann in vielen Situationen
nützlich sein. Was gibt es Neues in Deutschland, werde ich gefragt, könnt ihr euch
vor lauter Flüchtlingen noch retten?
In der letzten Woche war
Lehrstuhlsitzung. Ich fühle mich wohl im Kreis der Kollegen, die Atmosphäre ist
entspannt und informell. Nach der Sitzung gab es einen kleinen Imbiss,
geschätzt wurde der echte Bio-Bohnenkaffee, von mir aus Deutschland mitgebracht.
Ich versuchte aus den Gesprächen herauszuhören, was die Kollegen so bewegt, wie
die allgemeine Stimmung ist. Vieles hier muss man mit der Zeit mitbekommen und
abspüren, vieles läuft über persönliche Kontakte und Beziehungen. Der Rückgang
der Popularität der deutschen Sprache zugunsten des Englischen ist ein Problem,
die Überlastung mit Bürokratie, die geringen Löhne.
Um den (kleinen) Teil meines
Gehaltes zu bekommen, den mir die russische Seite auszahlt, habe ich mir bei
der BaikalBank ein Konto einrichten lassen. Es läuft etwas anders als auf einer
deutschen Bank: die Geldkarte zum Abheben und Einkaufen konnte ich sofort
mitnehmen und musste mir vor Ort eine PIN ausdenken. Jetzt verstehe ich auch,
warum sich hier niemand um abschließbare Briefkästen kümmert – wichtige Dinge
wie Bankkarten oder PINs werden nie per Post verschickt. Das Geld, was auf dem
Konto ist, ist nicht sofort mit der Karte verfügbar, sondern diese muss erst „aufgeladen“
werden – ein Zwischenschritt als zusätzliche Sicherheitsmaßnahme.
Im Beruf kleiden sich Russen
bekanntlich gern etwas formeller als Deutsche, und ich passe mich dem gerne an:
meine besten Hemden haben im Reisekoffer Platz gefunden, und kurz vor der
Abreise beriet mich mein guter Freund Robert beim Kauf eines Edel-Anzuges im
Weimarer Schillerkaufhaus, den ich freilich nur bei bestimmten Anlässen wie
einem Gespräch mit der Institutsdirektorin trage. Die Krawatte hängt bisher noch
unbenutzt im Schrank. Ihre Zeit ist bald gekommen: demnächst steht ein Treffen
mit dem Rektor an.
Über die Hälfte der Studentinnen
in meinen Kursen sehen sehr asiatisch aus und sind also unverkennbar
burjatischer Abstammung. Während die Russinnen wie üblich Nastja, Marina, Olga
oder Julia heißen, muss ich mich an die burjatischen Namen erst gewöhnen:
Segseg, Erzhena, Aja, Tschimita – wobei auch viele Burjatinnen einfach
russische Namen haben.
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Meine Kollegen am Lehrstuhl, rechts die Lehrstuhlleiterin Elena |
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Die Studentinnen des ersten Master-Studienjahres |
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Die Studentinnen des 4. Studienjahres mit Deutsch als 2. Fremdsprache |