Mittwoch, 25. Januar 2017

Simferopol


„Hier ist unser Verwaltungsgebäude, das haben sie zuerst besetzt. Lastwagenweise kamen russische Soldaten angefahren.“ Zusammen mit Sascha laufe ich durch das abendliche Simferopol und lasse mir die wichtigsten Sehenswürdigkeiten erklären. „Als nächstes das Parlamentsgebäude. Und hier ist das Denkmal an die Freundlichen Leute.“

Sascha, Anfang 30, ist Programmierer und gerade von einer dreimonatigen Asienreise zurückgekommen. Der junge Mann äußert sich bedacht und überlegt. „Stell dir vor, dich bittet jemand um dein Handy, um zu telefonieren. Du gibst es ihm, er nimmt es höflich und läuft weg. Und jetzt stell dir vor, jemand haut dir eins aufs Maul, nimmt dein Telefon und verschwindet. Gibt es einen wesentlichen Unterschied? Nein, du bist dein Telefon los. Und deshalb bin ich der Meinung, dass Russland die Krim annektiert hat. Ohne Gewalt, aber annektiert.“
Man sagt, Geschichte wird von den Siegern geschrieben. Auf der Krim ist Russland der Sieger und hat seine Sicht der jüngsten Geschichte schon in einigen neuen Denkmälern verewigt. Ein bronzener Mann in martialischer, waffenstrotzender Uniform, eine Katze umstreicht sein Bein, ein kleines Mädchen überreicht ihm Blumen. „Den Freundlichen Leuten, von dankbaren Einwohnern“, ist zu lesen. Die Freundlichen Leute waren maskierte Soldaten ohne Abzeichen, erklärt mir Sascha. Zuerst hieß es, es sei die Bürgerwehr der Krim. Dann gab Putin öffentlich zu, dass es russische Soldaten waren. Sie waren immer nett zu den Einwohnern, man konnte sich mit ihnen fotografieren lassen. Aber sie haben die Krim besetzt. Russland habe schon vor dem Referendum zusätzliche Streitkräfte hier eingeführt. Das sei ganz klar Annexion.
Sascha, obwohl Russe, hat im Referendum für die Ukraine gestimmt. Wenn Putin nicht so beherzt gehandelt hätte, dann gäbe es doch hier jetzt ein Blutvergießen wie im Donbass, wiederhole ich ein oft gehörtes Argument. Er schüttelt den Kopf. Man muss wissen, dass es doch Russland ist, das in der Ostukraine Krieg führt, höre ich. Wenn Russland keine Waffen dorthin liefern würde, gäbe es kein Blutvergießen. Natürlich war unter der Ukraine nicht alles optimal. Aber hier wäre auch ohne Annexion nichts weiter passiert.
Wir gehen weiter zum nächsten Denkmal. „Den Opfern des sowjetischen Volkes, die durch die Hände der Helfer der Faschisten - die Kämpfer der Ukrainischen Befreiungsarmee und andere Kollaborateure - gefallen sind“, steht unter den beiden steinernen sich umarmenden Gestalten. Für Russland ist es natürlich passend, die Ukrainer alle als Faschisten darzustellen, meint mein Stadtführer. Was auf dem Maidan passiert ist, wird total verdreht. Am Anfang waren es Rentner, die für mehr Rente auf die Straße gegangen sind, und junge Leute, die ihr Land in der EU sehen wollten. Janukowitsch hat sie brutal auseinanderknüppeln lassen. Erst später kamen die Nationalisten dazu, aber sie bildeten doch nie die Hauptmenge der Demonstranten!
Drittes Denkmal: „den Selbstverteidigern der Heimat“. Wir lesen: „Schlacht auf dem Peipussee – Zeit der Wirren – Vaterländischer Krieg 1812 – Verteidigung der Krim und Sevastopols – Erster Weltkrieg – Großer Vaterländischer Krieg – Krimfrühling 2014.“ Gerade mal drei Jahre ist es her, und schon hat der Anschluss der Krim seinen würdigen Platz in der Reihe der großen historischen Ereignisse des russischen Volkes gefunden. Ist es nicht historische Gerechtigkeit, dass die Krim wieder russisch ist, hat nicht Chruschtschov die damalige Verfassung verletzt, indem er die Krim der Ukraine schenkte, ohne das Volk zu befragen? Sascha lacht. Historische Gerechtigkeit kann es gar nicht geben! Vor den Russen war die Krim türkisch, davor griechisch. Vielleicht sollten wir sie an die Türkei rückübereignen, oder an Griechenland? Und was ist mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker, die meisten unterstützen doch hier Russland, will ich wissen. Selbstbestimmungsrecht, das wäre ja ganz etwas Neues, entgegnet der junge Mann. Es versuche nur mal jemand, in Russland aufzumucken, so wie in Tschetschenien geschehen! Was war denn da mit der Selbstbestimmung? Gilt die nur für Russen im Ausland, nicht aber für die im eigenen Land lebenden Völker?
Vorbei an Katharina der Großen, unter der 1783 die Halbinsel ins Zarenreich aufgenommen wurde  – „errichtet anlässlich des Anschlusses der Krim an Russland 2014 – für immer“ – machen wir uns auf den Heimweg. Seit dem Staatenwechsel sei es hier nicht besser, sondern schlechter geworden. Sascha bekommt wegen der Sanktionen nirgendwo ein Visum für Westeuropa, für seine Firma ist die Zusammenarbeit mit Geschäftspartnern in den USA sehr erschwert. „Die Preise sind stärker gestiegen als die Löhne. Unser Obst und Gemüse kam früher aus der Ukraine, das war viel leckerer. Der Asphalt, den die Ukrainer verlegt haben, musste früher nach zwei Jahren ausgebessert werden; heute hält er ein halbes Jahr.“ Kann er seine Meinung frei äußern, gibt es im Alltag Repressionen? „Nein, das Leben für die meisten hat sich nicht groß geändert. In der entscheidenden Phase hat man die lautesten Pro-Ukraine-Aktivisten unauffällig verschwinden lassen, jetzt kann jeder erzählen, was er will.“
Meine Nacht in Simferopol, der Hauptstadt der Respublika Krim, ist die letzte vor dem Rückflug nach Ulan-Ude. Am Flughafen gibt es einen Souvenirshop der russischen Armee und einen T-Shirt-Verkaufsstand namens Welikaja Rossia - Great Russia, „Russland – der letzte Hort der Unabhängigkeit“ und ähnlich lauten die Aufdrucke. In der Maschine sitze ich am Fenster und genieße den fantastischen Ausblick über die sonnenbeschienene Steppenlandschaft. Wir fliegen nicht über die Ostukraine, sondern beschreiben einen großen Bogen über das Asowsche Meer und die Mündung des Don – der ukrainische Luftraum ist für russische Flugzeuge gesperrt. In meinem Gepäck sind einige Palmenkeimlinge, die Lena in Jalta für mich ausgegraben hat, damit ich sie im Zimmer kultiviere. Für mich geht nicht nur der Krim-Krimi, sondern auch eine einmonatige Reisezeit durch 13 Orte in Russland und Deutschland zuende – höchste Zeit wieder für das Leben am Baikalsee!

Asowsches Meer (oben) und Donmündung (unten)

Gewalt und Zärtlichkeit Denkmal an die "Freundlichen Leute" in Simferopol
"Dieses Haus haben sie zuerst besetzt" Das Verwaltungsgebäude mit der Leninstatue davor
"Krim-Frühling" Ein weiteres Ereignis in der Geschichte der russischen Befreiungskämpfe

Und Obama weint "Krim abgegeben - Krim aufgenommen", ein Souvenir-Kühschrankmagnet

Montag, 23. Januar 2017

Alúpka


Die Landschaft im Süden der Krim ist von außergewöhnlicher Schönheit. Das Krimgebirge bildet eine Wetterscheide, so dass die Bedingungen schon fast subtropisch sind. Fächerpalmen, Feigenplantagen und Lorbeer, Oleander, Magnolien, Zypressen und sogar Opuntien (Ohrenkakteen) gedeihen hier. Mit meiner Gastgeberin Lena und einigen ihrer Freundinnen besuchte ich den Woronzóv-Palast bei Alúpka, der von einem riesigen Landschaftspark umgeben ist, in seiner Schönheit vielleicht mit dem Potsdamer Park Sanssouci vergleichbar. Temperaturen wie an einem lauen deutschen Sommertag! Auf einer Wanderung in Richtung des Ai-Petri-Berges fand ich mich inmitten von mächtigen Krim-Kiefern (Pinus nigra subsp. pallasiana) wieder, dazwischen Erdbeerbäume (Arbutus) mit rotbrauner, glatter Rinde, Mäusedorn (Ruscus) mit stacheligen Blättern und roten Beeren sowie der nur aus langen, grünlichen, biegsamen Zweigen bestehende Pfriemenginster (Spartium). Vor mir die Schwarzmeerküste, hinter mir im sich langsam lichtenden Nebel sichtbar werdende Felswände unter schneebedeckten, bis über 1500 Meter hinaufreichenden Gipfeln.
Südlich von Jalta auf einem senkrecht aus dem Meer ragenden Felsen befindet sich ein kleines kitschiges Schlösschen namens Schwalbennest. Entlang des auf- und absteigenden Treppensteiges von der Bushaltestelle dorthin reihen sich die Souvenirstände aneinander, die eine Ahnung vom Touristenbetrieb im Sommer vermitteln. Jetzt bin ich hier fast der einzige – vielleicht überhaupt der einzige deutsche Reisende auf der ganzen Krim? Bei einem alten Mütterchen kaufe ich Tschurtsch’chela, auf einen Faden gefädelte Nüsse in Fruchtgelee. Ich stelle ihr meine übliche Frage. „Für Russland habe ich gestimmt, natürlich“, sagt sie, „aber trotzdem passiert hier nichts, die Leute verkaufen ihre Häuser und ziehen weg.“ Hinter ihr an der beschmierten Betonwand hängt eine Verkaufsanzeige. „Putin kann eben nicht überall sein! Dort, wo er aufpasst, herrscht Ordnung. Aber das Land ist zu groß. Im kleinen Weißrussland ist das anders! Da herrscht Bátjka, überall ist Sauberkeit und Disziplin.“ Mir fällt auf, dass die Leute hier aus dem „g“ ein „h“ machen: mnoho statt mnogo, hovorju statt govorju.
  


Das Schwalbennest (oben), Tschurtsch`chela-Verkauf (unten); die Verkäuferin wollte nicht fotografiert werden, statt ihrer sitzt die Katze auf dem Stuhl

 
Meine vier Begleiterinnen untersuchen ein Erdloch, aus dem warme Luft dringt




 
An der Südküste der Krim gedeihen sogar Opuntien

Sonntag, 22. Januar 2017

Jalta

Obwohl eigentlich ein Liebhaber des Nordens, bin ich von Jalta auf den ersten Blick begeistert. Eine Uferpromenade mit Fächerpalmen, das majestätische Wellen schlagende Schwarze Meer, hinter den Häusern steil ansteigender Wald, oben die schneebedeckten Gipfelplateaus des Krimgebirges. Schon Tschechovs „Dame mit dem Hündchen“ ging hier spazieren. Während in Ulan-Ude mit minus 35 der sibirische Winter gerade voll zuschlägt, weht mir hier ein laues Lüftchen mit fünf Plusgraden um die Nase. Als ich gerade auf einer langen weißen Bank sitze und meine Beobachtungen im Tagebuch notiere, schreitet ein bärtiger älterer Mann mit langem schwarzem, etwas schmuddeligem Gewand vorüber, in der einen Hand einen langen Hirtenstab, in der anderen einen Plastikbecher mit klimpernden Münzen. Ich betrachte ihn interessiert, er lächelt mich gütig an und setzt sich neben mich. Eine Art Pilger oder Mönch ist er, erfahre ich, der Gottes Wort unter die Menschen bringt, im Sommer allein durch die Berge streift und dort übernachtet… Ob er zu einem orthodoxen Kloster gehört? Nein, er zähle sich zu keiner Kirche, die Spaltung in verschiedene Glaubensrichtungen müsse man überwinden. Der Mann ist mir sehr sympathisch, aus seinem Gesicht sprechen Weisheit und Menschenliebe. Sie erinnern mich ein wenig an Tolstoj, antworte ich, der ist ja auch aus der Kirche ausgetreten…
Wie hat sich Ihr Leben in den letzten drei Jahren hier… Noch während ich meine Standardfrage ausspreche, spüre ich, dass sie bei ihm nicht ganz angebracht ist. Mein Reich ist höher als euer Reich, antwortet er mit einem Bibelzitat. Schau mir in die Augen! Sein leuchtender Blick durchdringt mich. Ich – das ist in Wirklichkeit Er! Besudle deinen Körper nicht, denn dieser ist Gottes Tempel! Nur Gottes Wort soll Deine Speise sein! Der Pilger bemerkt meinen ungläubigen Blick. Ich esse fast nichts, hier und da eine Frucht, erklärt er, sich erhebend und mir zum Abschied zuwinkend. Ob das wohl einer ist, der den Weg zur legendären Lichtnahrung gefunden hat, frage ich mich und schaue seiner auf der Uferpromenade entschwindenden Gestalt hinterher, während das Tock-Tock seines Holzstabes und das Klimpern seines Münzbechers mit dem Wellenrauschen verschmelzen.

Zuerst bin ich zu Gast bei Tanja, die in einem gemütlichen kleinen Häuschen mit kleinem schmalem Gärtchen inmitten fünfgeschossiger Neubauten wohnt. In die Beete hat sie Plastikgabeln mit den Zinken nach oben gesteckt, um die Katzen abzuwehren. Tanja, eine lebhafte, rothaarige Frau etwa meinen Alters, bewirtet mich mit Suppe und Tee und erzählt mir in Kurzfassung ihre Lebensgeschichte: im letzten Jahr sind ihre Eltern gestorben, mit denen sie hier wohnte, einen Mann hat sie nicht gefunden, denn daran herrscht hier im Lande Mangel. Von 15 ihrer männlichen Klassenkameraden, mit denen sie die Schule beendet hat, führen fünf ein mehr oder weniger normales Leben, der Rest ist entweder schon tot oder in Drogen und Alkohol versumpft. Eigentlich arbeitet sie als Fremdenführerin, aber jetzt gibt es kaum noch Touristen – unter der Ukraine war es fröhlicher hier. Kreuzfahrtschiffe legen wegen der Sanktionen keine mehr an, und nur noch wenige Ukrainer fahren zum Urlaub nach Jalta. Russland versucht ja mit allen Kräften, den Tourismus hierher zu fördern, meine ich zu ihr, die Aeroflot-Tickets von Moskau nach Simferopol sind bestimmt staatlich subventioniert, nur 80 Euro hin und zurück… Tanja lacht ein wenig bitter, 80 Euro, das sei im Moment fast ihr halbes Monatsgehalt. Bevor ich gehe, zeigt sie mir Fotos von ihrem männlichen Idol, dem Schauspieler Kaspar Capparone, und bittet mich darum, sie mit einem westeuropäischen Mann bekannt zu machen, der so ähnlich aussieht.

Über Couchsurfing habe ich Lena gefunden, deren Schlafsofa ich für zwei Nächte beziehe. Die ältere, unkomplizierte Frau ist ebenfalls Fremdenführerin und gerade von einem Bergausflug zurückgekommen, allerdings nicht mit – im Moment nicht vorhandenen – Touristen, sondern mit Freunden. Wir bereiten zusammen den typisch russischen Salat Vinaigrette mit Kartoffeln und Roter Beete zu, und beim Abendbrot kann ich alle meine Fragen loswerden.

Hast Du an dem Referendum im März 2014 teilgenommen?
Na klar, ich habe für Russland gestimmt, gleich um 8 Uhr morgens, noch vor der Arbeit. Eigentlich bin ich total unpolitisch, aber da war ich zum ersten Mal bei einer Abstimmung. Vorher habe ich sogar an einer Demo teilgenommen! Irgendwelche Leute aus der Ukraine wollten uns erzählen, man müsse jetzt das Lenindenkmal wegräumen. Da haben wir uns versammelt und davorgestellt.
Denkst du, das offizielle Ergebnis von 97% Ja-Stimmen für Russland ist realistisch?
Ja, absolut.
Und niemand stand mit dem Gewehr neben der Wahlkabine und hat dir über die Schulter geschaut?
So ein Blödsinn. Am Abend, nachdem das Ergebnis bekannt war, gab es ein großes Feuerwerk, alle haben gelacht und gefeiert. Dazu hätte die Leute doch auch niemand mit der Waffe zwingen können.
Wie hat sich das Leben seitdem geändert?
Die Touristen sind weggeblieben... ansonsten eigentlich kaum.

Zwei Freundinnen von Lena haben auch für Russland abgestimmt.
War das Leben hier denn für euch so schlecht unter der Ukraine?
Ach, eigentlich war alles ganz normal, man kann nicht sagen, sie hätten uns unterdrückt. Aber dann, als die schrecklichen Ereignisse auf dem Maidan begannen und die Ukraine in die Hände der Amerikaner fiel, sind die Leute hier auf die Straße gegangen und haben sogar eine Volksbefreiungsbewegung gegründet. Alle vernünftigen Leute, die wir kennen, haben im Referendum für Russland gestimmt.

Plastikgabeln zur Katzenabwehr im Garten (oben), das Haus meiner Gastgeberin Lena (unten)


Die Uferpromenade in Jalta (oben), Lenin neben Palmen (unten)

Sevastopol

Sevastópol im äußersten Südwesten der Krim hat für Russland eine ganz besondere Bedeutung. Neben Moskau und Sankt Petersburg ist es eine Stadt „föderaler Bedeutung“, stellt also eine eigene Verwaltungseinheit dar. Eine Unmenge an Kriegs- und Marinedenkmälern erzählen von der blutigen Vergangenheit des Ortes, an dem so viel russisches Blut vergossen wurde, dass es in den Augen der Einwohner ein Unding wäre, ihn der Ukraine zu überlassen – zumal hier auch noch die russische Schwarzmeerflotte stationiert ist. Sergej zeigt mir das Kriegsschiff, auf dem er einige Jahre als Matrose war, und mit meinem Gastgeber Firdavis am Steuer fahren wir von einem Denkmal zum nächsten. Zwischendurch versuche ich immer wieder erfolglos, mit meiner deutschen Visakarte bei verschiedenen Banken Geld abzuheben – keine Chance, die westlichen Sanktionen zeigen ihre Wirkung.
Sevastopol war bis in die 90er Jahre eine geschlossene Stadt, die nur betreten durfte, wer dort wohnte oder eine Sondererlaubnis hatte. Bei der Anfahrt sieht man in den Felsen gehauene Eingänge zu unterirdischen Stollen. Die ganze Stadt ist mit militärischen Anlagen unterhöhlt, weiß Sergej zu erzählen, vielleicht ist es der am besten befestigte Ort Europas. Etwas außerhalb besuchen wir die Ruinen von Chersones, einer alten griechischen Stadt und gleichzeitig der Ort, wo sich Fürst Wladimir 992 zur Orthodoxie bekannt und diese damit zur Religion der Kiewer Rus gemacht hat.

„Russland hat in seiner gesamten Geschichte nie einen Angriffskrieg geführt!“, sagt Sergej. Ich runzle die Stirn und denke angestrengt nach, antworte aber nichts. „Die Krim hat sich mit ihrem Vaterland wiedervereinigt. Warum spricht man in Deutschland von der Wiedervereinigung, aber bei uns von Annexion? Siehst du hier irgendwelche Besatzungstruppen? Erzähle das mal deinen Freunden in Deutschland. “
Am nächsten Tag verabschiede ich mich von Firdavis, der, wie er mir berichtet, sich schon sehr auf die Antrittsrede von Donald Trump freut. „Trump wird die rechtmäßige Regierung in der Ukraine wiederherstellen und die Krim als Teil Russlands anerkennen!“ Ob er nicht manchmal auch Zweifel hat an dem, was im Fernsehen so erzählt wird? „Nein, das russische Fernsehen sagt immer die Wahrheit!“

So viel Politik und Wahrheit auf einmal ist dann doch etwas viel für mich, und ich freue mich auf die Natur: mit gezücktem Fotoapparat sitze ich wenig später in einem modernen O-Bus und überquere das Krimgebirge, mich an den links und rechts auftauchenden schneebedeckten Bergen erfreuend. Die Trolleybus-Linie zwischen Simferopol und Jalta ist weltweit die längste ihrer Art. Die Fahrt dauert zweieinhalb Stunden und kostet umgerechnet knapp 2 Euro. Der Oberleitungsbus windet sich bis in eine Höhe von fast 800 Metern empor und erreicht dann auf der gewundenen Fernstraße den Küstenort Alúschta, von da aus geht es weiter mit Blick aufs Schwarze Meer an dem berühmten Freizeit-, früher Pionierlager Artek vorbei bis nach Jalta.

Die russische Schwarzmeerflotte im Hafen von Sevastopol. Früher lagen hier auch ukrainische Schiffe
Ein Triumphbogen erinnert an das 300-jährige Jubiläum der Gründung von Sevastopol unter Zarin Katerina der Großen 
Ein Mandelbaum unter besonderem Schutz: eines der wenigen Gewächse, die den Krieg überstanden haben
Antike Geschichte: Die Ruinen von Chersones
Das Krimgebirge (oben), Weinanbau an der Südküste (unten)

Die weltweit längste O-Bus-Linie verläuft durch die Berge zwischen Simferopol und Jalta