Freitag, 22. September 2017

Heimat

Heimat und Vaterland – welch tiefen Sinn tragen diese Worte!

Unser Land heißt Russland. Das ist das größte Land der Erde. Das ist unsere Heimat.

Die Hauptstadt Russlands ist die wundervolle Stadt Moskau.

Welch verschiedene Völker bewohnen Russland! Ihre Vertreter haben unterschiedliche Gesichtszüge, nationale Trachten, Volksfeste und Religionen.  Russen, Tataren, Juden, Komi, Baschkiren, Karelen, Udmurten, Burjaten, Tschuktschen, Jakuten und andere. Aber alle Völker Russlands sind vereint in der großen Familie der gemeinsamen Heimat Russland, in gegenseitiger Achtung und Freundschaft.

Mit diesen Worten beginnt Majas Lehrbuch im Fach Sachkunde. Von morgens um 8 Uhr an hat sie täglich drei Stunden, meistens Lesen, Schreiben und Mathematik. Maja geht mit 31 anderen Schülern in die Klasse 1 B (der Buchstabe wird W ausgesprochen und steht im russischen Alphabet an dritter Stelle) in Schule Nummer 1 (in Russland haben Schulen Nummern, keine Namen). Wir stehen morgens um 6 Uhr auf; als der leidenschaftlichste aller Morgenmenschen bin natürlich ich für Wecken und Frühstück zubereiten zuständig. Letzteres bedeutet immer etwas kochen: Kartoffelpüree aus frischen Kartoffeln, Mannaja kascha (Grießbrei), Pschonka (Hirsebrei) oder Gretschka (Buchweizengrütze), manchmal wird auch der Borschtsch vom Vortag aufgewärmt.
Nach dem Unterricht werden für die Schüler verschiedene AGs angeboten wie Tanzen und Singen, Maja geht, bester russischer Tradition folgend, zweimal wöchentlich zum Schachunterricht. In einer Reihe Moskauer Schulen wurde das Spiel sogar als Pflichtfach in den unteren Klassen eingeführt, statt dritter Sportstunde. Weitere zwei Male pro Woche steht eine Klavierstunde in einer privaten Musikschule auf dem Programm; in der staatlichen, wo es sogar kostenlose Plätze gibt – wohl noch ein Überbleibsel aus Sowjetzeiten – war leider nichts mehr frei.
An meinem Lehrstuhl im Institut für Philologie und Massenkommunikation ist es im neuen Studienjahr ruhiger geworden. Erstsemestler, die Deutsch als erste Fremdsprache studieren, gibt es diesmal überhaupt keine, entsprechend haben die Dozenten wenig zu tun und arbeiten mit halben und dreiviertel Stellen; einige haben gekündigt. Der Studentenschwund wird meist im Zusammenhang gesehen mit dem Geburtenrückgang im chaotischen Russland der späten 90er Jahre. Ab 2000 kam Putin, dann ging es aufwärts mit dem Land und den Neugeburten – und die Kollegen an der Uni hoffen, dass dieser Trend sich nun bald, 18 Jahre später, auch in den Studentenzahlen zeigt. Erstmals unterrichte ich zwei Studienjahre in einer zusammengelegten Gruppe, weil mir die Stunde mit acht Studenten mehr Freude macht als mit, sagen wir, dreien. Oft gilt: je weniger Teilnehmer im Kurs, desto schläfriger die Gesamtstimmung.
Jede Woche schreibe ich eine Rund-SMS und erinnere an die dienstägliche Probe meines Chores. Möglicherweise fährt der Chor zu einem Gastspiel nach Deutschland, lautete der Text in dieser Woche, es kommen alle mit, die regelmäßig zu den Proben erscheinen! Ganz leer ist die Versprechung nicht, zunächst aber erhoffe ich mir davon ein zahlreicheres Auftauchen der oft unzuverlässigen und vergesslichen jungen Leute, um sie mit europäischer und russischer A-capella-Klassik zu begeistern: der „Ackerwinde“-Kanon von Rimski-Korsakoff, das mittelalterliche französische „Je ne l’ose dire“, passend zur Jahreszeit „Bunt sind schon die Wälder“.

Mitunter ertappe ich mich dabei, wie ich im Gespräch mit Deutschen „bei uns“ sage und damit die Baikalregion meine. Im dritten Jahr ist Burjatien schon zu einem Stück Heimat geworden.  
Was wissen wir über die Völker Russlands? Das Sachkundebuch für die Schüler der 1. Klasse erklärt die russische Heimat

Freitag, 15. September 2017

Im buddhistischen Kloster Ivolginsk

Eine halbe Fahrtstunde von Ulan-Ude entfernt, in der Steppe am Fuße der Ausläufer des Hamar-Daban-Gebirges, liegt das buddhistische Kloster Ivolginsk. 1945 erlaubte Josef Stalin seine Gründung, vielleicht deshalb, weil die Lamas während des Krieges fleißig Geld für die Front gesammelt hatten. Hier hat heute der XXIV. Pandito Chamba Lama seine Residenz, das Oberhaupt der Buddhisten Russlands. Bekannt ist das Kloster Ivolginsk für den angeblich nicht verwesenden Körper des inzwischen 165 Jahre alten Lamas Etigelow, der zu besonderen Anlässen besichtigt und angebetet werden kann. Herr Baron Nikolaus von Gayling-Westphal, Stadtrat Freiburgs und an einer Städtepartnerschaft interessiert, ist zu einem Gespräch beim Pandito Chamba Lama eingeladen. Als begleitender Übersetzer bereitete ich mich sprachlich und inhaltlich auf den Termin vor, auf ein Gespräch über interreligiösen Dialog und Meditation, über die Wichtigkeit des Glaubens in der heutigen stürmischen Zeit, über die Hoffnung auf eine Zukunft in Frieden und über die Möglichkeiten der Überwindung menschlichen Leidens. 

Zunächst führt man uns in ein Haus im angrenzenden Dorf. Ein etwas buckeliger, ganz offensichtlich blinder Jugendlicher öffnet uns, im mit buddhistischen Schreinen, Statuen, Tüchern und sonstigen Utensilien angefüllten Wohnzimmer erwartet uns ein älterer Mönch in der typischen roten und orangenen Tracht. Beim Platznehmen auf dem Sofa staune ich über den modernen, neuen Konzertflügel, der die Mitte des Raumes ausfüllt.
Der buckelige junge Mann begrüßt uns noch einmal auf Englisch und verkündet, er möchte uns jetzt etwas vorspielen. Während wir eine Mozart-Klaviersonate hören und anschließend den „Hummelflug“ von Rimski-Korsakoff, fällt es mir wie Schuppen von den Augen: natürlich, ihn hatte ich schon einmal erlebt, letztes Jahr im Philharmonischen Saal der Stadt, damals war das weltberühte Glinka-Streichquartett zu Gast gewesen und hatte als Zugabe ein von ihm komponiertes Werk gespielt, wonach man ihn auf die Bühne geholt hatte. Ludub Otschirov, das blinde burjatische Wunderkind!
Der buddhistische Mönch, wie sich herausstellt, sein Großvater, erzählte uns vom Aufenthalt seines Enkels in einer Münchener Augenklinik. Dort sei er gut empfangen worden, und aus Dankbarkeit möchte er uns Deutschen gern etwas zurückgeben. Es folgt ein Lied aus einer Wagner-Oper, deren Text Ludub auf Deutsch parallel zum Spiel mitsingt. Anschließend erhebt er sich und schenkt dem Herrn Baron eine Partitur seines eben fertiggestellten zweiten Klavierkonzertes. Möge ein Freiburger Orchester es aufführen!
Wir staunen ungläubig. Wie ein Blinder denn Noten schreibe?
Man bittet uns in den Nachbarraum. Dort stehen ein E-Piano mit Bildschirm und Computer dahinter. Unsere Anwesenheit habe seinen Enkel zu einer Komposition inspiriert, sagt der Mönch. Lugub schaltet den Computer an und spielt ein schönes, lyrisches Klavierstück. Das Programm würde die Musik sofort in Noten umwandeln, erklärt man uns. Das Lieblingsinstrument des Herrn Baron sei Geige? Während das soeben eingespielte Klavierstück noch einmal wiedergegeben wird, erfindet Ludub, das Wunderkind, mit einem Finger auf der Klaviatur eine Geigenstimme dazu. In fünfzehn Minuten könne Herr von Gayling die Noten in seinem E-Mail-Postfach haben. Wir bedanken uns für die wundervollen Klänge und finden vor Staunen gar keine Worte.

Auf dem Gelände des Klosters Ivolginsk befinden sich etwa ein Dutzend große und kleine Tempel mit den charakteristischen asiatischen Pagodendächern, ein in einem verglasten Haus wachsender heiliger Baum aus Indien, ein Ableger genau des Gewächses, unter dem Buddha die Erleuchtung empfing… dazwischen weiße, quaderförmige Stupas und die typischen Gebetsrollen mit tibetischen Schriftzeichen, die die Gläubigen beim Vorbeigehen drehen. In den über das Gelände verteilten Holzhäusern wohnen die Mönche, die hier arbeiten und an der Buddhistischen Universität studieren. Eines von ihnen ist die Residenz des XXIV. Pandito Chambo Lama, in die man uns nun hineinführt. Die Begegnung verlief für mich sehr anders als erwartet.

„Wer ist hier der Baron? Dann setzten Sie sich mal da hin“, sagte der Lama und wies auf einem Platz am Tisch ihm gegenüber. „Und der Übersetzer? Hier daneben!“ Eine kernige, leicht untersetzte Gestalt, die uns durchdringend mustert.
„Baron, ist das ein Titel oder Amt?“
Ein Titel sei es, meinte Herr von Gayling, von den Adelsrechten und –pflichten sei seit dem ersten Weltkrieg nichts mehr übrig.
„Haben Sie ein Schloss?“
Nun, das Schloss Ebnet in Freiburg…
„Und jagen tun Sie auch?“
Nicht er, sondern andere, es gäbe im Wald ein Jagdgrundstück…
„Wie viele Jahre können Sie ihr Adelsgeschlecht zurückverfolgen?“
Etwa tausend. In der Stimme des Gastes schwingt leichter Stolz mit.
„Das ist nichts gegen unseren Etigelov. Der erinnert sich an die letzten dreitausend Jahre. Elf Wiedergeburten! Sind Sie eigentlich Katholik oder Protestant? Und was macht einer mit Adelstitel so den ganzen Tag? Weshalb sind Sie jetzt hier?“ In diesem Stil ging es eine ganze Weile weiter, mitunter muss ich ein Lachen unterdrücken. Uns wird Tee mit Milch gereicht, eine Suppe, dann Reis und Fleisch.
„Zum ersten Mal, dass ich einem echten Baron gegenübersitze“, meinte der oberste Lama schließlich, offensichtlich von dem Titel schwer beeindruckt. „Und jetzt gehen Sie, sprechen Sie mit Etigelov!“
Jetzt wolle er aber auch einmal etwas fragen, meinte Herr von Gayling, und zwar zum Dalai Lama, dem sich ja alle Strömungen des tibetischen Buddhismus unterordnen…
„Wir ordnen uns dem Dalai Lama überhaupt nicht unter“, kommt die energische Antwort, „sondern höchstens Katharina der Großen! Sie hat mit ihrem Erlass 1764 den Buddhismus in Russland eingeführt. Das wissen Sie schon? Gehen Sie, dann trinken wir weiter Tee! Etigelov wartet!“ 

Man führt uns in den schönsten, buntesten und mit den aufwändigsten Schnitzereien verzierten Tempel auf dem Gelände, dessen Türen nur acht Mal jährlich geöffnet werden oder für besondere Gäste. Gegenüber des Eingangs, dort wo normalerweise die große Statue Buddhas oder einer sonstigen Gottheit sitzt, thront in Meditationspose eine Art Mumie, ein einbalsamierter Körper, der den Betrachter aus blinden Augenhöhlen merkwürdig anblickt.
„Haben Sie mit ihm gesprochen?“, will der Pandito Chamba Lama wissen, als wir an den Tisch in seinem Haus zurückgekehrt sind, „Haben Sie etwas gefragt? Jeden Tag gibt er eine Lehrstunde, und wir veröffentlichen diese auf Facebook.“ Zwei weitere Gäste sind inzwischen dazugekommen, den einen erkenne ich von einem Foto im Wahllokal wieder, der Kandidat der kommunistischen Partei, der am Sonntag aber leider nur fünf Prozent der Stimmen bekam. „Wir konnten die Macht nicht friedlich bekommen, also müssen wir eine Revolution machen!“, sagt der Kommunist, und mir ist unklar, inwieweit es ernst gemeint ist und ob ich es dolmetschen soll. „Übersetzen Sie nicht, was er sagt, der hat doch einen Vogel“, ruft der Lama und tippt sich mit dem Zeigefinger an die Stirn. Die Stimmung ist ausgelassen, man kennt sich offensichtlich gut.

Herr von Gayling übergibt ein paar Souvenirs aus Freiburg, man plaudert über Geschichte; Anfang der zwanziger Jahre war schon einmal ein deutschstämmiger Baron in der Baikalregion, Ungern von Sternberg, der vergeblich gegen die Bolschewiken kämpfte. Ich verlasse die Residenz des XXIV. Pandito Chambo Lama mit dem Gefühl, einen selbstbewussten und bodenständigen Menschen erlebt zu haben, eher ein unterhaltsamer Politiker als ein spirituelles Oberhaupt. Nach einem Stündchen Spaziergang über das Gelände fährt der Herr Baron Nikolaus von Gayling-Westphal zusammen mit  seinem Dolmetscher zurück nach Ulan-Ude.

Der 15jährige blinde Ludub, Pianist und Komponist
Der XXIV. Pandito Chamba Lama ist das Oberhaupt der russischen Buddhisten (Mitte); links daneben Herr Baron Nikolaus von Gayling-Westphal aus Freiburg
In diesem Tempel sitzt der 165-jährige Lama Etigelov


Montag, 11. September 2017

Auf ins dritte Jahr

Mein drittes Jahr in Ulan-Ude beginne ich als Familienmensch. Zusammen mit mir wohnen meine Freundin Niso und ihre kleine Tochter Maja, die seit dem 1. September in die Schule geht. Jeden Morgen um halb acht zieht sie ihre schicke Schuluniform an und wird von Niso in Schule Nummer eins gebracht. Drei Unterrichtsstunden gibt es in der 1. Klasse jeden Tag, danach stehen zweimal pro Woche wahlweise Schach-, Tanz- oder Gesangs-AG auf dem Plan; wir entschieden uns, Maja zur Schach-AG zu schicken. Nach dem Abendessen basteln wir aus Papier Wasserbomben, Knalltüten oder Frösche, abends vor dem Einschlafen lese ich ein Märchen aus einem illustrierten Sammelband vor – kein Grimm`sches, sondern eines von Puschkin oder Tolstoj.

Die Macht des Dolmetschers

Am letzten Freitag ist Herr Baron Nikolaus von Gayling-Westphal, Stadtrat von Freiburg und Forstwirt, in der Stadt Ulan-Ude zu einem einwöchigen Besuch eingetroffen. Herr Baron Nikolaus von Gayling-Westphal wohnt in Schloss Ebnet in Freiburg, besitzt verschiedene Ländereien in ganz Deutschland und möchte sich für partnerschaftliche Beziehungen zwischen Ulan-Ude und seiner Stadt stark machen – vielleicht kann eine Städtepartnerschaft zwischen Freiburg und der burjatischen Hauptstadt entstehen? Aus psychologischen Gründen hielt man es für angebracht, ihm während seiner Visite keinen Russen, sondern einen Deutschen als Übersetzer an die Seite zu stellen, weshalb die Wahl auf mich fiel.
Zufällig war an diesem Wochenende zugleich das 351. Jubiläum der Stadt Ulan-Ude. Egal wie krumm das Datum ist, in Russland wird der „Tag der Stadt“ jährlich gefeiert, und der Herr Baron Nikolaus von Gayling-Westphal – trotz des umständlichen Adelstitels und des anstrengenden doppelten Familiennamens ein verträglicher, ja fast gemütlicher Mensch, der sogar von mir geduzt werden wollte – war zusammen mit anderen Ehrendelegationen ins Rathaus eingeladen, um dem Bürgermeister seine Glückwünsche darzubringen. Und so fand ich mich in einem Saal mit vielen Mongolen und Chinesen wieder, Vertreter der bereits existierenden Partnerstädte Ulan-Udes, wobei die meisten wohl nur auf dem Papier existieren dürften, sozusagen mehr Stadtverwaltungspartnerschaften sind. Alexander Michailowitsch Golkov, der Bürgermeister, hielt eine kurze Ansprache, in der er die Bedeutung Ulan-Udes als blühendes Kultur-, Industrie und Touristenzentrum hervorhob; vor allem der zweite Punkt ist rätselhaft für den, der die Lage hier kennt und kann höchstens ironisch gemeint sein. Dann waren die Delegationen mit ihren kurzen, formalisierten Glückwunschansprachen an der Reihe, in die wir uns auch einreihten.
„In Freiburg haben wir das größte Weinanbaugebiet Deutschlands“, sagte Herr von Gayling und ließ eine Pause, damit ich Zeit fürs Übersetzen habe, „wir haben das älteste Restaurant Deutschlands, eine große traditionsreiche forstwirtschaftliche Fakultät und eine tolle Bundesliga-Mannschaft, den SC Freiburg! Unsere Stadt ist bereits 900 Jahre alt!“
„Wir wünschen Ihnen von ganzem Herzen alles Gute zum Jubiläum der Stadt Ulan-Ude“, übersetzte ich nach einer kurzen Sekunde der Verwirrung, „Erfolg und weiteres Aufblühen in den nächsten Jahren“ – jetzt hatte ich meine Souveränität als Dolmetscher endgültig gefunden – „und wir möchten uns ganz herzlich dafür bedanken, dass Sie uns eingeladen haben und wir heute hier dabeisein können!“ Kurzer, ehrlicher Applaus, befriedigtes Nicken auf allen Seiten, der Herr Baron nahm Platz, zufrieden über die gute Wirkung seiner Worte.
Am Nachmittag waren wir ins Opernhaus eingeladen, wo Orchester, Sänger und Balletttänzer eine halbstündige Sonderaufführung zu Ehren des hohen Besuches aus Deutschland gaben. Anschließend stand ein Kaffeetrinken mit der Direktorin des Opernhauses und dem jungen Kulturminister der Republik Burjatien auf dem Plan, eine ungezwungene, nette Plauderei über Kunst und Kultur in Freiburg und Burjatien, das Hin- und Herübersetzen machte mir durchaus Freude, auch wenn ich als einziger in der Runde nicht zum Kuchenessen kam.

Gläserne Kandidaten

Gestern habe ich meinen Bekannten Maxim ins Wahllokal begleitet zur Abstimmung über das künftige Oberhaupt der Republik Burjatien. Drei Kandidaten standen zur Auswahl; ein Plakat vor dem Wahlraum informierte über ihre Biografie, Parteizugehörigkeit und ihre persönlichen finanziellen und Eigentumsverhältnisse. So konnten die Wähler lesen, dass Aleksej Tsidenov, Kandidat von Putins führender Partei „Einiges Russland“, eine 121-Quadratmeter-Wohnung in Moskau besitzt und auf seinen acht verschiedenen Konten insgesamt 807505 Rubel liegen; es folgten ähnliche Angaben zu seiner Gattin. Der kommunistische Kandidat Batodalaj Bagdajev kommt nur auf 61 Quadratmeter und 45000 Rubel; außerdem erfuhren wir sein Transportmittel, einen koreanischen Minibus, Baujahr 1997. Wie auch schon bei der landesweiten Parlamentswahl im letzten Herbst wurden die ausgefüllten Wahlzettel sofort elektronisch ausgewertet. Die Wahlbeteiligung lag bei 41 Prozent, erfuhren wir am nächsten Tag – höher als beim letzten Mal, heißt es, ein gutes Zeichen für die Republik.

Unser neuer Mitbewohner

Seit kurzem haben wir einen neuen Mitbewohner in der Wohnung. Er heißt Primorje, kommt aus der Stadt Artjom in der Nähe von Wladiwostok und wurde 1980 geboren, genauer gesagt: gebaut, denn es handelt sich um ein Klavier. Zu Sowjetzeiten waren Klaviere ein Massenartikel und es gab sie wohl  in mindestens der gleichen Anzahl wie Fernseher, weshalb es nicht schwer war, über einen Klavierstimmer eines aufzutreiben – für umgerechnet 100 Euro inclusive Anlieferung und einmal Stimmen nach dem Aufstellen. Wir möchten gern, dass Maja an der Musikschule Klavier lernt.