Mein derzeitiges russisches Visum
gilt bis Anfang November und ist ein Einmalvisum. Sollte ich also vor lauter
Begeisterung über die tolle Steppenlandschaft versehentlich die Grenze zur
Mongolei überqueren, die nur ein paar hundert Kilometer weiter südlich liegt,
gibt es keine Chance, nach Russland zurückzukehren. Demnächst wird das Visum um
ein Jahr verlängert und in ein Mehrfachvisum umgewandelt – dann steht natürlich
ein Besuch von Ulan-Bataar auf dem Programm, und Anfang Januar auch
Heimaturlaub in Deutschland.
Um einen Arbeitsvertrag mit der
Uni zu bekommen, musste ich mir eine russische Rentenversicherungsnummer und
eine Steuernummer besorgen. Die Rentenversicherung und der Föderale
Steuerdienst bemühen sich um ein modernes, westliches Auftreten: die Kunden
ziehen eine Wartemarke und werden aufgerufen, an der Wand gibt es einen großen
Aushang, der die Leitlinien „Transparenz, Effektivität, Serviceorientierung“
erläutert. Um die Steuernummer beantragen zu können, wurde ich ins
Nachbargebäude geschickt, um dort in einem Übersetzungsbüro eine beglaubigte
Übersetzung meines Passes anfertigen zu lassen. Das Büro hieß „Nippon“, während
ich wartete, bis die junge Dame meinen Pass übersetzt hatte, studierte ich die
große Karte von China an der Wand. Offensichtlich hat man eher mit ostasiatischen
Dokumenten zu tun, die Mitarbeiterin fragte mich, was denn „Landeshauptstadt“
und „Oberbürgermeister“ bedeutet und wollte auch wissen, was „blaugrau“ heißt. Manchmal
schmunzeln die Leute hier über die Angabe der Augenfarbe -in russischen Pässen
gibt es diesen Punkt nicht.
Für die Verlängerung von Visa und
die Registrierung von Ausländern ist die Migrationsbehörde zuständig. Ich habe
mit dieser direkt nichts zu tun, das macht die Internationale Abteilung der Uni
für mich. Bei meinem letzten Besuch dort plauderte die nette Kollegin dort ein
wenig mit mir, telefonierte dann in meiner Gegenwart gemütlich mit einer
Freundin und teilte dieser mit, dass sie am nächsten Tag übrigens beabsichtige
zu kündigen, für 7000 Rubel monatlich habe sie keine Lust mehr, hierherzukommen
und an einer Sprachschule ja noch einen anderen Job. Bei offiziellen Stellen erlebe
ich oft zwei Extreme: entweder eine gelassene, nette, ins Private hineingehende
Gesprächigkeit oder eher unfreundliche, abweisende Schroffheit. Nicht üblich
ist die sachliche, geradlinige westeuropäische Höflichkeit und auch das damit
verbundene Arbeitstempo. Die Menschen haben viel weniger eine offizielle, vom
Privaten getrennte Seite ihrer Persönlichkeit entwickelt. Auskünfte werden
mitunter erstaunlich minimalistisch erteilt. Ist Galina Sergeevna da? Nein. Dass
sie aber schon in 5 Minuten wiederkommt, erfahre ich nur, wenn ich explizit die
Frage stelle, wann Galina Sergeevna wiederkommt.
Am Montag, dem 21. September
wurde ich in meiner Wohnung Zeuge eines großen Momentes. Ich saß gerade beim
Nachmittagstee, als es in den Rohren an der Wand auf einmal zu knistern und zu
rauschen begann. Wenig später begann ein rhythmisches Pochen in den
Heizkörpern, die sich mit heißem Wasser füllten: die beiden Wärmekraftwerke (auf
Russisch „TEZ“ – Teploelektrozentral) in Ulan-Ude hatten die Heizsaison 2015/16
eröffnet! Meine Heizkörper sind ziemlich modern und sogar einzeln abstellbar.
Bei älteren Modellen ist dies oft nicht möglich, man reguliert die Temperatur in den
dauerbeheizten Räumen durch das Öffnen der Fenster.
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"Ohne Papier bist du ein Kacke-Häufchen" (russisches Sprichwort): Visum, Migrationskarte, Registrierung, Rentenversicherungsausweis |