Donnerstag, 8. Oktober 2015

Pädagogik


Im Unterricht
S- russischer Student L- russischer Lehrer
S: „Wann du hast gestern gekommt nach Hause?“
L: „Nochmal. Denken Sie daran, was wir gelernt haben: Wo steht das Hilfsverb, welches Hilfsverb verwenden wir hier, wo steht das Partizip, ist es ein starkes oder ein schwaches Verb.“
S: „Wann du hast…“
L: „Wo steht das Verb im deutschen Aussagesatz? Schon vergessen? Auf Position 2. Nochmal.“
S: „Wann – hast – du“
L: „Kommen ist ein Verb der Bewegung.“
S: „Wann – bist – du –gekommt…“
L: „Erstens: kommen ist ein starkes Verb. Zweitens: wo steht das Partizip?“
S: „Am Ende. Wann – nach – Hause – gekommt?“
L: „Mein Gott. Ein STARKES Verb!“
S: „Gekommen.“
L: „Ganzen Satz!“
S: „Wann --- du bist… Entschuldigung. Wann bist – du – zuhause…“
L: „Vorhin war es richtig. Nach Hause. Also, so geht das nicht. Müssen wir mit Ihnen nochmal ganz von vorne anfangen oder was. Haben Sie die Regeln nicht gelernt? Tausendmal haben wir das durchgekaut. Was ist das Hilfsverb bei Verben der Fortbewegung? Sein. Wo steht es? Auf Platz zwei. Wo steht das Partizip? Am Ende. Welche Endung haben die Partizipien starker Verben? –en. Wohin? Nachhause. Wo? Zuhause. Muss ich mich noch hundertmal wiederholen oder wie. Oder schlafen Sie im Unterricht? Also, jetzt nochmal. Wann…?“
S: (in Gedanken) Ich hasse Deutsch! Das lerne ich nie!

Im Leben                       
S – russischer Student B – deutscher Bekannter
S: Wann du hast gestern gekommt nach Hause?“
B: Um 22 Uhr.
S: (in Gedanken) Wo war jetzt im Unterricht das Problem? Man versteht mich doch.
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Heute habe ich zum ersten Mal über ein mehr oder weniger wissenschaftliches Thema einen Vortrag auf Russisch gehalten. Auf einer Konferenz anlässlich des 10jährigen Jubiläums des Übersetzer-Lehrstuhles sprach ich vor den versammelten Kollegen zum Thema „Neue didaktische Ansätze im Fremdsprachenunterricht“. Die russische Fremdsprachenpädagogik ist traditionell sehr auf Grammatik und auf die Ausrottung von Fehlern fixiert. Die Studenten beschäftigen sich jahrelang mit Artikeln und Endungen, was nie dazu führt, dass sie eine Sprache wie das Deutsche irgendwann einmal in der Praxis anwenden können. Ich versuchte darzustellen, was „kommunikativer Ansatz im Fremdsprachenunterricht“ heißt und dass es vor allem am Anfang darauf ankommt, das „kommunikative Ziel“ zu erreichen – und das geht auch, wenn der Satz eine Menge Fehler enthält. Das oben konstruierte Beispiel soll das veranschaulichen. Das ständige Berichtigen sämtlicher Fehler baut einen psychologischen Druck auf, der sensiblere Naturen völlig verstummen lässt und auch den anderen jede Lust an der Sprache nimmt.
In meinem Unterricht versuche ich möglichst viele Übungen zu machen, bei denen sich die Studenten untereinander auf Deutsch unterhalten. Ich laufe von einem zum anderen, höre zu und berichtige hier und da, wenn der Dialog ins Stocken kommt. Für die Studenten ist das wohl auch leichter, als ständig frontal von mir gefragt zu werden und Rede und Antwort stehen zu müssen, wenn die ganze Gruppe zuhört. Außerdem spiele ich gerne Dialoge vor und lasse sie anschließend laut lesen, das Lehrbuch „Schritte“ bietet davon eine Menge an.
Ich vergleiche das Sprachenlernen gerne mit dem Gießen einer Pflanze: man muss es regelmäßig machen, jeden Tag ein bisschen, und die Pflanze wächst nicht schneller, wenn man an den Blättern zieht. Es braucht Zeit, und die wesentlichen Prozesse geschehen „im Verborgenen“. Ich umgebe die Studenten mit möglichst authentischer Sprache, und sie behalten davon etwas. Deklinationstabellen, Wortstellungsregeln und das Auswendiglernen isolierter Wörter können den Prozess des Spracherwerbs beschleunigen, aber ihn nicht alleine herbeiführen.
In einem parallel zu der Veranstaltung veröffentlichten Sammelband mit wissenschaftlichen Artikeln ist auch ein Aufsatz von mir enthalten, ein leicht überarbeitetes Kapitel meiner Masterarbeit zum Thema „Sprachlerntheorien und neue didaktische Ansätze“. Ich wurde gebeten, einen Artikel beizusteuern und war einverstanden. Anschließend stellte sich heraus, dass für den Druck von jedem Autoren 500 Rubel beizusteuern sind. Und dann musste mein Artikel noch eine „Plagiatskontrolle“ durchlaufen, die weitere 100 Rubel kostete. Nun, ich bin nicht kleinlich und an verschiedene Überraschungen hier gewöhnt.
An der Uni scheint man den Veranstaltungstyp „Konferenz“ zu mögen. Dahinter verbirgt sich nicht unbedingt eine große Sache, oft geht es recht informell zu mit dem üblichen Zuspätkommen und während der Veranstaltung telefonieren. Noch besser als eine Konferenz ist eine „Konferenz mit internationaler Beteiligung“, das heißt, es gibt mindestens einen Gast aus dem Ausland, der aktiv auftritt oder auch einfach nur dabei ist.
Leider war nach meinem Vortrag keine Zeit mehr für eine Diskussion, da ich zu meinem Hauslektüre-Kurs hetzen musste. Von den fünf anwesenden Studentinnen hatten zwei den Text (eine Novelle von Stefan Zweig) nicht gelesen, die zwei Chinesinnen hatten ihn nicht verstanden, und eine sehr gute Studentin hatte ihn bis zu Ende gelesen, obwohl nur die Hälfte gelesen werden musste. Trotzdem gelang es mir irgendwie, einen netten und lebendigen Unterricht zu machen, ich las einfach die entscheidenden Stellen noch einmal langsam vor und wir übersetzten Schritt für Schritt gemeinsam. So verwandelt sich der Literaturkurs in eine Übersetzungsübung – so sind eben die Realitäten, an die ich mich anpassen muss.


"Bücher aus dem Schrank nehmen verboten, Strafe 50 Rubel" (Zettel an einem leeren Schrank)
"Nicht mit Sonnenblumenkernen ins Gebäude kommen. Strafe 4 Arbeitsstunden" (Zettel an einem Uni-Eingang)