Mittwoch, 7. Oktober 2015

Essen

In Russland wird weniger nebenbei gegessen als in Deutschland. Noch nie habe ich in Ulan-Ude jemanden gesehen, der im Bus beiläufig einen Apfel auspackt oder mit einem Burger in der Hand durch die Stadt läuft. Nur höchst selten steht jemand mit einem Coffee-to-go-Becher an der Haltestelle. Die Nahrungseinnahme ist eine größere Aktion, für die man sich hinsetzt, und – unbedingtes Gebot – vorher die Hände wäscht. Oft sieht man in Cafés an der Wand kleine Waschbecken, damit die Leute dafür nicht extra die Toilettenräume betreten müssen.
Wenn Studenten in mein Büro zur Beratung kommen, dann stellen sie ihre Tasche nicht auf den Fußboden, sondern lassen sie während des ganzen Gespräches auf dem Schoß. In russischen Wohnungen werden konsequent und sofort die Straßenschuhe gegen Pantoffeln getauscht. Wie auch das Nicht-Nebenbei-Essen und konsequente Händewaschen sind das Erscheinungen, die wohl im Zusammenhang stehen damit, dass der öffentliche Raum generell als unhygienischer Bereich wahrgenommen wird, von dem man sich abgrenzen muss.
In Ulan-Ude gibt es eine große Menge von großen und kleinen Cafés und Restaurants. Ein typisches Restaurant nach russischem Verständnis ist eine eher noble Angelegenheit, man gibt an einer Garderobe die Jacke ab und bekommt einen Tisch zugewiesen. Alles, was einfacher (und mir viel sympathischer) ist, läuft unter der Bezeichnung „Café“. Viele von ihnen heißen „Stolovaja“ und funktionieren nach dem Mensa-Prinzip, das heißt, man schiebt sein Tablett an den aufgereihten Speisen entlang, bekommt herausgereicht, was man will bzw. nimmt sich Salate und süße Nachspeisen selbst. Ein klassisches russisches Mittagessen hat unbedingt mehrere Komponenten: Vorspeise – ein Salat (mit viel fettiger Majonnaise), erster Gang – eine Suppe, zweiter Gang – die Hauptspeise (z.B. Fleisch und Beilage), dann Kuchen und Tee. Mit Messern ist man auffallend sparsam, oft gibt es sie nicht oder nur auf Nachfrage. Ich gehe fast an jedem Arbeitstag in der Mittagspause essen, meistens in das kleine Café „Maslenniza“ gegenüber der Uni: hier ist es etwas teurer (umgerechnet 2 Euro für ein Mittag mit mehreren Gängen statt 1,50 € anderswo), dafür nicht so überfüllt.
Sehr deutsche Preise muss ich allerdings bezahlen, wenn ich mir im Delikatessenladen losen Darjeeling oder frisch gemahlenen Kaffee besorge – die traditionellen Begleiter meiner Frühschicht am Schreibtisch. Zum anschließenden Frühstück koche ich mir an meinem E-Herd ein Kascha (meistens Buchweizengrütze) oder brate mir eine Kartoffel-Gemüsepfanne, dazu gibt es Kräutertee (in Russland nicht im Supermarkt, sondern fast nur in der Apotheke zu haben). Wenn ich abends zuhause bin, gibt es z.B. Brot mit Butter und Buchweizenhonig, frisch vom Markt.
Das Thema Essen habe ich auch mit meinen Master-Studenten besprochen. Sie haben mich noch auf einen Unterschied aufmerksam gemacht: Deutsche essen den Teller meistens ordentlich leer. Für Russen ist es weniger ein Problem, einen Rest übrigzulassen und wegzuwerfen.
Brot wird hier ständig gegessen, aber nicht als alleinige Grundlage einer Mahlzeit, sondern zur warmen Speise dazu. Dünne Brotscheibchen, kultiviert mit cremiger Butter bestrichen und belegt mit hauchzarten Scheibchen Käse oder Wurst, sind ein sehr deutsches Phänomen. „Eine Scheibe Brot“ klingt für Russen – wörtlich übersetzt – eher merkwürdig. Es wird in Stücken gereicht, ein Stück Brot (kusók chléba) entspricht etwa einer viertel Scheibe.
Auf den Märkten und in Geschäften findet man oft große, bauchige, mit Saft gefüllte Gläser und der Aufschrift „Kompott“. Kompott auf Russisch bedeutet nicht „Früchte im eigenen Saft“, sondern „Fruchtsaft mit gelegentlich ein paar darin schwimmenden Früchten“.
Bei meinem letzten Besuch auf dem Zentralnyj rynok (Zentraler Markt) blieb ich unschlüssig vor einem der tausend Stände stehen und wurde von der Verkäuferin angesprochen. „Sie sind der erste männliche Kunde heute“, sagte sie, „kaufen Sie etwas, ich gebe ihnen einen Rabatt.“ Ich entschied mich für Pinienharz-Klümpchen (zum Selberherstellen heilsamer Cremes und angeblich auch einfach so zum Lutschen) und Faulbaumrinden-Pulver (eigenartig süß, zum Backen oder mit Zucker und Smetana pur verspeisen). Nachdem ich die Geldscheine überreicht hatte, wischte die Verkäuferin damit über ihre aufgetürmte Ware – ein Brauch, den ich schon oft beobachtet habe und der Geschäftsglück bringen soll.
Russische Teigwaren: Prjanniki (Kekse mit Mandelgeschmack), Borodinski-Brot (mit Korander), Suschki (trockene Kekse)
Lecker: Borschtsch (Rote-Beete-Suppe mit Weißkohl und Fleisch) mit Majonnaise und Brot
Russische Milchprodukte: man beachte die Schokoladenbutter (links)
Das Thema "Essen" im Unterricht