In Russland wird weniger nebenbei gegessen als in Deutschland.
Noch nie habe ich in Ulan-Ude jemanden gesehen, der im Bus beiläufig einen Apfel
auspackt oder mit einem Burger in der Hand durch die Stadt läuft. Nur höchst
selten steht jemand mit einem Coffee-to-go-Becher an der Haltestelle. Die
Nahrungseinnahme ist eine größere Aktion, für die man sich hinsetzt, und –
unbedingtes Gebot – vorher die Hände wäscht. Oft sieht man in Cafés an der Wand
kleine Waschbecken, damit die Leute dafür nicht extra die Toilettenräume
betreten müssen.
Wenn Studenten in mein Büro zur
Beratung kommen, dann stellen sie ihre Tasche nicht auf den Fußboden, sondern
lassen sie während des ganzen Gespräches auf dem Schoß. In russischen Wohnungen
werden konsequent und sofort die Straßenschuhe gegen Pantoffeln getauscht. Wie
auch das Nicht-Nebenbei-Essen und konsequente Händewaschen sind das
Erscheinungen, die wohl im Zusammenhang stehen damit, dass der öffentliche Raum
generell als unhygienischer Bereich wahrgenommen wird, von dem man sich abgrenzen
muss.
In Ulan-Ude gibt es eine große
Menge von großen und kleinen Cafés und Restaurants. Ein typisches Restaurant
nach russischem Verständnis ist eine eher noble Angelegenheit, man gibt an
einer Garderobe die Jacke ab und bekommt einen Tisch zugewiesen. Alles, was einfacher
(und mir viel sympathischer) ist, läuft unter der Bezeichnung „Café“. Viele von
ihnen heißen „Stolovaja“ und funktionieren nach dem Mensa-Prinzip, das heißt,
man schiebt sein Tablett an den aufgereihten Speisen entlang, bekommt
herausgereicht, was man will bzw. nimmt sich Salate und süße Nachspeisen
selbst. Ein klassisches russisches Mittagessen hat unbedingt mehrere
Komponenten: Vorspeise – ein Salat (mit viel fettiger Majonnaise), erster Gang
– eine Suppe, zweiter Gang – die Hauptspeise (z.B. Fleisch und Beilage), dann
Kuchen und Tee. Mit Messern ist man auffallend sparsam, oft gibt es sie nicht
oder nur auf Nachfrage. Ich gehe fast an jedem Arbeitstag in der Mittagspause
essen, meistens in das kleine Café „Maslenniza“ gegenüber der Uni: hier ist es
etwas teurer (umgerechnet 2 Euro für ein Mittag mit mehreren Gängen statt 1,50
€ anderswo), dafür nicht so überfüllt.
Sehr deutsche Preise muss ich
allerdings bezahlen, wenn ich mir im Delikatessenladen losen Darjeeling oder
frisch gemahlenen Kaffee besorge – die traditionellen Begleiter meiner
Frühschicht am Schreibtisch. Zum anschließenden Frühstück koche ich mir an
meinem E-Herd ein Kascha (meistens Buchweizengrütze) oder brate mir eine
Kartoffel-Gemüsepfanne, dazu gibt es Kräutertee (in Russland nicht im
Supermarkt, sondern fast nur in der Apotheke zu haben). Wenn ich abends zuhause
bin, gibt es z.B. Brot mit Butter und Buchweizenhonig, frisch vom Markt.
Das Thema Essen habe ich auch mit
meinen Master-Studenten besprochen. Sie haben mich noch auf einen Unterschied
aufmerksam gemacht: Deutsche essen den Teller meistens ordentlich leer. Für
Russen ist es weniger ein Problem, einen Rest übrigzulassen und wegzuwerfen.
Brot wird hier ständig gegessen,
aber nicht als alleinige Grundlage einer Mahlzeit, sondern zur warmen Speise
dazu. Dünne Brotscheibchen, kultiviert mit cremiger Butter bestrichen und belegt
mit hauchzarten Scheibchen Käse oder Wurst, sind ein sehr deutsches Phänomen. „Eine
Scheibe Brot“ klingt für Russen – wörtlich übersetzt – eher merkwürdig. Es wird
in Stücken gereicht, ein Stück Brot (kusók chléba) entspricht etwa einer
viertel Scheibe.
Auf den Märkten und in Geschäften
findet man oft große, bauchige, mit Saft gefüllte Gläser und der Aufschrift „Kompott“.
Kompott auf Russisch bedeutet nicht „Früchte im eigenen Saft“, sondern „Fruchtsaft
mit gelegentlich ein paar darin schwimmenden Früchten“.
Bei meinem letzten Besuch auf dem
Zentralnyj rynok (Zentraler Markt) blieb
ich unschlüssig vor einem der tausend Stände stehen und wurde von der
Verkäuferin angesprochen. „Sie sind der erste männliche Kunde heute“, sagte
sie, „kaufen Sie etwas, ich gebe ihnen einen Rabatt.“ Ich entschied mich für
Pinienharz-Klümpchen (zum Selberherstellen heilsamer Cremes und angeblich auch
einfach so zum Lutschen) und Faulbaumrinden-Pulver (eigenartig süß, zum Backen
oder mit Zucker und Smetana pur verspeisen). Nachdem ich die Geldscheine
überreicht hatte, wischte die Verkäuferin damit über ihre aufgetürmte Ware –
ein Brauch, den ich schon oft beobachtet habe und der Geschäftsglück bringen
soll.
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Russische Teigwaren: Prjanniki (Kekse mit Mandelgeschmack), Borodinski-Brot (mit Korander), Suschki (trockene Kekse) |
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Lecker: Borschtsch (Rote-Beete-Suppe mit Weißkohl und Fleisch) mit Majonnaise und Brot |
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Russische Milchprodukte: man beachte die Schokoladenbutter (links) |
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Das Thema "Essen" im Unterricht |