Montag, 26. Oktober 2015

Gorjátschinsk



Gelegentlich wird darüber geschrieben, dass in Russland Müll in der Natur herumläge. Sicher ist das nicht ganz unwahr, doch warum das Böse erwähnen, wenn es Gutes in Hülle und Fülle gibt? Es überwiegt die reine, grandiose, von Menschen unberührte Natur – gerade auch hier in Sibirien.
Am Wochenende habe ich einen Ausflug nach Gorjatschinsk gemacht. Das Dorf liegt 150 Kilometer nördlich von Ulan-Ude an einer schönen Stelle des Baikalsee-Ufers mit breiten sandigen Stränden, die sich dünenartig aufwerfen und an die sich ein romantisch-wildes Hinterland anschließt mit knorrigen Kiefern, jungen Birken und gelb leuchtenden Lärchen. Hauptattraktion von Gorjatschinsk ist ein Heilbad mit einer über 50 Grad heißen stickstoff-, kieselsäure- und schwefelhaltigen  Quelle. Schon zu Zarenzeiten war das Dorf als Kurort berühmt, vor fast 200 Jahren ließen sich hier einige Dekabristen heilen. Nach zweieinhalb Stunden Marschrutka-Fahrt begab ich mich zuerst zum Herzstück des Heilbades, der Quelle, die in dem klaren, kalten Herbsttag aufgrund des großen Temperaturunterschiedes zur Luft einen geheimnisvollen Nebel verströmte. Ich setzte mich auf einen Stein und steckte meine Füße und Hände in das flache Wasser und den heißen Heilschlamm – herrlich.
Am Ufer des Baikalsees spazierend, baten mich drei vergnügte ältere Damen, sie zu fotografieren. Als sie erfuhren, dass ich noch keine Übernachtung gebucht hatte, nahmen sie mich gleich mit zur diensthabenden Krankenschwester des Heilbades, bei der ich für sehr günstige 250 Rubel ein spartanisches Zimmer in einem der Sanatoriums-Gebäude buchte mit drei Betten - aber ich war dort zum Glück der einzige Gast.
Auf dem Rückweg trampte ich und erlebte eine echte Überraschung: in der Nacht von Samstag auf Sonntag hatte es einen Wettersturz gegeben, und neben der sich bergauf windenden Straße war die Landschaft auf einmal von einer dünnen Schneeschicht bedeckt. Wir fuhren durch einige halb verfallene, heruntergekommene Dörfer. „Dort gibt es nur noch ein paar Rentner, die Jugend ist weggezogen“, erklärte mir die nette junge Frau am Steuer, „es gibt nicht mal einen Bankautomaten. Die Postfrau geht von Tür zu Tür, zahlt die Renten aus und kassiert die Stromgebühren. Sonst passiert nichts.“ In Turuntajewo gerieten wir in eine Polizeikontrolle. Der Polizist warf einen kurzen Blick auf unsere Sommerreifen und bedeutete uns mit seinem Stab, umzukehren, „so kommt ihr hier nicht weiter.“ Es stellte sich heraus, dass der vor uns liegende Pass wegen Glatteis gesperrt ist und wir einen Umweg fahren mussten, verbunden mit einer Fährüberfahrt über den Fluss Selenga. Während der halbstündigen Überfahrt blieb ich trotz Kälte an Deck stehen, bewunderte die nicht hohen, weißen Berge links und rechts und ließ mir den sibirischen Wind in die Knochen blasen: jetzt hat die kalte Jahreszeit begonnen, der Mantel kann weg, Zeit für Daunenjacke, Schal, Mütze und Thermoskanne.
Die dampfende Heilquelle in Gorjatschinsk
Meine Füße im Heilschlamm
Eingang zum "Kurort" (deutsch: Heilbad)
Buddistische Tradition: Fähnchengeschmückter Baum
Dünenartige Uferlandschaft
Der Schal als Symbol burjatischer Gastfreundschaft
...und plötzlich begann das Wintermärchen: Rückfahrt mit der Fähre durch eine Schneelandschaft