Gelegentlich wird darüber
geschrieben, dass in Russland Müll in der Natur herumläge. Sicher ist das nicht
ganz unwahr, doch warum das Böse erwähnen, wenn es Gutes in Hülle und Fülle
gibt? Es überwiegt die reine, grandiose, von Menschen unberührte Natur – gerade
auch hier in Sibirien.
Am Wochenende habe ich einen
Ausflug nach Gorjatschinsk gemacht. Das Dorf liegt 150 Kilometer nördlich von
Ulan-Ude an einer schönen Stelle des Baikalsee-Ufers mit breiten sandigen
Stränden, die sich dünenartig aufwerfen und an die sich ein romantisch-wildes
Hinterland anschließt mit knorrigen Kiefern, jungen Birken und gelb leuchtenden
Lärchen. Hauptattraktion von Gorjatschinsk ist ein Heilbad mit einer über 50
Grad heißen stickstoff-, kieselsäure- und schwefelhaltigen Quelle. Schon zu Zarenzeiten war das Dorf
als Kurort berühmt, vor fast 200 Jahren ließen sich hier einige Dekabristen heilen.
Nach zweieinhalb Stunden Marschrutka-Fahrt begab ich mich zuerst zum Herzstück
des Heilbades, der Quelle, die in dem klaren, kalten Herbsttag aufgrund des großen Temperaturunterschiedes zur Luft einen
geheimnisvollen Nebel verströmte. Ich setzte mich auf einen Stein und steckte
meine Füße und Hände in das flache Wasser und den heißen Heilschlamm – herrlich.
Am Ufer des Baikalsees
spazierend, baten mich drei vergnügte ältere Damen, sie zu fotografieren. Als
sie erfuhren, dass ich noch keine Übernachtung gebucht hatte, nahmen sie mich
gleich mit zur diensthabenden Krankenschwester des Heilbades, bei der ich für
sehr günstige 250 Rubel ein spartanisches Zimmer in einem der Sanatoriums-Gebäude buchte mit
drei Betten - aber ich war dort zum Glück der einzige Gast.
Auf dem Rückweg trampte ich und
erlebte eine echte Überraschung: in der Nacht von Samstag auf Sonntag hatte es
einen Wettersturz gegeben, und neben der sich bergauf windenden Straße war die
Landschaft auf einmal von einer dünnen Schneeschicht bedeckt. Wir fuhren durch
einige halb verfallene, heruntergekommene Dörfer. „Dort gibt es nur noch ein
paar Rentner, die Jugend ist weggezogen“, erklärte mir die nette junge Frau am
Steuer, „es gibt nicht mal einen Bankautomaten. Die Postfrau geht von Tür zu
Tür, zahlt die Renten aus und kassiert die Stromgebühren. Sonst passiert nichts.“
In Turuntajewo gerieten wir in eine Polizeikontrolle. Der Polizist warf einen
kurzen Blick auf unsere Sommerreifen und bedeutete uns mit seinem Stab,
umzukehren, „so kommt ihr hier nicht weiter.“ Es stellte sich heraus, dass der
vor uns liegende Pass wegen Glatteis gesperrt ist und wir einen Umweg fahren mussten,
verbunden mit einer Fährüberfahrt über den Fluss Selenga. Während der
halbstündigen Überfahrt blieb ich trotz Kälte an Deck stehen, bewunderte die nicht
hohen, weißen Berge links und rechts und ließ mir den sibirischen Wind in die
Knochen blasen: jetzt hat die kalte Jahreszeit begonnen, der Mantel kann weg,
Zeit für Daunenjacke, Schal, Mütze und Thermoskanne.
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Die dampfende Heilquelle in Gorjatschinsk |
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Meine Füße im Heilschlamm |
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Eingang zum "Kurort" (deutsch: Heilbad) |
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Buddistische Tradition: Fähnchengeschmückter Baum |
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Dünenartige Uferlandschaft |
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Der Schal als Symbol burjatischer Gastfreundschaft |
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...und plötzlich begann das Wintermärchen: Rückfahrt mit der Fähre durch eine Schneelandschaft |