An meinem Haus gibt es nicht nur
keine Mülltrennung, sondern auch keine Mülltonnen. Um den Abfall wegzubringen,
gehe ich zwei Häuserzeilen weiter und werfe ihn in einen der Metallcontainer,
die einem Spielplatz gegenüber aufgestellt sind. Manchmal sieht es dort ganz
ordentlich aus, und manchmal furchtbar: der Müll liegt nicht in, sondern neben
den Containern und wird von Hunden, Krähen und heruntergekommenen Gestalten
durchsucht, die sich dort anscheinend noch etwas Brauchbares erhoffen.
Das Zentrum von Ulan-Ude macht
insgesamt einen recht sauberen Eindruck. Auf meinem morgendlichen Arbeitsweg
sehe ich Reinigungskräfte in orangenen Westen, die mit Reisigbesen die Straße
oder den Bordstein fegen. Jogge ich allerdings eine Runde stadtauswärts,
dorthin, wo die fünfgeschossigen steinernen Chruschtschovkas kleineren
Holzhäusern weichen, komme ich an regelrechten wilden Müllhalden vorbei. Auch
nach 10 Jahren Russlandgewöhnung kann ich nicht verstehen: Warum zum Teufel
stört die Leute das nicht? Wie kann man nur neben einem ekelhaften Berg von
Metallschrott und Plastikabfällen wohnen, vom Wind breitgeweht und von lausigen
Kötern zerwühlt? Es muss zu tun haben mit der strikten Trennung von privatem
und öffentlichem Raum. Der Privatraum beginnt hinter dem hohen Holzzaun. Der
öffentliche Raum davor ist Niemandsland, er interessiert nicht. Im Zentrum nimmt
sich die Stadtverwaltung seiner an und macht ihn schick, damit er repräsentativ
und vorzeigbar aussieht. Etwas weiter außerhalb hört das Bewusstsein für
öffentliche Sauberkeit auf.
Manchmal allerdings sind auch die
Zustände hinter dem hohen Holzzaun gruselig. Am letzten Wochenende bin ich mit
Maxim zur Datsche gejoggt, die ihm und seiner Mutter gehört, in der
Datschensiedlung „Frühling“ auf der anderen Flussseite. In den Holzhäusern mit
Gartengrundstück darum wohnt man in der Regel im Sommer, manche Leute auch
ganzjährig. Auf dem Hinweg kamen wir an einigen toten Hunden vorbei, die am
Rande des staubigen Weges lagen. „So etwas gab es nicht mal im Krieg“,
schimpfte ein altes Mütterchen vor sich hin. „Unter der Sowjetmacht war so
etwas nicht möglich!“ – „Wahrscheinlich vergiftet“, meinte Maxim und zuckte die
Achseln. Er hatte mich schon darauf vorbereitet, dass der Garten seiner Datsche
sehr verwildert sei, in den letzten Jahren hatten weder er noch die Mutter
Zeit, dort etwas zu tun. Ich freute mich darauf, einen Ort zu finden, um etwas
Gartenarbeit machen zu können. Maxim griff durch ein Loch in der Tür, zog einen
sich auf der anderen Seite befindlichen Nagel heraus, und wir betraten das
Grundstück: ziemlich zugewuchert, zwei Glas-Gewächshäuser, außer der Datsche
noch ein Banja-Häuschen, in der Mitte ein Brunnenloch mit mechanischer Pumpe. „Du
kannst hier im Garten arbeiten und wohnen, wenn Du willst“, sagte Maxim, „Strom
können wir dir noch legen.“ – „Mal sehen“, erwiderte ich, „vorher muss erstmal
das alles hier weg“, und wies auf einen verrottenden Sessel, einen schrottigen
Kühlschrank, Glasscherben, undefinierbare Metall- und stinkende Polsterteile
und weitere nicht beschreibbare gammelige Relikte wahrscheinlich noch aus
Vorkriegszeiten, die sich neben dem Eingang auftürmten. „Vielleicht fangen wir
gleich mal an?“ Mein Freund fand die Idee nicht schlecht, und so stellten wir
einen Teil an den Weg, wo es die angeblich tatsächlich existierende Müllabfuhr
mitnehmen sollte. Ich schaute mich weiter um, öffnete die Tür zur Garage und
schloss sie gleich wieder, hochgradig angewidert. Maxim verstand meinen
Gesichtsausdruck. „Ja, da drin sind auch paar alte Dinge, das machen wir dann
das nächste Mal…“
Die russische Bevölkerung hat die
regelmäßige Heimsuchung durch Wirtschaftskrisen so im Blut, dass Dinge oft
nicht weggeworfen werden - man könnte sie ja noch einmal gebrauchen. Das sehe
ich auch bei mir am Institut. Hinter seit Jahren nicht geöffneten Schranktüren
türmen sich verstaubte Zeitschriftenjahrgänge aus den 90er Jahren, zehn Jahre
alte deutsche Verlagsprospekte und aktuelle Adressverzeichnisse deutscher Unis
von 2007. Schlimmer noch finde ich altes landeskundliches Material und Uralt-Wörterbücher,
die einem Studenten zuzumuten einfach verboten ist. Manchmal, wenn gerade
keiner hinschaut, nehme ich einen Stapel und lasse ihn in der Mülltonne hinter
dem Haus verschwinden.
Wenn ich Russen auf das
Müllproblem anspreche, schütteln sie in der Regel den Kopf und stimmen mir zu:
jaja, das ist schlimm bei uns. Vielleicht ist das Land einfach zu groß, als
dass Umweltbewusstsein entstehen konnte. Leider sieht es auch am Baikalsee in
der Nähe der Dörfer oft nicht so schön aus. Wenn ein Ort vermüllt ist, dann
geht die nächste Feriengruppe 100 Meter weiter, da ist es dann sauber – bevor die
Gruppe da war.