Sonntag, 4. Oktober 2015

Küche statt Krim



In Novosibirsk kam ich mit Kollegen aus anderen sibirischen Städten zusammen, eine bunte Gruppe Deutscher verschiedensten Alters, die an Schulen, Sprachlernzentren oder wie ich an einer Universität tätig sind. Wir trafen uns im deutschen Generalkonsulat. Gerade in der heutigen Zeit, gerade in Zeiten politischer Spannungen ist Ihre Arbeit besonders wichtig, meinte der Konsul zu uns, die Zusammenarbeit im kulturellen Bereich muss weitergehen, noch stärker als zuvor. In kleiner interner Runde wurde uns eingeschärft, mit Studenten keine aktuelle Politik zu besprechen. Unterhaltet euch über die Vorzüge und Eigenheiten der deutschen Küche, die Besonderheiten des Oktoberfestes oder die Geschichte der deutschen Demokratie zur Zeit der Weimarer Republik – aber fangt nicht an, das russische Parteiensystem kritisch zu beleuchten oder über die Rechtmäßigkeit des Krim-Referendums zu diskutieren, hieß die Botschaft. Sonst kann es schnell einmal passieren, dass der Rektor den jährlichen Arbeitsvertrag nicht verlängert, wie neulich bei einem Kollegen geschehen.
Abends lud der Konsul zu einem großen Empfang in ein nobles Hotel und hielt eine Rede anlässlich des 25-jährigen Jahrestages der Deutschen Einheit, völlig frei und in hervorragendem Russisch. Der Novosibirsker Bürgermeister und diverse andere Amtsträger traten auf, gratulierten ihm, sprachen versöhnliche Worte und lobten – zu meinem nicht geringen Erstaunen – die Bemühungen Deutschlands bei der Lösung der Syrienkrise und des Ukrainekonfliktes.
Zum Frühstück habe ich heute einen Döner gegessen. „Djoner“ gibt es hier unter dieser Bezeichnung noch nicht lange. Statt einem Türken, der in gestresster Windeseile den Salat in die Brottasche einwirft und dazu „Mit alles? - Kräuter-Knoblauch-Scharf?“ fragt, hatte ich es mit einer gemütlichen Kirgisin zu tun, die sich für die Zubereitung 10 Minuten Zeit ließ, nebenbei noch telefonierte und etwas irritiert war, weil ich die vegetarische Variante wollte.
Nun sitze ich am Flughafen Tolmatschovo, lese den hervorragenden Sibirien-Reisebericht des englischen Schriftstellers Colin Thubron und warte auf die S7-Maschine zurück nach Ulan-Ude. Ich bin gespannt, ob die Flugbegleiterin beim Austeilen des Essens wieder meine Lieblingsfrage stellen wird: „Huhn oder Fleisch?“

Hübsch: Kapelle zwischen den Fahrspuren einer Hauptstraße
Alt: Gebäude des Deutschen Konsulats in Novosibirsk
Neu: Döner-Container