Eindrücke von einer Reise nach Tadschikistan, Teil 1
Vor mir befindet sich eine Wand. Wenn ich meinen
Kopf in den Nacken lege, sehe ich oben den blauen, von weißen Wolken
durchzogenen Himmel. Schaue ich nach unten, fällt mein Blick auf einen
schmalen, braunen, schnell dahinschäumenden Fluss, der mich von der Wand trennt
und dessen manchmal von Vogelgezwitscher übertöntes Rauschen bis zu mir
heraufdringt. Oberhalb von mir ist die Wand schwarzbraun und nur gelegentlich
von gelbgrünen Tupfern bedeckt, auf Augenhöhe erstreckt sich ein sattgrüner,
horizontaler Streifen, darunter lehmiges Gelbbraun, dann das gleich
Schwarzbraun wie oben, ganz unten – der Fluss.
Die Wand ist eigentlich keine Wand, sondern ein
Hang. Der Hang ist in seiner wechselhaften Steilheit kaum abzuschätzen,
irgendwo in Wolkennähe läuft er in kilometerhohen Berggipfeln aus. Das Leben
spielt sich in dem schmalen grünen Streifen ab, zwischen schroffem Bergschwarz
und reißendem Flussbraun. Bewachsen ist der Streifen mit Granatapfelbäumen,
Pistazien und Maulbeeren, zwischen denen sich kleine Lehmhütten erspähen lassen
und Zäune aus sorgfältig aufeinandergeschichteten, unregelmäßig geformten
Steinen, die kleine Felder unterschiedlicher Gelb- und Grüntöne umschließen.
Auf einer Schotterpiste fährt gelegentlich ein Motorrad und spazieren Esel in
Begleitung junger Bauern oder in lange, farbige Kleider gehüllte Frauen mit
Kopftuch.
Jetzt gerade werden Flussrauschen und
Vogelgezwitscher vom durchdringenden Röhren eines Esels übertönt. Neben mir
taucht ein junger Mann einen schwarzen Gummischlauch in ein Benzinfass, bückt
sich und saugt mit dem Mund an, um das Benzin in ein kleineres Plastikgefäß
umzufüllen. Er verzieht kurz das Gesicht, spuckt aus und kippt die Flüssigkeit dann
aus dem Gefäß durch einen Trichter in die Einfüllöffnung eines mit großen
weißen Säcken schwer beladenen russischen KAMAS-Lastwagens.
„Nimm sie doch mit, die haben viel Geld“, sagt der
Benzinansauger zum Fahrer des Lastwagens mit einem Kopfnicken zur Seite in
unsere Richtung, nicht ahnend, dass Niso seine Sprache versteht.
„Ich habe auch ohne die schon Übergewicht“, kommt
die Antwort, und nach einer Weile sehen wir den KAMAS auf der unbefestigten
Piste ohne uns davonrumpeln, sorgfältig entlang des Abgrunds manövrierend, der
unsere Seite vom Hang am jenseitigen Flussufer trennt.
Wir betrachten die Wand schon seit drei Stunden. Es
ist angenehm kühl, gelegentlich kommt die Sonne hervor, bis Wolken wieder
wohltuenden Schatten spenden. Leichter Benzin- und Gummigeruch liegt in der
Luft, die kleine Bude neben uns würde wohl eine Art Imbiss sein, wenn nicht
gerade Ramadan wäre und tagsüber
niemand etwas zu sich nähme. Uns ist zumute, als schauen wir in ein riesiges
Schaufenster in eine fremde Welt, in die hier keine Brücke, keine Fähre und kein
Boot führen, eine Welt, die wir nur staunend aus der Ferne betrachten können.
Manchmal winkt jemand, dann winken wir zurück.
Alle halbe Stunde war bisher ein Auto hinter uns
vorbeigekommen, nur leider immer in der falschen Richtung unterwegs. Nun
endlich hält ein schwerer Truck, der das gleiche Ziel wie wir zu haben scheint.
Der Fahrer springt heraus, erfrischt sich kurz am Wasserschlauch mit klarem
Bergwasser und bedeutet uns mit einer knappen Geste, einzusteigen.
Auf in den Pamir! Wir reißen uns los vom Anblick
Afghanistans und der Berge des Hindukush, greifen nach unseren Rucksäcken und
klettern in die Fahrerkabine.
Eine Viehherde klettert den Hang auf der afghanischen Seite des Grenzflusses Pandzh herauf |