Eindrücke von einer Reise nach Tadschikistan, Teil 3
Niso und ich sitzen geduldig auf unseren staubigen
Rucksäcken am Straßenrand und warten auf eine Mitfahrgelegenheit. Die
Fernstraße wurde von chinesischen Arbeitern hervorragend asphaltiert, in
Unterschätzung der Naturgewalten allerdings nicht genügend gegen Steinschlag
und Schlammlawinen abgesichert, weshalb die Autobahnqualität immer wieder durch
wüste, irgendwo von ganz oben herabgerutschte Geröllstreifen unterbrochen wird.
Am Hang uns gegenüber sind fünf Hirten damit beschäftigt, mit Schreien und
Steinwürfen ihre Ziegen und Schafe in die gewünschte Richtung zu treiben,
darunter auch zwölf Esel, davon sechs schwermit auf beiden Seiten des Rückens
herunterhängenden Taschen beladen, an die außerdem je ein langer, hinter ihnen
auf der Erde schleifender und so als Bremse fungierender Stock gebunden wurde.
„Hundertsechsunddreißig!“, hören wir es brüllen –
wahrscheinlich haben die Hirten ihre Herde gerade durchgezählt. Neben uns kommt
ein russischer AUS-Geländewagen zum Stehen. Ein Mann mit cowboyartigem Hut
steigt aus, öffnet den Kofferraum und holt, eines nach dem anderen, kleine
Zicklein hervor und setzt sie neben die Fahrbahn ins gelbgrüne Gras. Dann
stellt er einen kniehohen Flüssiggasbehälter vor die Motorhaube, schraubt einen
Aufsatz darauf und versucht, eine Flamme zum Teekochen zu entzünden, jedoch
vergeblich. Nach mehreren Versuchen, den Aufsatz mit einem spitzen Gegenstand
zu reinigen, wirft er die Streichholzschachtel auf den Boden, lässt sich vor
der Motorhaube niedersinken und lacht mich an.
„Na, das wird wohl heute nichts mehr mit dem Tee“,
rufe ich fröhlich.
Der Mann mit dem Cowboyhut winkt mich zu sich und
wirft mir die Streichholzschachtel zu. Seit drei Tagen sei er unterwegs, um die
Tiere zur Sommerweide in die Berge zu bringen, völlig erschöpft schon, und
jetzt klappt es nicht mal mit dem Tee.
„Robustes Auto“, sage ich anerkennend und klopfe
auf das Blech seines UAS-Geländewagens, ihm nach dem dritte Versuch die
Streichhölzer zurückgebend, „besser als mein Niva“.
„Schlechtes Gas“, sagt der Mann mit dem Cowboyhut
und versetzt dem Propanbehälter einen Tritt. Wir lachen.
Fast hätte ich den LKW übersehen, der sich die
Serpentinen herunter und auf uns zu schiebt. Ob ein Fernfahrer Tramper wie uns
mitnimmt? Ich strecke den Arm aus, er hält. Ein Abschiedswinken für Cowboyhut,
Zicklein und Tee, dann sitzen wir in einem Truck der chinesischen Marke Shacman
und rütteln davon.
Für meine Frau erfüllt sich gerade ein Traum: sie
sitzt zum ersten Mal neben einem Fernfahrer im Einsatz. Ich habe etwas weiter
hinten auf dem Bett Platz genommen und beobachte Niso, wie sie fasziniert die
sich parallel zum Grenzfluss Pandzh am Steilhang entlangschlängelnde Straße betrachtet.
Der Mann am Steuer hat eine typisch muslimische Kopfbedeckung, eine Takke auf
dem Kopf, beantwortet knapp meine Fragen nach seinem Transportgut – er fährt leer
nach China und wird mit Kleidung und Spielzeug befüllt zurückkommen – und
schweigt.
Nach dem von Chinesen verlegten kommt iranischer
Asphalt, dann Schotterpiste. In unterschiedlichen Variationen immer das gleiche
Bild: links ein in unabsehbare Höhen verschwindender, mitunter senkrechter
Steilhang, rechts der Abbruch zum Fluss hin; drüben auf der afghanischen Seite
ein ähnliches Bild, nur dass fast nie Autos, sondern Motorräder unterwegs sind.
Der Mann schweigt. Keine Musik, kein Gespräch.
Konzentriert und ruhig lenkt er sein mit Hänger wohl zwanzig Meter langes
Monstrum Richtung Pamirgebirge. Hin und wieder gibt es Gegenverkehr, wir halten
den Atem an und erleben, wie sich zwei Giganten der Straße millimetergenau mit
halber Schrittgeschwindigkeit aneinander vorbeischieben. Niso fährt die Strecke
zum ersten Mal und starrt mit aufgerissenen Augen in Richtung des rechten
Vorderrads, das sich wieder und wieder bis Armlänge dem Nichts nähert, bis der
schweigende Mann die genau richtige Lenkradbewegung ausführt. Ich war bereits
in den beiden Vorjahren hier unterwegs und gönne mir ein Nickerchen. Nach einer
Weile lässt uns die Hitze zur Wasserflasche und der fortgeschrittene Nachmittag
zu einem Imbiss aus dem Rucksack greifen, wobei mir plötzlich auffällt, dass
der schweigende Mann seit vier Stunden nichts gegessen und getrunken hat. Wie
lange wir heute noch unterwegs sind?
Wir erfahren den Namen des Dorfes, bis zu dem die
Reise noch gehen soll, dann ist die Konzentration am Ende, eine Pause bis
Sonnenuntergang, Gebet und Mahlzeit, danach geht es weiter. Ja, den Ramadan
hält er natürlich ein!
Von den zwei Geldscheinen, die ich ihm reiche, gibt
mir der schweigende Mann einen zurück. Wir bedanken uns, klettern nach unten
ins Freie und suchen im Dorf eine Unterkunft, da wir nachts nicht weiter
mitfahren möchten. Zunächst versuchen wir im Geschäft ein Brot zu kaufen.
„So etwas gibt es hier in keinem Laden, das backen
die Leute selbst“, sagt der Verkäufer.
Als wir umringt von einigen neugierigen Kindern aus
dem Geschäft treten, ist der Truck schon außer Sichtweite.