Dienstag, 18. Juni 2019

Die geweckten Erinnerungen

Eindrücke von einer Reise nach Tadschikistan, Teil 7


Am südlichen Ende der mit riesigen schattenspendenden Ahornbäumen bepflanzten, nach dem Begründer der klassischen persischen und tadschikischen Literatur benannten Rudaki-Alle liegt der Bahnhof Duschanbe. Zweimal wöchentlich fahren von hier in je zwei verschiedene Richtungen Regionalzüge. Wir treten durch die neue Glasfront ins Gebäude und auf der anderen Seite am Bahnsteig wieder hinaus. Beim Anblick der Bahnsteigüberdachung und ihrer blauen Stützpfeiler kommen Niso die Tränen: es sieht noch genauso aus wie vor dreiundzwanzig Jahren, als die Familie – die russische Mutter, der tadschikische Vater und sie selbst mit vier Brüdern (die Schwester war noch nicht geboren) in die kirgisische Stadt Osch aufbrach, um von dort aus über Krasnojarsk und Irkutsk weiter nach Burjatien zu den Verwandten der Mutter zu fahren. Die sechstägige Reise im September 1996 war eine Flucht vor dem seit dem Zerfall der Sowjetunion andauernden Bürgerkrieg, vor dem Hunger und einer völlig unklaren Zukunft; meine Frau erinnert sich, wie ein Polizist die Familie an der Abreise hindern wollte und Freunde des Vaters ihn bestachen und ablenkten, bis der Zug sich in Bewegung setzte.
„Der gleiche Duft wie in meiner Kindheit“, sagt Niso, als wir durch das sonnige Duschanbe spazieren. In den Parks, die den Präsidentenpalast von allen Seiten umgeben, können wir uns nicht sattsehen an den tausenden roten und weißen Rosen, die mit viel Sinn für Schönheit und Ästhetik vor Kastanien, Rhododendron und Zypressen gepflanzt sind. Meine Gefährtin drückt ihre Nase in die Blüten und pflückt in ungesehenen Momenten Rosenknospen, deren Blätter wir zuhause als Tee aufbrühen wollen. Die Hitze regt zu einem gemächlichen Lebenstempo an, Frauen in Kopftüchern und langen Kleidern verrichten Gartenarbeit, Studenten sitzen mit ihren Heftchen im Schatten auf Bänken oder der Wiese, weit über uns weht eine gigantische tadschikische Flagge vom zweithöchsten Fahnenmast der Welt.
Nach Vorlage unserer Pässe können wir im Megafon-Shop zwei SIM-Karten für unsere Smartphones erwerben und erfahren, dass seit einiger Zeit google, facebook und das russische vkontakte blockiert sind. Ich dachte, so etwas gäbe es nur in China?
„Es ist uns peinlich, den ausländischen Gästen in die Augen zu schauen“, sagt der junge Verkäufer, der auch keine Erklärung für diese staatliche Maßnahme hat und uns die Installation von VPN zur Umgehung der Sperre empfiehlt.