Eindrücke von einer Reise nach Tadschikistan, Teil 8
„Kommen Sie doch einmal bitte kurz zu mir, junger
Mann.“ Der schlanke junge Herr im hellblauen Hemd grüßt mich höflich und
blättert kurz in meinem Pass. „Was haben Sie denn in Tadschikistan gemacht?“
Ich werde kurz von oben bis unten gemustert und
spüre dann einen abwartenden Blick in dem meinigen ruhen, bestimmt und
durchdringend, die feingeschnittenen Gesichtszüge verraten keine Emotionen.
Nein, Dummköpfe und Grobiane werden für diese Aufgabe nicht ausgewählt, neulich
erst hat sich einer von Nisos Brüdern an uns gewendet, der feingeistigste und
intelligenteste von ihnen, mit der Bitte um Kopien unserer Pässe: er möchte
sich beim FSB bewerben und muss dafür Informationen über alle seine Verwandten
vorlegen. Ob er die Stelle bekommt, mit einem deutschen Schwager?
Die eigentliche Passkontrolle mit Stempel und
Gesicht-mit-dem-Foto-Vergleich habe ich gerade schon durchlaufen, aber da nicht
jeden Tag ein Deutscher von Tadschikistan nach Russland fliegt, wurde ich einer
kurzen Nachkontrolle für würdig erachtet. Hinter uns drängen die anderen
Passagiere an den Schalter, fast ausschließlich tadschikische Gastarbeiter, die
ohne Visum nach Russland einreisen können, sich aber dann um eine Patent
genannte, kostenpflichtige Arbeitsgenehmigung bemühen müssen. Versäumen sie
das, werden sie zur Ausreise aufgefordert und bekommen eine
Wiedereinreisesperre für mehrere Jahre. Da viele nicht warten können –
schließlich muss die Familie ernährt werden –, legen sie sich einen neuen Reisepass
mit neuem Namen zu, der noch nicht auf der Sperrliste steht.
Einen Raum weiter dann der Zoll. Wir bejahen
ehrlich die Frage des gleich hinter dem Eingang stehenden Zollbeamten, ob wir
Lebensmittel dabei hätten – drei Bananen, ein halbes Kilo Äpfel und ein viertel
Kilo getrocknete Aprikosen, unsere Reiseverpflegung – und werden gebeten, an
einem kleinen Tischchen zu warten. Er selbst wäre nur für Fleisch und Milch
zuständig, der für Obst und Gemüse verantwortliche Kollege würde gleich kommen.
Hinter uns bildet sich in kurzer Zeit eine kleine Schlange von Tadschiken,
welche die Frage des für Fleisch und Milch zuständigen Kollegen ebenso ehrlich
wie wir beantwortet haben: einer hält zwei Honigmelonen in der Hand, ein
anderer trägt ein Tütchen mit Mandarinen, ein dritter fördert ein Bündel
Rhabarber aus seiner Tragetasche.
Nach einer Viertelstunde erscheint ein
stiernackiger Uniformierter mit kleinen Schweißperlen im Gesicht und einem
Formularbündel in der Hand. Inzwischen haben wir die Bananen bereits aufgegessen
und unser halbes Äpfelkilo hat sich auf ein Viertel reduziert. Die Einfuhr von
Früchten aus Tadschikistan nach Russland sei verboten, sagt der für Obst und
Gemüse zuständige Zollbeamte, und während er unsere Ordnungswidrigkeit in ein
doppelseitiges, eng bedrucktes Formular einträgt, wächst die Schlange
unablässig, die der offensichtlich unterbeschäftigte, für Fleisch und Milch
zuständige Kollege in seine Richtung schickt: lauter Tadschiken mit ein paar
Früchtchen, die sie nicht geschafft haben im Flugzeug zu verspeisen oder als
Mitbringsel für Verwandte. Das Verbot von Fleischimport scheint bekannt zu
sein, das Obsteinfuhrverbot hingegen neu.
„Hier unterschreiben, 350 Rubel Strafe“, blafft der
Früchtezöllner, steckt unsere Pässe in seine Hosentasche und verweist uns auf
den Sparkassen-Automaten vor dem Flughafenausgang, an dem wir die Strafe
unverzüglich zu bezahlen und auf ihn zu warten hätten; Barzahlung ist nicht
vorgesehen. Wir erfüllen seine Forderung und warten. Nach einer halben Stunde
erscheint er schweißbedeckt in Begleitung von einem Dutzend ehemaliger
Früchtebesitzer, prüft die Quittung, händigt unsere Pässe aus und wendet sich
stöhnend dem Automaten zu. Nun verstehen wir auch Grund für seine Genervtheit:
die Tadschiken kennen sich mit einem russischen Sparkassenautomaten nicht aus,
so dass der Zöllner für sie alle die Strafeinzahlung selbst vornehmen muss, die
wir als einzige ohne ihn erledigen konnten.
Wir verlassen den Flughafen Irkutsk, an dem unsere
Flugreise vor genau zwei Wochen begonnen hatte. In der Wartehalle waren wir am
Ausgang zum Flugzeug dicht umringt von dunkelhäutigen, schickbehemdeten, mit
großen, sichtbar getragenen Uhren ausgestatteten Männern und ihren Frauen und
Kindern gewesen, die sich, mühsam vom Bodenpersonal zurückgehalten, gegen die
Glastür gedrängt hatten, als gelte es den Teufel, der erste im Flugzeug zu
sein, als würden die Plätze nicht mehr für diejenigen genügen, die hinten in
der Schlange stehen. Jeder vierte Passagier ein Kind, das war eine neue
Erfahrung für mich gewesen, und auch, dass nach dem Austeilen des
kartonverpackten Essens ein Großteil der Reisenden es achtlos vor sich auf dem
Ausklapptischchen stehengelassen erst nach Sonnenuntergang mit der
Nahrungsaufnahme begonnen hatte.
Meine dritte Reise nach Tadschikistan: ich bin
stolz darauf, mir nicht den Magen verdorben und jeden Tag ein kleines Aquarell
gezeichnet zu haben; ich bin enttäuscht, dass ich trotz vieler Stunden hinter
Lehr- und Wörterbüchern immer noch keinem tadschikischen Gespräch folgen kann:
nur gelegentlich leuchtet eine bekanntes Wort auf aus dem Nebel unbestimmt
dahinrauschender Rede (Niso sagt, da gehe es mir wie ihr bei ihrem ersten
Deutschlandbesuch); ich habe gelernt, dass eine Kanne heißen Wassers im Prinzip
für eine Ganzkörperwäsche mit Seife ausreicht und dass es auch heute noch Familienväter
gibt, die von ihrer Ehefrau und den eigenen Kindern gesiezt werden. Niso, die
gar nicht fertig werden konnte mit all ihren Eindrücken und jeden Tag
seitenweise Tagebuch schrieb, wird mir später erzählen, wie befreiend es für
sie gewesen sei, einer vor dreiundzwanzig Jahren unbestimmt in ihr
zurückgebliebenen Welt wieder zu begegnen und zu spüren, dass sie sich in
dieser Welt noch zurechtfindet und von den Menschen angenommen ist.
Am Irkutsker Bahnhof besteigen wir den Nachtzug nach
Ulan-Ude. Ich fördere zwei bisher unbeachtet gebliebene Äpfel vom Grunde meines
Rucksackes zutage. Anstatt zurück zum Früchtezöllner gehen, mich für die
versehentliche illegale Einfuhr zu entschuldigen und das Aufsetzen eines
weiteren Protokolls abzuwarten, reiche ich einen meiner Gefährtin. Vor uns
hinkauend schauen wir in die hereinbrechenden Dunkelheit, als sich der Zug in
Bewegung setzt und unserem russischen Alltag entgegenrollt.
Vor dem Rudaki-Denkmal im Park am Präsidentenpalast in Dushanbe |
Ein noch aus Sowjetzeiten stammender Bewässerungskanal |
Tadschikische Zuckerwürfel haben mitunter gigantische Ausmaße |