Mittwoch, 19. August 2015

Meine 2-Zimmer-Wohnung in einer Chruschtschowka



Gestern Abend habe ich einen Kennenlernspaziergang durch Ulan-Ude gemacht und einige „alte Bekannte“ gegrüßt: den riesige Lenin-Kopf, das wunderschöne Theatergebäude und die blauweiße Odigitrea-Kathedrale, deren Anblick mir noch von meinem Kurzbesuch im Jahre 2011 vertraut war. Es herrscht sonniges, warmes Wetter, ein angenehmer frischer Wind weht, und von einigen erhöhten Stellen in der Stadt gibt es einen tollen Ausblick auf die Steppenumgebung, was ein Gefühl von Großzügigkeit und Weite vermittelt.
Ich wohne in einer fünfstöckigen Chruschtschowka, einem Ziegelbau aus der sowjetischen Chruschtschow-Ära, in der ersten (russisch: zweiten) Etage in einer Zweizimmerwohnung in der Frunse-Straße, 15 Gehminuten vom Zentrum und meinem künftigen Arbeitsplatz entfernt. Die Wohnung ist neu gestrichen und komplett ausgestattet: Waschmaschine, Kühlschrank, Möbel – alles da, was ich zum Leben brauche, sogar Bügeleisen und –brett, eine Grundausstattung an Geschirr und ein (freilich sehr langsamer, oft aussetzender) Internetzugang. Statt meines geliebten Potsdamer Gasherdes muss ich nun leider mit einem E-Herd vorlieb nehmen. Es gibt ein Schlafzimmer und ein großes Wohnzimmer mit Küchenecke, zwischen dieser und meinem Schreibtisch führt eine Tür auf den verglasten und überdachten Balkon, von dem aus ich durch einige Bäume hindurch auf die Frunse-Straße blicke. Heißes Wasser für Bad und Spüle kommt durch die Leitung des örtlichen TEZ (Teploelektrozentral, Heizkraftwerk), die Fernwärme-Heizkörper an den Wänden werden im Herbst aktiviert, wenn – stadtweit und zentral gesteuert – die Heizsaison beginnt. Das Leitungswasser ist problemlos trinkbar (ein großer Unterschied zu Chabarowsk!). Die Wohnung wird von der Lehrstuhlinhaberin und meiner künftigen Kollegin Elena an mich vermietet – zunächst für einen Monat, wenn sie mir gefällt, auch für länger. Als erstes habe ich das Wohnzimmer ein bisschen personalisiert, nämlich den Fernseher in den Schrank verbannt und zwei Landkarten vom Baikalsee aufgehängt.
Die Architektur hier in unmittelbarer Nähe des Zentrums ist eine Mischung aus Chruschtschowkas der 60er Jahre, außerdem großen, hohen Gebäuden aus der Stalin-Ära und einigen sehr gut gepflegten Holzbauten aus der Zarenzeit, zwischendurch immer wieder ganz moderne Häuser mit viel Stahl und Glas.
Wie russlandweit üblich, ist die Haustür mit einem Magnetschloss gesichert, dass sich durch das Anhalten eines Chips mit einem Piepton kurz deaktiviert und die Tür aufgedrückt werden kann. Die Wohnung hat eine Innen- und eine Außentür, letztere durch einen langen Sicherheitsschlüssel zu öffnen, der viermal mit schwerem Klicken umgedreht wird. Das Treppenhaus ist eher heruntergekommen und dreckig, was völlig egal ist, da man sich dort nie länger als eine Minute aufhält. Die Briefkästen sind verlottert und nicht abschließbar, mir ist noch nicht ganz klar, wie die Leute hier die Postfrage handhaben. Vor dem Hauseingang, der sich auf der der Straße abgewandten Hausseite befindet, ist eine Art großer Hinterhof, schön mit Blumen bepflanzt und mit Bänken versehen, wo sich Abends das nachbarschaftliche Leben abspielt und viele Kinder herumrennen.
Heute Abend liegt ein leichter Nebel über der Stadt, die Sonne ist rot, obwohl sie noch hoch am Himmel steht, und es riecht leicht verbrannt: in diesem Jahr sind die Waldbrände in der Baikalregion so heftig wie schon seit Jahrzehnten nicht mehr.


Die Küchenecke

Das Wohnzimmer

Die Idee "abgeschlossener Briefkasten" hat sich nicht durchgesetzt

Hier wohne ich