Gestern Abend habe ich einen Kennenlernspaziergang durch
Ulan-Ude gemacht und einige „alte Bekannte“ gegrüßt: den riesige Lenin-Kopf,
das wunderschöne Theatergebäude und die blauweiße Odigitrea-Kathedrale, deren Anblick mir noch von meinem Kurzbesuch
im Jahre 2011 vertraut war. Es herrscht sonniges, warmes Wetter, ein angenehmer
frischer Wind weht, und von einigen erhöhten Stellen in der Stadt gibt es einen
tollen Ausblick auf die Steppenumgebung, was ein Gefühl von Großzügigkeit und
Weite vermittelt.
Ich wohne in einer fünfstöckigen Chruschtschowka, einem Ziegelbau aus der sowjetischen
Chruschtschow-Ära, in der ersten (russisch: zweiten) Etage in einer
Zweizimmerwohnung in der Frunse-Straße, 15 Gehminuten vom Zentrum und meinem
künftigen Arbeitsplatz entfernt. Die Wohnung ist neu gestrichen und komplett
ausgestattet: Waschmaschine, Kühlschrank, Möbel – alles da, was ich zum Leben
brauche, sogar Bügeleisen und –brett, eine Grundausstattung an Geschirr und ein
(freilich sehr langsamer, oft aussetzender) Internetzugang. Statt meines
geliebten Potsdamer Gasherdes muss ich nun leider mit einem E-Herd vorlieb
nehmen. Es gibt ein Schlafzimmer und ein großes Wohnzimmer mit Küchenecke,
zwischen dieser und meinem Schreibtisch führt eine Tür auf den verglasten und
überdachten Balkon, von dem aus ich durch einige Bäume hindurch auf die
Frunse-Straße blicke. Heißes Wasser für Bad und Spüle kommt durch die Leitung
des örtlichen TEZ (Teploelektrozentral,
Heizkraftwerk), die Fernwärme-Heizkörper an den Wänden werden im Herbst
aktiviert, wenn – stadtweit und zentral gesteuert – die Heizsaison beginnt. Das
Leitungswasser ist problemlos trinkbar (ein großer Unterschied zu Chabarowsk!).
Die Wohnung wird von der Lehrstuhlinhaberin und meiner künftigen Kollegin Elena
an mich vermietet – zunächst für einen Monat, wenn sie mir gefällt, auch für
länger. Als erstes habe ich das Wohnzimmer ein bisschen personalisiert, nämlich
den Fernseher in den Schrank verbannt und zwei Landkarten vom Baikalsee
aufgehängt.
Die Architektur hier in unmittelbarer Nähe des Zentrums ist
eine Mischung aus Chruschtschowkas der 60er Jahre, außerdem großen, hohen
Gebäuden aus der Stalin-Ära und einigen sehr gut gepflegten Holzbauten aus der
Zarenzeit, zwischendurch immer wieder ganz moderne Häuser mit viel Stahl und
Glas.
Wie russlandweit üblich, ist die Haustür mit einem
Magnetschloss gesichert, dass sich durch das Anhalten eines Chips mit einem
Piepton kurz deaktiviert und die Tür aufgedrückt werden kann. Die Wohnung hat
eine Innen- und eine Außentür, letztere durch einen langen Sicherheitsschlüssel
zu öffnen, der viermal mit schwerem Klicken umgedreht wird. Das Treppenhaus ist
eher heruntergekommen und dreckig, was völlig egal ist, da man sich dort nie
länger als eine Minute aufhält. Die Briefkästen sind verlottert und nicht
abschließbar, mir ist noch nicht ganz klar, wie die Leute hier die Postfrage
handhaben. Vor dem Hauseingang, der sich auf der der Straße abgewandten
Hausseite befindet, ist eine Art großer Hinterhof, schön mit Blumen bepflanzt
und mit Bänken versehen, wo sich Abends das nachbarschaftliche Leben abspielt
und viele Kinder herumrennen.
Heute Abend liegt ein leichter Nebel über der Stadt, die
Sonne ist rot, obwohl sie noch hoch am Himmel steht, und es riecht leicht
verbrannt: in diesem Jahr sind die Waldbrände in der Baikalregion so heftig wie
schon seit Jahrzehnten nicht mehr.
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Die Küchenecke |
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Das Wohnzimmer |
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Die Idee "abgeschlossener Briefkasten" hat sich nicht durchgesetzt |
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Hier wohne ich |