Dienstag, 11. August 2015

Berlin - Moskau

Heute bin ich in Moskau angekommen - nach einer angenehmen Zugfahrt, gewürzt mit einer unangenehmen Überraschung.
Seit einiger Zeit verkehrt der durchgehende Zug Berlin-Moskau nicht mehr täglich, sondern nur noch zweimal wöchentlich, und mit neuen Waggons, die mit geräumigen 4er-Coupés statt den bisherigen 3er-Abteilen ausgestattet sind. In einigen der Coupés werden statt vier nur zwei Plätze verkauft, die dafür teurer sind - eine solche Fahrkarte hatte ich vor einem Monat erstanden, es war wohl der letzte Platz im ganzen Zug, für 232,- €.
Mit meinem Mitreisenden im Abteil hatte ich großes Glück - ein älterer Herr um die 60, schon in Paris zugestiegen, dort zweisprachig russisch-französisch aufgewachsen, sein Vater war nach dem ersten Weltkrieg, wie viele andere Russen auch, vor den Kommunisten geflohen (da er als "weißer" Offizier im russischen Bürgerkrieg auf der Seite der Verlierer gekämpft hatte) und in die französische Hauptstadt emigriert. Ein überaus angenehmer, interessanter Gesprächspartner, der sein Leben lang Theater- und Musikergruppen auf Gastspielen begleitet hatte, den Cellisten Mstislav Rostropowitsch persönlich kannte und das Spiel der 7seitigen Gitarre erlernt hatte. Nach einer Weile stellte sich heraus, dass er Jean-Pierre (in Russland Pjotr) heißt und nicht 60, sondern 83 Jahre alt war, was mich sehr beeindruckte und veranlasste, ihn vorsichtig über seine Lebensgewohnheiten auszufragen: kein Kristallzucker und völliger Verzicht auf Internet und Mobiltelefon...vielleicht liegt hier das Geheimnis langen, gesunden Lebens...
Statt dem traditionellen Kessel mit heißem Wasser im Gang konnten die Passagiere ins Abteil der Zugbegleiterin gehen und sich dort mit dem Wasserkocher kostenlos den mitgebrachten Tee aufbrühen (oder auch welchen kaufen). Insgesamt war ich von halb 11 bis halb 1 unterwegs, unterwegs musste ich die Uhr eine Stunde vorstellen - das macht 25 Stunden Reisezeit. Da es in Russland keine Sommerzeit gibt, schrumpft der Zeitunterschied von Berlin zu Moskau im Sommer von 2 auf eine Stunde.
Spät abends überquerten wir die EU-Außengrenze von Polen nach Belarus (Weißrussland) und hielten in Brest. Eine junge, sehr strenge und sehr motivierte Zollbeamte kam in unser Abteil und begann mich auszufragen. Wohin fahren Sie? Nach Moskau. Was haben Sie alles im Rucksack? Klamotten, ein Notebook... Und wessen Koffer sind das da unten? Auch meine. So viel Gepäck? Das müssen wir mal wiegen. Sie wissen, dass maximal 50 kg erlaubt sind? Ich bekam einen Schweißausbruch. Naja, soviel wird das wohl ungefähr sein, murmelte ich. Wenige Minuten später kam ein Kollege ins Abteil und hängte meine Gepäckstücke nacheinander an seine Waage. 21, 28 und 22 Kilo, macht 71. 21 Kilo Übergewicht!
Ich begann schon fieberhaft zu überlegen, ob ich jetzt ein knappes Drittel meiner Sachen wegschmeißen oder nach Berlin zurückfahren muss, doch zum Glück gab es eine Lösung: jedes Kilo zuviel kostet 4 € Strafe. Die Zollbeamte stieg mit mir aus dem Zug, half mir beim Ausfüllen der Zolldeklaration, ging mit mir zur Bank und tätigte meine Bareinzahlung der Strafgebühr, in Euro. Als Wechselgeld bekam ich Euro zurück, sowie knapp 9000 belarussische Rubel in Scheinen. Ein stolzer Scheinestapel, frisch aus der Geldpresse. Bei einem Umtauschkurs von 1 zu 17000 (!) war das allerdings nicht mal ein einziger Euro, und ich konnte mir gerade so einen Tee im Bahnhofscafé davon kaufen. Dafür habe ich einen Eindruck vom Bahnhof Brest um Mitternacht bekommen. Während sich die ambitionierte Zollneamte um mich kümmerte, fuhr der Zug in eine Werkhalle ein, wo die Räder auf russische Breitspur umgestellt wurden, ein Vorgang, bei dem die Passagiere normalerweise sitzenbleiben.
In Moskau holte mich mein Bekannter Aram vom Bahnhof ab und wir fuhren mit der Metro ans Südostende der Stadt zu seiner Wohnung in einem Hochhaus im Mikrorajon Njekrasovka.

Vor der Abreise in Berlin-Lichtenberg

Viele beeindruckende Nullen, aber kaum etwas wert: belarussische Rubel