Gestern habe ich
ein sächsisches Räuchermännchen mit in den Kurs zu den Studenten genommen und
eine Räucherkerze dazu angezündet. Während aus dem Mund der Figur
wohlriechender Tannenduft strömte, besprachen wir die von mir kontrollierten
Klausurarbeiten. Am Ende der Doppelstunde spielten wir DIXIT, im Deutschunterricht hervorragend als Übung zum Beschreiben
einsetzbar, mit wunderschön gezeichneten, fantastisch-surreal aussehenden
Karten. Dann gaben mir alle ihr A6-formatiges Studienbüchlein, und ich schrieb die Semesternote
hinein: otlitschno, ausgezeichnet.
Das russische
Studienhalbjahr endet nicht im Februar, sondern im Dezember, und das Ende des
Monats sowie der Januar ist für die Studierenden Sessia, die Prüfungszeit. In einigen Kursen gibt es keine
Prüfungen, der Dozent vergibt lediglich zatschót,
das heißt so viel wie „bestanden“ und entspricht etwa einem Sitzschein an einer
deutschen Uni. In anderen Kursen, wie es bei meinen Masterstudenten der Fall
war, findet eine Prüfung mit einer Bewertung statt. Das russische Notensystem
umfasst die Zensuren fünf bis zwei. Eine Zwei bedeutet „durchgefallen“. Die
Fünf ist die beste Note und entspricht etwa einer deutschen Eins oder Zwei. Ich
habe den Eindruck, dass man den ganzen Formalismus mit Prüfen, Bewerten,
Durchfallenlassen, Prüfung wiederholen und so weiter hier nicht so ganz
ernstnehmen kann – letztendlich kommt jeder durch, der hin und wieder einmal
auftaucht, da die Gruppen sehr klein sind und die Dozenten sich selbst ihrer
Arbeitsplätze berauben würden, wenn sie konsequent aussieben würden. Das System
lässt es nicht zu, dass einzelne Kurse wiederholt werden, man studiert die
ganzen Jahre mit den gleichen Kommilitonen in einer Gruppe zusammen.
Nachdenklich stimmt mich, dass nur etwa die Hälfte aller Studis, die das Deutschstudium
beginnen, es auch tatsächlich beenden. Viele verschwinden zwischendurch im akademitscheskijotpusk, also zwei
Urlaubssemestern, aus denen sie nicht wieder auftauchen.
Der Ablauf einer
mündlichen Prüfung unterscheidet sich sehr von dem, was ich aus meiner
Studienzeit kenne. Alle Studenten sind in einem Raum und ziehen einen Zettel
mit einer Prüfungsfrage. Nach 10 oder 15 Minuten Vorbereitungszeit fordert der
Dozent jemanden auf, zu ihm an den Tisch vorzukommen, und es findet ein etwa
ebenso langes Prüfungsgespräch statt – im gleichen Raum, während die anderen an
ihren Tischen sitzenbleiben und sich gedanklich weiter mit ihren Fragen
beschäftigen können. Das wäre in Deutschland undenkbar, denn es heißt doch,
dass die anderen mehr Zeit zur Vorbereitung haben, wo bleibt da die
Gerechtigkeit? Außerdem: warum dürfen andere Studenten die Prüfung mitanhören –
was ist mit dem Datenschutz? Und wo, bitteschön, ist der Beisitzer, die
neutrale dritte Person? In Russland macht man darum weniger Aufwand, es läuft alles
einfacher und irgendwie „kollektivistischer“.
Die Temperatur ist
in den letzten Tagen wieder auf minus fünfzehn Grad gestiegen, es ist trocken
und windstill, niemand würde es als besonders kalt bezeichnen. Die Leute
bereiten sich auf das Neujahresfest vor, die wichtigste Feier für Russen im
Kreise von Familie und Verwandten mit Tannenbaum und Geschenken. Weihnachten
wird nur von wirklich religiösen Menschen am 7. Januar gefeiert, von den
deutschen Feiertagen Ende Dezember (die „katholischen Weihnachten“, wie man
hier etwas vereinfachend sagt) ist nichts zu merken. Eine Kollegin schenkte mir
ein Porzellan-Äffchen: der chinesische Tierkalender erfreut sich großer
Verbreitung, 2015 war das Jahr des Schafes (wie auch mein Geburtsjahr), 2016
wird das Jahr des Affen sein. Die „Umstellung“ auf das neue Tier-Jahr findet
erst im Februar statt, wenn die Burjaten das mongolische Neujahresfest Sagaalgan feiern, was mit dem
chinesischen Frühlingsfest zusammenfällt.
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Feststimmung im Stadtzentrum mit von innen farbig beleuchteten Eiskunstwerken |