Unter Leuten, die
sich mit interkultureller Kommunikation beschäftigen, erfreut sich die
sogenannte Kulturschock-Kurve einer gewissen Bekanntheit. Sie beschreibt
modellhaft, welche psychischen Prozesse sich oft in Menschen abspielen, die für
eine längere Zeit ins Ausland gehen und dann wieder zurückkehren. Die
Kulturschock-Kurve hat die Form des Buchstabens „W“ und kann als eine Art
„innerer Stimmungsverlauf“ gelesen werden. Nach der Ankunft im neuen Land geht
es einem gut, man empfindet Euphorie und Entdeckerstimmung, ist überwältigt von
der Exotik oder aber bildet sich ein, dass die Menschen ja eigentlich doch gar
nicht so anders sind als in der Heimat. Nach einer Weile stellt man fest:
irgendwie sind die Dinge doch anders, die Kultur ist komisch, die Menschen
verstehen mich nicht und ich sie nicht. Die Kurve bricht nach unten ein. Etwas
später arbeitet man sich aus dem Tal heraus und erlangt ein tieferes
Verständnis des Gastlandes: die mittlere Spitze des „W“ ist erreicht.
Irgendwann geht es wieder in die Heimat zurück. Nach der Ankunft findet der Rückkehrer: prima, ist ja alles beim Alten, meine Muttersprache, ich kenne Menschen, Orte und Traditionen. Die Kurve bricht nach gewisser Zeit nach unten ein, wenn man bemerkt: aber ich habe mich verändert – und diese Veränderung kann ich meinen Bekannten gar nicht richtig mitteilen, sie reden mit mir, als wäre ich überhaupt nicht im Ausland gewesen. Das ist der sogenannte „Wiedereintritts-Kulturschock“. Nach einiger Zeit arbeitet man sich natürlich auch aus diesem Tief heraus – das rechte Ende des „W“ ist erreicht.
Irgendwann geht es wieder in die Heimat zurück. Nach der Ankunft findet der Rückkehrer: prima, ist ja alles beim Alten, meine Muttersprache, ich kenne Menschen, Orte und Traditionen. Die Kurve bricht nach gewisser Zeit nach unten ein, wenn man bemerkt: aber ich habe mich verändert – und diese Veränderung kann ich meinen Bekannten gar nicht richtig mitteilen, sie reden mit mir, als wäre ich überhaupt nicht im Ausland gewesen. Das ist der sogenannte „Wiedereintritts-Kulturschock“. Nach einiger Zeit arbeitet man sich natürlich auch aus diesem Tief heraus – das rechte Ende des „W“ ist erreicht.
Der „Schock“ ist
hier im übertragenen Sinne zu verstehen. Ein Kulturschock vollzieht sich oft
unmerklich und in kleineren Schritten. Das trifft auch auf den
russisch-deutschem Austausch zu, für Länder also, die sich auf den ersten Blick
in vielem gar nicht so unähnlich sind – wohl aber auf den zweiten. Einen
ordentlichen "Wiedereintritts-Schock“ hatte ich einige Tage nach meiner
Rückkehr aus Chabarowsk 2011, als ich mit Virusinfektion eine Zeit elend im
Bett lag, das Gefühl hatte, mit niemandem die Erlebnisse des letzten Jahres teilen zu können und mich grundsätzlich fragte, was ich jetzt wieder in Potsdam zu tun habe.
Organisationen, die
Mitarbeiter ins Ausland schicken, veranstalten Seminare, um die
„Kulturschock-Tiefs“ abzumildern. Je mehr man sich auf das Land und seine
Besonderheiten einstellt, desto größer ist die Chance, dass man den
Auslandseinsatz bis zu Ende durchhält. Auf solchen Seminaren erzählen
Referenten auch oft vom „Eisberg-Modell“. Der größte Teil eines Eisberges ist
unter Wasser. Übertragen heißt das: das wahrnehmbare Verhalten der Menschen ist
nur ein ganz kleiner Teil dessen, was sich bei ihnen unter der Oberfläche
abspielt, dessen, was tief verwurzelt ist an Vorstellungen und Wertehaltungen.
Das im Kopf zu haben, hilft, eine Kollision des unterirdischen Teils meines
eigenen „Eisbergs“ mit dem meines ausländischen Partners zu vermeiden.
Auch nach
jahrelanger Russlanderfahrung ist es mir nicht gelungen, meine
„Kulturschock-Kurve“ vollständig zu glätten. Zurzeit bin ich vielleicht in der
Nähe der nach dem Einreise-Hoch folgenden Talsohle. Ich bin etwas genervt und
gestresst, vermisse die mir vertrauten Menschen in der Heimat und freue mich
auf den Deutschland-Urlaub Anfang Januar. Wie manche Dinge in Burjatien laufen,
verstehe ich nicht. Wenn eine Veranstaltung um 15 Uhr beginnt, dann heißt das,
dass der Veranstalter um kurz nach 15
Uhr kommt. Nachdem in Ruhe alles aufgebaut ist und festgestellt wurde, dass die
Technik (z.B. der Beamer) nicht funktioniert, geht es dann – irgendwie
zurechtimprovisiert – um 15:30 Uhr los, während langsam die letzten Teilnehmer
eintreffen. Was ist denn das für ein Dilletantismus, möchte ich da meine
Kollegen gern fragen, macht ihr das zum ersten Mal? Aber natürlich frage ich
nicht. Ich ärgere mich, schweige und versuche mich daran zu erinnern, was
„interkulturelle Kompetenz“ bedeutet. Und wenn es weder die Lehrkräfte noch die
(wenigen) pünktlich gekommenen Studenten stört, die eine halbe Stunde in
schweigender Unterwürfigkeit herumsitzen, dann bin es ja wohl tatsächlich nur ich,
der an seiner Haltung etwas ändern sollte.
Gerade finden bei
uns am Institut die „Tage der deutschen Sprache“ statt: verschiedene
Wettbewerbe für die Studenten und am Freitag dann ein Weihnachtsmarkt im Foyer
mit Siegerehrung und Abschlusskonzert. Es gab einen geografischen Wettbewerb
(Städte, Landschaften usw. in eine stumme Deutschlandkarte einzeichnen), wir
haben „Tabu“ gespielt (Wörter umschreiben), die Studenten haben selbst
geschriebene Märchen vorgelesen, und heute erwarten uns Aufführungen eines Loriot-Sketches,
den die Studenten einstudieren sollten. In Russland generell äußerst wichtig
ist das reichliche und großzügige Verteilen von Preisen und Urkunden. Und wenn
es nur drei schnell heruntergerasselte Zungenbrecher (Fischers Fritze usw.) sind, Dauer des Auftritts: 20 Sekunden – ein
schickes Papier muss sein, auf dem dann steht „Zweiter Preis im
Phonetik-Wettbewerb“. Hier muss ich mir wohl meine deutsche Sachlichkeit
abgewöhnen, mein Leistungsdenken. Preise gibt es, weil es sich gut anfühlt und
die Motivation hebt. Je mehr, desto besser. (Etwas schwierig wird es dann nur
in internationalen Wettbewerben, aber das ist ein anderes Kapitel.)
Aber natürlich
bleiben Dinge, die Spaß machen. Mit den Masterstudentinnen habe ich ein wenig
Valenztheorie besprochen. In jedem Satz gibt es ein Verb. Und damit der Satz
korrekt wird, kann man sich anschauen, was das Verb für Partner braucht. Einige
sind bescheiden, ihnen genügt ein einziger Partner im Nominativ: Sie schläft. Sehr viele brauchen
zwei, einen im Nominativ und einen im Akkusativ (er putzt das Fenster) oder im Dativ (ich helfe dir). Bei den
dreiwertigen Verben gibt es alles dies auf einmal (der Sohn schreibt der Schwester einen Brief). Einige
wenige, aber sehr häufige Verben verbinden sich mit zwei Nominativen (er ist und bleibt ein Dummkopf),
auch ein Nominativ und zwei Akkusative kommen vor (sie nennt mich einen Trottel, wie auch bei dem
unüblich gewordenen Wort lehren: er lehrt die Schüler die deutsche
Sprache). Und schließlich ein Meer von Verben, die ihren Partner auf
Abstand halten, indem sie zwischen sich und ihn eine Präposition einschieben: Ich denke über mein Leben nach,
während ich auf den Bus warte. Für die nächste Stunde aufgespart
habe ich einige ganz aristokratische Verben, die sich den Genitiv auserwählt
haben (er erfreut sich bester
Gesundheit), meistens noch in Kombination mit einem Akkusativ (die Polizei verdächtigt ihn des Diebstahls).
– Die russische Grammatik funktioniert ähnlich, nur dass hier noch zwei weitere
Partner zur Auswahl stehen (Instrumental und Präpositiv). Solche etwas theoretischen
Betrachtungen kann ich nur mit dieser Fortgeschrittenen-Gruppe anstellen, die
schon gut sprechen kann.
Am letzten Sonntag
war ich in einem Sportstadion auf einem Rockkonzert der Gruppe DDT. Sie gehört
zu den Klassikern der russischen Rock-Szene noch aus Perestroika-Zeiten. „Toll,
dass ihr gekommen seid und auch in diesen schwierigen Zeiten nicht an der
Eintrittskarte gespart habt“, rief Leadsänger Juri Schewtschuk den jubelnden
Fans zu, lobte das sonnige Ulan-Ude (im Vergleich zum trüben St. Petersburg)
und erzählte von seiner aus dem Takt gekommenen inneren Uhr beim Herumjetten
durch die verschiedenen Zeitzonen Russlands. Gegen Ende des Konzertes dann ein
fast schon politisches Statement: „Für die Liebe und gegen Kriegspropaganda –
und zwar die auf beiden Seiten!“ Die eher zurückhaltenden und trägen Burjaten steigerten ihre Begeisterungsbekundungen dann
immerhin noch soweit, dass es für zwei Zugaben reichte.
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Woran denken die Studenten bei "Deutschland" als erstes, und was ist ihr deutsches Lieblingswort? |