Was haben die Worte
ART, GIFT, ALSO, GAS, WILL und HELL gemeinsam? Es gibt sie auf Deutsch und auf
Englisch, aber ihre Bedeutung in beiden Sprachen ist völlig verschieden. Darauf
habe ich meine Studenten des 4. Studienjahres hingewiesen, die Deutsch nur als
zweite Fremdsprache studieren. Überhaupt geht der Trend in Russland hin zu
Englisch als erster Fremdsprache, und deutsche Didaktiker machen sich schon seit
längerer Zeit Gedanken: wie kann man Russen das Deutschlernen erleichtern, die
schon Englisch können? Was können sie von dort übernehmen, und was besser
nicht? Aus russischer Perspektive sind sich Deutsch und Englisch ziemlich
ähnlich: die Bildung der Zeitformen in der Vergangenheit mit Hilfsverb, die
Existenz von bestimmten und unbestimmten Artikeln und die Unterscheidung
zwischen schwachen und starken Verben gibt es im Russischen nicht. Manchmal
übertreiben es die Studenten dann mit der Ähnlichkeit und fragen mich, was für
eine „Meinung“ dieses oder jenes Wort hat oder sagen „Mein Bruder bekommt ein
Doktor“ (statt „wird Arzt“). Dann frage ich mich, ob Englischkenntnisse bei
Deutschlernen wirklich helfen oder nicht eher stören – beides kann
wahrscheinlich der Fall sein.
Am Freitag gingen
mit einer Feier am Institut die „Tage der deutschen Sprache“ zuende. Im Foyer
wurde eine geschmückte Tanne aufgestellt und es fand ein Weihnachtsmarkt statt,
auf dem Plätzchen und Glühwein verkauft wurden. Ich steuerte selbstgebackte
Plätzchen bei (simple Rundform, mangels Förmchen) und den Christstollen meiner Großeltern (per Paket zugeschickt,
original aus dem Erzgebirge) – eine halbe Scheibe für 15 Rubel, der Absatz ging
gut, in Russland gibt es nichts Vergleichbares. Das Geld kommt dem Lehrstuhl
zugute. Vor dem Verkauf zeigte ich den schweren Stollenlaib meinen Kolleginnen,
die beeindruckt an dem dicken Zuckerguss schnupperten. - Als Moderator hatte
ich die Aufgabe, gefühlte tausend Urkunden und Preise für die vielen
Darbietungen und Wettbewerbe der vergangenen Woche unter die Studenten zu
verteilen. Toll, mit welchem Eifer die Studis Loriots „Frühstücksei“ oder den „Sprechenden
Hund“ einstudiert und aufgeführt hatten. Bühnendarbietungen, Theater spielen,
singen und tanzen – das machen die jungen Leute hier gern und gut. Ein
Höhepunkt war der Auftritt meines Chores, der sich aus Platzmangel im Foyer kurzerhand
in die Garderobe stellte, „Bruder Jakob“ auf 5 Sprachen, "O Tannenbaum" zweistimmig und „Hejo, spann den
Wagen an“, eigentlich ein Herbstlied, aber in Deutschland fühlt sich der
Dezember manchmal auch noch an wie Herbst.
Es ist eigenartig,
dass es keine richtige Organisations-Routine zu geben scheint auch bei
Veranstaltungen, die schon viele Jahre in Folge stattfinden. Irgendwie wird
alles zurechtimprovisiert und in letzter Minute fertiggebastelt, als wäre es
ganz neu und als gäbe es keine Erfahrungen aus den Vorjahren. Systematisch mal
etwas auswerten und dann verbessern? Fehlanzeige. Ganz behutsam und
diplomatisch versuche ich, ein paar strukturierende Ideen einzubringen, niemand
darf sich übergangen fühlen, es soll kein Stress verbreitet werden. Die
Urkunden nicht fünf Minuten vor der Verleihung schreiben, sondern einen Tag
vorher, ist zum Beispiel so ein revolutionärer Gedanke. Ich muss mich erst noch
auf die russische Nicht-Organisation einstellen, meinte ich zu Carolyn, meiner
Kollegin aus Alaska. Ja, aber gewöhn dich nicht zu sehr daran, sagte sie und
lachte. Womit sie Recht hat. Sonst komme ich womöglich nach meiner Rückkehr in
Deutschland nicht mehr klar.
An unserem Institut
gibt es den Studiengang „Journalismus“. Eine Gruppe von Journalistik-Studenten
im zweiten Studienjahr lernt dort Deutsch. Um sich ein bisschen in ihrem
künftigen Beruf zu üben und einen Artikel für die Uni-Zeitung zu produzieren,
machten sie ein Interview mit mir. „Ihr Deutschen seid wirklich ein tolles
Volk. Ihr habt zwei Weltkriege verloren und euch nach kurzer Zeit wieder so
aufgerappelt, dass ihr besser lebt als die meisten eurer Nachbarn. Wie habt ihr
das gemacht? Was ist das Geheimnis eures Erfolges?“ Auf diese Frage wusste ich
nicht, was ich antworten sollte. Ich fand sie bemerkenswert, denn sie spiegelt
die Haltung vieler Menschen in Russland wieder, die – mehr oder weniger
verdeckt – in Begegnungen mit Deutschen eine Rolle spielt, eine Art
unterschwellige Bewunderung. Wir Russen haben den Krieg gewonnen, und? Wer lebt
heute besser, wir oder ihr?
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Urkundenverleihung zum Abschluss der "Tage der Deutschen Sprache" im Foyer des Instituts |
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Echter Christstollen aus dem Erzgebirge - leider steht das Schild hier am falschen Kuchen |
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Chorauftritt mit den Sängern in der Garderobe - im Fenster sieht man die Neujahrestanne auf dem zentralen Platz |
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Studenten führen den Loriot-Sketch "Der sprechende Hund"auf... |
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...spielen "Tabu"... |
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... und singen deutsche Lieder |
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