Vor einigen Tagen unterhielt ich mich auf der
Straße mit Timm, einem deutschen Austauschschüler. Timm ist der Sohn einer
ehemaligen Kollegin von mir aus Potsdam und geht hier in Ulan-Ude für ein paar
Monate in die 9. Klasse von Schule Nummer 14. Wir standen auf dem Am Elevator genannten Platz, einem
bekannten Verkehrsknotenpunkt, und sprachen laut auf Deutsch miteinander, als
plötzlich zwei untersetzte, kräftige junge Leute auf uns zukamen, der eine von
rechts und der andere von links.
Wir sind von der Polizei und würden Sie mal
kurz stören, meinte der von mir aus gesehen linke von den beiden.
Sie sehen aber nicht gerade aus wie Polizei,
antwortete ich etwas frech. Am helllichten Tage auf dem belebten Platz fühlte
ich mich ziemlich sicher.
Daraufhin griff der in Zivil gekleidete junge
Mann in die Innentasche seiner Jacke und holte einen kleinen Ausweis hervor: MWD, las ich – die Abkürzung für Ministerstvo wnutrennych del, das
russische Innenministerium, und darunter: Polizei.
Zeigen Sie mal ihre Dokumente, bitte.
Ich hatte meinen Pass dabei und den Zettel mit
meiner Registrierung, Timms Passkopien wurden auch akzeptiert, aber das Fehlen
seiner registratsia stieß auf Kritik,
das Papier, aus dem hervorgeht, unter welcher Adresse ein ausländischer Bürger
angemeldet ist.
Kommen Sie mal mit ins Revier, wurden wir
aufgefordert.
Timm und ich betraten das kleine Haus in der
Mitte des Platzes mit der Aufschrift politsia - seit etwa 5 Jahren klingt das ganz westeuropäisch, davor hieß es bekanntlich militsia. Drin waren noch einige andere Kollegen,
alles junge Typen, bei denen ich den Eindruck hatte, dass sie es irgendwie cool
fanden, bei der Polizei zu sein. Wir nehmen Sie jetzt mal in unsere Kartei auf,
wurde mir angekündigt. Meine Fingerspitzen wurden mit schmieriger Tinte
eingestrichen, danach musste ich auf einem Papier meine Abdrücke hinterlassen,
dann noch einmal dasselbe mit der gesamten Handinnenfläche. Man überprüfte
meine Handynummer, fotografierte mich vor dem Hintergrund eines Metermaßes,
fotografierte meine Schuhsohle. Ich komme mir vor wie ein Verbrecher, meinte
ich und schaute etwas ungeduldig auf meine Uhr, weil ich an dem Tag noch
Unterricht hatte. Wenn ihnen mal ein Ziegel auf den Kopf fällt und Sie
bewusstlos sind oder sonst irgendwie abhanden kommen, dann wissen wir schneller,
wer und wo Sie sind, beruhigte man mich.
Also alles nur zu meiner eigenen Sicherheit,
Gott sei Dank. Timm blieb die Prozedur erspart, wahrscheinlich, weil er noch
minderjährig ist.-
Gelegentlich kommen Studenten oder andere
junge Leute in mein Büro, die sich in Deutschland für ein Stipendium oder eine
Stelle bewerben wollen und mich um Unterstützung bitten. Neulich hatte ich
einen Physiker vor mir sitzen, ein wissenschaftlicher Mitarbeiter an unserer
Uni, Spezialgebiet Optik. Er habe sich schon auf dreißig verschiedene Stellen
in Deutschland beworben, meinte er, meistens keine Reaktion, in den anderen
Fällen Absagen, das könne er nicht verstehen. Ich wunderte mich auch: ein
hochintelligenter, motivierter junger Mann mit Deutschkenntnissen, und gibt es
nicht so etwas wie einen Fachkräftemangel? Ich bat ihn, mir mal eine von seinen
Bewerbungen zu schicken, vielleicht könne ich ihm ja ein paar Tipps geben.
Nachdem ich den Mailanhang mit seinem Lebenslauf
geöffnet hatte, war mir sofort klar, warum ihn niemand haben wollte. Ich als
deutscher Arbeitgeber würde mir auch nicht die Russenmafia in die Firma holen
wollen, einen Typen mit halb zusammengekniffenen Augen, nach unten gezogenen
Mundwinkeln und einer Kapuze über dem Kopf.
Sie haben ein äußerst unglückliches Foto
ausgewählt, schrieb ich dem Physiker.
Ach so? Ich wusste gar nicht, dass das bei
Bewerbungen so eine große Rolle spielt. Na, macht nichts, ich lasse ein neues
Foto machen.
Dreißig mögliche Arbeitsplätze hast du dir
leider schon versaut, dachte ich. Interessant, dass für manche Dinge, die in
Deutschland selbstverständlich sind, so gar kein Gespür bei einigen Russen
vorhanden ist. Zum Beispiel, dass man auf einem Bewerbungsfoto nicht wie ein
Gangster aussehen sollte.
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