Der größte Teil des öffentlichen Nahverkehrs erfolgt in
Ulan-Ude, wie in den meisten anderen russischen Städten auch, mit
Kleintransportern von der Größe eines Fiat Ducato oder Ford Transit. Sie werden
Marschrutkas genannt, was in vielen
Reiseführern mit Sammeltaxi übersetzt
wird. Treffender finde ich die Bezeichnung Kleinbus, da sie auf einer
festgelegten Route fahren und nur an Haltestellen anhalten.
Eine Kleinbusfahrt in Ulan-Ude kostet 20 Rubel (ca. 30
Cent). Es gibt keine Fahrkarten, keine Tarifzonen und keinen Rabatt für
bestimmte Bevölkerungsgruppen wie z.B. Studenten. Im Fahrgastraum hängt ein
Schild „Oplata pri východe“ – Bezahlen beim Aussteigen. Der Fahrer hält seine
Hand hin und man übergibt 20 Rubel, möglichst passend, wenn nicht, dann hat er
schon das Wechselgeld auf einen 50- oder 100-Rubel-Schein in Portionen sortiert
bereit. Von Stadt zu Stadt kann sich das unterscheiden; in anderen russischen
Städten muss beim Einsteigen bezahlt werden. Wenn der Kleinbus an einer
Haltestelle halten soll, muss man rufen „Na astanóvkje, pozhaluista“ – an der
Haltestelle, bitte. Manchmal ruft der Fahrer als Antwort nach hinten „charashó“
– gut; meistens antwortet er nicht und der Fahrgast geht davon aus, dass er es
verstanden hat. Wenn niemand aussteigen will, werden Haltestellen nicht
angefahren, es sei denn, dort steht jemand und gibt durch Winken zu erkennen,
dass er einsteigen will.
An den meisten Haltestellen ist nicht zu erkennen, von
welchen Buslinien sie bedient werden. Fahrpläne gibt es keine. Selten gibt es
eine Tafel mit den Intervallen, in denen sie verkehren, zum Beispiel Linie 97
von 10-16 Uhr alle 10-15 Minuten, von 16-20 Uhr alle 10-12 Minuten und von
20-22 Uhr alle 15-20 Minuten. In den letzten Monaten sind einige neue
Haltestellenhäuschen aufgetaucht, an denen der Name auch auf Englisch steht und
die eine Anzeige mit digitaler Laufschrift haben, die jedoch oft nicht
funktioniert.
In Ulan-Ude gibt es vier Straßenbahnlinien. Der Netzplan ist
im Wesentlichen ein großer Ring mit ei paar Abzweigungen. Jede Straßenbahn
besteht aus einem Wagen. Die Fahrt kostet 15 Rubel. Fahrkarten werden vom
Schaffner verkauft, der immer mitfährt, durch den Wagen läuft und sich merkt,
wer schon einen Fahrschein gekauft hat und wer noch nicht. Es existieren keine
Fahrkartenautomaten. Selten steigen Kontrolleure ein und kontrollieren, ob auch
jeder beim Schaffner eine Fahrkarte gekauft hat. Auf einem Schild steht eine
Telefonnummer, die man anrufen soll, wenn der Schaffner einem zwar die 15 Rubel
abgenommen, aber keinen Fahrschein gegeben hat. Die Namen der Haltestellen
werden von einem Lautsprecher durchgesagt, in manchen Wagen wird noch ein Band
abgespielt, auf dem eine Stimme in Windeseile historische Informationen
herunterrasselt („Nächste Station: Städtisches Krankenhaus. Das städtische
Krankenhaus nahm seine Tätigkeit am achtundzwanzigsten August
neunzehnhundertsechsunddreißig auf und entwickelte sich bald zur führenden
Gesundheitseinrichtung der Stadt. Zum Wohle der Bevölkerung arbeiteten und
forschten hier…“). Die Straßenbahnwagen sind alt und dickbauchig, die sich
zwischen Gleisen und Auto-Fahrbahn befindlichen Haltestellen sehr schmal und
ohne Absperrung zur Fahrbahn hin; zwischen vorbeirasenden Autos und Straßenbahn
verbleibt gerade mal ein Meter.
Im Zentrum gibt es viele Fußgängerüberwege, oft an
unlogischen Stellen (z.B. 50 Meter hinter einer Ampel). Die weißen
Zebrastreifen auf dem Asphalt sind oft kaum noch zu erkennen. Damit Autofahrer
dort anhalten, muss man einfach die Fahrbahn betreten, sozusagen in den
laufenden Verkehr hineingehen – kurz vor einem kommen die Wagen dann abrupt zum
Stehen; ich habe auf diese Weise gelernt, was für kurze Bremswege Autos doch
haben können, wenn es darauf ankommt.
Ampeln haben oft eine Anzeige mit rücklaufenden Sekunden,
wie lange man noch warten muss – eine gute Idee, die das Warten subjektiv
erleichtert. Fußgängerampeln „zum Drücken“ sind nicht verbreitet. Auf dem Weg
von meiner Wohnung zum Arbeitsplatz überquere ich täglich die von mir so
getaufte „Mörderkreuzung“. Auch nachdem die Ampel schon auf Grün geschaltet
hat, rasen in den ersten zwei Sekunden noch Autos an den Fußgängern vorbei, die
oft schon einen halben Schritt vorwärts gemacht haben; manchmal hupen sie dazu.
Ob das daran liegt, dass die Übergangsphase zwischen Grün für die Autos und
Grün für die Fußgänger zu kurz ist, habe ich noch nicht ermittelt.
Im Straßenverkehr geht es deutlich rabiater und
rücksichtsloser zu als in Deutschland, auch wenn sich da in den letzten Jahren
in Russland einiges getan hat; die Strafen für Geschwindigkeitsüberschreitungen
sind so hoch, dass sie tatsächlich weh tun. In der Stadt fahren die meisten
Menschen inzwischen angeschnallt; Taxifahrer reagieren nicht mehr beleidigt,
wenn man sich anschnallt (ob man denn an ihren Fähigkeiten, zu fahren, zweifeln
würde?), sondern bitten die Passagiere im Gegenteil darum. Eine Taxifahrt
kostet umgerechnet etwa soviel wie eine Straßenbahn- oder Busfahrt in einer
deutschen Großstadt.
Die Anzahl von Autos, die sich an Werktagen durch das
Zentrum von Ulan-Ude wälzt, lässt nicht vermuten, dass Burjatien eine der
ärmeren Regionen Russlands ist. Früh und abends gibt es oft Stau. Es dominieren
japanische Marken, oft mit Steuer auf der linken Seite, aber auch alte klapprige
Ladas oder deutsche Fabrikate kommen vor. An der Tankstelle heißt es: erst
bezahlen, dann tanken. Das Benzin ist dreimal billiger als in Deutschland;
Diesel und Benzin kosten etwa das Gleiche.
Ich habe es noch immer nicht geschafft, mir einen Internationalen
Führerschein zu besorgen und bin deshalb hier noch nicht unter die Autofahrer
gegangen, obwohl ich schon Lust hätte, mir einen Wagen auszuleihen und über
Land durch die Steppe zu fahren. Seit meinem letzten Deutschlandaufenthalt vor
einem halben Jahr bin ich auch kein Rad mehr gefahren. Als Fortbewegungsmittel
in der Stadt sind Fahrräder praktisch unbekannt.
Die Statistik sagt: im Jahre 2015 gab es in Russland über
23000 und in Deutschland etwa 3500
Verkehrstote. Die Anzahl an zugelassenen Pkws ist in beiden Ländern etwa gleich hoch, die Zahl der Unfälle mit Verletzten aber in Deutschland größer –
ein Hinweis darauf, dass die hohe Zahl der Verkehrstoten in Russland auch mit
der schlechteren medizinischen Versorgung zusammenhängen kann.
Eine Marschrutka an der Haltestelle "Sowjetplatz", im Hintergrund das Lenindenkmal und aus Eisblöcken geschaffene Kunstwerke |