Samstag, 17. Dezember 2016

Straßenverkehr in Ulan-Ude

Der größte Teil des öffentlichen Nahverkehrs erfolgt in Ulan-Ude, wie in den meisten anderen russischen Städten auch, mit Kleintransportern von der Größe eines Fiat Ducato oder Ford Transit. Sie werden Marschrutkas genannt, was in vielen Reiseführern mit Sammeltaxi übersetzt wird. Treffender finde ich die Bezeichnung Kleinbus, da sie auf einer festgelegten Route fahren und nur an Haltestellen anhalten.
Eine Kleinbusfahrt in Ulan-Ude kostet 20 Rubel (ca. 30 Cent). Es gibt keine Fahrkarten, keine Tarifzonen und keinen Rabatt für bestimmte Bevölkerungsgruppen wie z.B. Studenten. Im Fahrgastraum hängt ein Schild „Oplata pri východe“ – Bezahlen beim Aussteigen. Der Fahrer hält seine Hand hin und man übergibt 20 Rubel, möglichst passend, wenn nicht, dann hat er schon das Wechselgeld auf einen 50- oder 100-Rubel-Schein in Portionen sortiert bereit. Von Stadt zu Stadt kann sich das unterscheiden; in anderen russischen Städten muss beim Einsteigen bezahlt werden. Wenn der Kleinbus an einer Haltestelle halten soll, muss man rufen „Na astanóvkje, pozhaluista“ – an der Haltestelle, bitte. Manchmal ruft der Fahrer als Antwort nach hinten „charashó“ – gut; meistens antwortet er nicht und der Fahrgast geht davon aus, dass er es verstanden hat. Wenn niemand aussteigen will, werden Haltestellen nicht angefahren, es sei denn, dort steht jemand und gibt durch Winken zu erkennen, dass er einsteigen will.
An den meisten Haltestellen ist nicht zu erkennen, von welchen Buslinien sie bedient werden. Fahrpläne gibt es keine. Selten gibt es eine Tafel mit den Intervallen, in denen sie verkehren, zum Beispiel Linie 97 von 10-16 Uhr alle 10-15 Minuten, von 16-20 Uhr alle 10-12 Minuten und von 20-22 Uhr alle 15-20 Minuten. In den letzten Monaten sind einige neue Haltestellenhäuschen aufgetaucht, an denen der Name auch auf Englisch steht und die eine Anzeige mit digitaler Laufschrift haben, die jedoch oft nicht funktioniert.
In Ulan-Ude gibt es vier Straßenbahnlinien. Der Netzplan ist im Wesentlichen ein großer Ring mit ei paar Abzweigungen. Jede Straßenbahn besteht aus einem Wagen. Die Fahrt kostet 15 Rubel. Fahrkarten werden vom Schaffner verkauft, der immer mitfährt, durch den Wagen läuft und sich merkt, wer schon einen Fahrschein gekauft hat und wer noch nicht. Es existieren keine Fahrkartenautomaten. Selten steigen Kontrolleure ein und kontrollieren, ob auch jeder beim Schaffner eine Fahrkarte gekauft hat. Auf einem Schild steht eine Telefonnummer, die man anrufen soll, wenn der Schaffner einem zwar die 15 Rubel abgenommen, aber keinen Fahrschein gegeben hat. Die Namen der Haltestellen werden von einem Lautsprecher durchgesagt, in manchen Wagen wird noch ein Band abgespielt, auf dem eine Stimme in Windeseile historische Informationen herunterrasselt („Nächste Station: Städtisches Krankenhaus. Das städtische Krankenhaus nahm seine Tätigkeit am achtundzwanzigsten August neunzehnhundertsechsunddreißig auf und entwickelte sich bald zur führenden Gesundheitseinrichtung der Stadt. Zum Wohle der Bevölkerung arbeiteten und forschten hier…“). Die Straßenbahnwagen sind alt und dickbauchig, die sich zwischen Gleisen und Auto-Fahrbahn befindlichen Haltestellen sehr schmal und ohne Absperrung zur Fahrbahn hin; zwischen vorbeirasenden Autos und Straßenbahn verbleibt gerade mal ein Meter.
Im Zentrum gibt es viele Fußgängerüberwege, oft an unlogischen Stellen (z.B. 50 Meter hinter einer Ampel). Die weißen Zebrastreifen auf dem Asphalt sind oft kaum noch zu erkennen. Damit Autofahrer dort anhalten, muss man einfach die Fahrbahn betreten, sozusagen in den laufenden Verkehr hineingehen – kurz vor einem kommen die Wagen dann abrupt zum Stehen; ich habe auf diese Weise gelernt, was für kurze Bremswege Autos doch haben können, wenn es darauf ankommt. 
Ampeln haben oft eine Anzeige mit rücklaufenden Sekunden, wie lange man noch warten muss – eine gute Idee, die das Warten subjektiv erleichtert. Fußgängerampeln „zum Drücken“ sind nicht verbreitet. Auf dem Weg von meiner Wohnung zum Arbeitsplatz überquere ich täglich die von mir so getaufte „Mörderkreuzung“. Auch nachdem die Ampel schon auf Grün geschaltet hat, rasen in den ersten zwei Sekunden noch Autos an den Fußgängern vorbei, die oft schon einen halben Schritt vorwärts gemacht haben; manchmal hupen sie dazu. Ob das daran liegt, dass die Übergangsphase zwischen Grün für die Autos und Grün für die Fußgänger zu kurz ist, habe ich noch nicht ermittelt.
Im Straßenverkehr geht es deutlich rabiater und rücksichtsloser zu als in Deutschland, auch wenn sich da in den letzten Jahren in Russland einiges getan hat; die Strafen für Geschwindigkeitsüberschreitungen sind so hoch, dass sie tatsächlich weh tun. In der Stadt fahren die meisten Menschen inzwischen angeschnallt; Taxifahrer reagieren nicht mehr beleidigt, wenn man sich anschnallt (ob man denn an ihren Fähigkeiten, zu fahren, zweifeln würde?), sondern bitten die Passagiere im Gegenteil darum. Eine Taxifahrt kostet umgerechnet etwa soviel wie eine Straßenbahn- oder Busfahrt in einer deutschen Großstadt.
Die Anzahl von Autos, die sich an Werktagen durch das Zentrum von Ulan-Ude wälzt, lässt nicht vermuten, dass Burjatien eine der ärmeren Regionen Russlands ist. Früh und abends gibt es oft Stau. Es dominieren japanische Marken, oft mit Steuer auf der linken Seite, aber auch alte klapprige Ladas oder deutsche Fabrikate kommen vor. An der Tankstelle heißt es: erst bezahlen, dann tanken. Das Benzin ist dreimal billiger als in Deutschland; Diesel und Benzin kosten etwa das Gleiche.
Ich habe es noch immer nicht geschafft, mir einen Internationalen Führerschein zu besorgen und bin deshalb hier noch nicht unter die Autofahrer gegangen, obwohl ich schon Lust hätte, mir einen Wagen auszuleihen und über Land durch die Steppe zu fahren. Seit meinem letzten Deutschlandaufenthalt vor einem halben Jahr bin ich auch kein Rad mehr gefahren. Als Fortbewegungsmittel in der Stadt sind Fahrräder praktisch unbekannt.
Die Statistik sagt: im Jahre 2015 gab es in Russland über 23000  und in Deutschland etwa 3500 Verkehrstote. Die Anzahl an zugelassenen Pkws ist in beiden Ländern etwa gleich hoch, die Zahl der Unfälle mit Verletzten aber in Deutschland größer – ein Hinweis darauf, dass die hohe Zahl der Verkehrstoten in Russland auch mit der schlechteren medizinischen Versorgung zusammenhängen kann.
Eine Marschrutka an der Haltestelle "Sowjetplatz", im Hintergrund das Lenindenkmal und aus Eisblöcken geschaffene Kunstwerke