Florian, ein ehemaliger Kommilitone von mir, sammelt Spiele,
und zwar solche, die sich im Deutschunterricht mit Ausländern verwenden lassen.
In seinem Berliner WG-Zimmer türmen sich hunderte von ihnen, große und kleine
Kärtchen mit Worten und Bildern, Würfel, Sanduhren und Anleitungen mit Ideen dazu, wie man all das
verwenden kann. Vor meiner Abreise nach Ulan-Ude habe ich ihn getroffen und mir
einige von ihnen vorführen lassen. Daran muss ich jetzt denken, im Foyer des
Unigebäudes sitzend, an einem eigens aufgestellten Tisch, vor mir ausgebreitet
Pappkärtchen von Dixit, Der Plumpsack geht um und Brainbox Deutschland. Den vorbeigehenden
Studenten nicke ich aufmunternd zu. Wie wärs mit einer schnellen Runde jetzt in
der Pause…? Preise liegen auch bereit: Kleine Schokoladentäfelchen, die ein
bekanntes Sprachinstitut mit deutschen Wörtern bedruckt hat. Einige bleiben
stehen, lassen sich auf einen Wettkampf im Gegenstände benennen oder
Sehenswürdigkeiten memorieren ein. Wer kein Deutsch kann, bekommt die
Schokolade trotzdem, wenn er wenigstens drei deutsche Wörter nennt. Ich liebe dich, Guten Tag, eins zwei drei!
Ein paar Meter weiter an einem Stehtisch passiert Ähnliches, dort steht eine
von mir im Spielen geschulte Kollegin. Die Klingel zur nächsten Doppelstunde schrillt,
egal, in der Regel sind nicht einmal die Dozenten pünktlich… Es ist die
Eröffnung der diesjährigen Tage der
Deutschen Sprache an unserem Institut, eine Woche mit Lieder-, Theater- und
Übersetzungswettbewerben, gekrönt von einem studentischen Glühwein- und
Plätzchenmarkt. Im letzten Jahr war ein original erzgebirgischer
Weihnachtsstollen von meinen Auer
Großeltern eine der kulinarischen Hauptattraktionen. Das diesjährige Paket ist
entweder noch unterwegs oder wurde von einem neugierigen Zollbeamten geöffnet
und der Inhalt verspeist – wenn überhaupt wieder ein Stollen darin war.
Bei euch ist die Weihnachtszeit so stimmungsvoll, höre ich
immer wieder, die tollen Weihnachtsmärkte, der Duft, die Lichter… Naja, antworte
ich dann meistens, mir ging der Kommerz in Deutschland eher auf die Nerven, ich
bin ganz froh, diesen Rummel in Russland nicht zu haben.
Gesänge und Gedichte
Bei etwa minus zwanzig Grad war ich heute auf dem Kahlen Berg spazieren. Von oben sah ich
die aus dem Schornstein des Heizkraftwerkes kommende dicke, die ganze Stadt wie
eine Wolkenschicht abdeckende Rauchwolke. Begleitet wurde ich von Regisseur Oleg Jumov und zwei Leuten mit Kamera, die mich beim Drehen der buddhistischen
Gebetsrollen, In-die-Ferne-Schauen und Sitzen in der Jahr-des-Schafes-Laube filmten. „Stadt der Poeten“ heißt der
geplante Film mit Bildaufnahmen von 20 verschiedenen Leuten und ihren
poesielesenden Stimmen. Morgen bin ich ins Studio geladen zum Gedicht
deklamieren. Kein Wesen kann zu Nichts
zerfallen, das Ewige regt sich fort in allen – der Ernst der deutschen Klassik gefällt mir und kommt hier auch gut
an, ich glaube, ich werde ein Reclam-Heftchen mit Goethe dabeihaben.
Im Foyer der Uni: Schokolade (rechts) und Spiele: |
Der Sretensker Klosterchor aus Moskau zu Gast in Ulan-Ude (oben) |
Ulan-Ude bei minus 20 Grad - unter einer Rauchwolke vom Heizkraftwerk verborgen (oben); buddhistische Gebetsfähnchen auf dem Kahlen Berg (unten) |