Samstag, 10. Dezember 2016

Schokolade und Spiele

Florian, ein ehemaliger Kommilitone von mir, sammelt Spiele, und zwar solche, die sich im Deutschunterricht mit Ausländern verwenden lassen. In seinem Berliner WG-Zimmer türmen sich hunderte von ihnen, große und kleine Kärtchen mit Worten und Bildern, Würfel, Sanduhren und  Anleitungen mit Ideen dazu, wie man all das verwenden kann. Vor meiner Abreise nach Ulan-Ude habe ich ihn getroffen und mir einige von ihnen vorführen lassen. Daran muss ich jetzt denken, im Foyer des Unigebäudes sitzend, an einem eigens aufgestellten Tisch, vor mir ausgebreitet Pappkärtchen von Dixit, Der Plumpsack geht um und Brainbox Deutschland. Den vorbeigehenden Studenten nicke ich aufmunternd zu. Wie wärs mit einer schnellen Runde jetzt in der Pause…? Preise liegen auch bereit: Kleine Schokoladentäfelchen, die ein bekanntes Sprachinstitut mit deutschen Wörtern bedruckt hat. Einige bleiben stehen, lassen sich auf einen Wettkampf im Gegenstände benennen oder Sehenswürdigkeiten memorieren ein. Wer kein Deutsch kann, bekommt die Schokolade trotzdem, wenn er wenigstens drei deutsche Wörter nennt. Ich liebe dich, Guten Tag, eins zwei drei! Ein paar Meter weiter an einem Stehtisch passiert Ähnliches, dort steht eine von mir im Spielen geschulte Kollegin. Die Klingel zur nächsten Doppelstunde schrillt, egal, in der Regel sind nicht einmal die Dozenten pünktlich… Es ist die Eröffnung der diesjährigen Tage der Deutschen Sprache an unserem Institut, eine Woche mit Lieder-, Theater- und Übersetzungswettbewerben, gekrönt von einem studentischen Glühwein- und Plätzchenmarkt. Im letzten Jahr war ein original erzgebirgischer Weihnachtsstollen  von meinen Auer Großeltern eine der kulinarischen Hauptattraktionen. Das diesjährige Paket ist entweder noch unterwegs oder wurde von einem neugierigen Zollbeamten geöffnet und der Inhalt verspeist – wenn überhaupt wieder ein Stollen darin war.
Bei euch ist die Weihnachtszeit so stimmungsvoll, höre ich immer wieder, die tollen Weihnachtsmärkte, der Duft, die Lichter… Naja, antworte ich dann meistens, mir ging der Kommerz in Deutschland eher auf die Nerven, ich bin ganz froh, diesen Rummel in Russland nicht zu haben.

Gesänge und Gedichte

In dieser Woche war der Sretensker Klosterchor aus Moskau in Ulan-Ude zu Gast und gab ein A-chapella-Konzert mit geistlichen Gesängen, Kosaken- und russischen Volksliedern. Ohne jeden Firlefanz und Glitter, ohne schleimigen Moderator und schmalzige Klänge von der Konserve. Kein Zweifel, einer der besten russischen Chöre! Jetzt hast Du mal ein richtig gutes, klassisches Konzert erlebt, so wie bei uns in Deutschland üblich, meinte ich zu Niso nach der Vorstellung. So richtig gut wie in Deutschland waren allerdings auch die Ticketpreise, mit 2400 Rubeln etwa das Zehnfache einer Eintrittskarte in die Oper.

Bei etwa minus zwanzig Grad war ich heute auf dem Kahlen Berg spazieren. Von oben sah ich die aus dem Schornstein des Heizkraftwerkes kommende dicke, die ganze Stadt wie eine Wolkenschicht abdeckende Rauchwolke. Begleitet wurde ich von Regisseur Oleg Jumov und zwei Leuten mit Kamera, die mich beim Drehen der buddhistischen Gebetsrollen, In-die-Ferne-Schauen und Sitzen in der Jahr-des-Schafes-Laube filmten. „Stadt der Poeten“ heißt der geplante Film mit Bildaufnahmen von 20 verschiedenen Leuten und ihren poesielesenden Stimmen. Morgen bin ich ins Studio geladen zum Gedicht deklamieren. Kein Wesen kann zu Nichts zerfallen, das Ewige regt sich fort in allen – der Ernst der deutschen Klassik gefällt mir und kommt hier auch gut an, ich glaube, ich werde ein Reclam-Heftchen mit Goethe dabeihaben.

Im Foyer der Uni: Schokolade (rechts) und Spiele:
Der Sretensker Klosterchor aus Moskau zu Gast in Ulan-Ude (oben)
Ulan-Ude bei minus 20 Grad - unter einer Rauchwolke vom Heizkraftwerk verborgen (oben); buddhistische Gebetsfähnchen auf dem Kahlen Berg (unten)