Mittwoch, 21. Dezember 2016

Milonga mit Mascha

Normalerweise bereite ich zuhause kein Fleisch zu. Neulich habe ich eine Ausnahme gemacht und leckeres, aromatisches Schafsfleisch gekocht. Niso sagt, ihr tadschikischer Vater würde ein Mittagessen ohne Fleisch nicht mal anschauen, das wäre für ihn kein Essen. – Außerdem haben wir zusammen Kompott zubereitet: Vogelbeeren, die ich im Herbst auf dem Markt gekauft und tiefgekühlt hatte, mit braunem Zucker eine Weile aufgekocht. Kompott in Deutschland heißt: gezuckerte Früchte im eigenen Saft. Kompot in Russland bedeutet: süßer Fruchtsaft mit ein paar Früchten darin.

Unser Sonntagsspaziergang führte uns auf die Hügel nördlich der Stadt. Von dort aus hat man einen guten Blick auf ein Pentagon genanntes, riesiges, verwinkeltes und langgestrecktes Gebäude, dessen Form von oben betrachtet an die Buchstabenreihe CCCP erinnert, Sojuz Sovjetskich Sotsialistitsheskich Respublik. Die untere Hälfte des Senkrechtstriches des „P“ fehlt allerdings – unerwartet kamen Perestrojka und das Ende des Kommunismus, der Bau wurde nicht vollendet. Unterwegs ernteten wir von schneebedeckten Sträuchern winzige Äpfelchen und lutschten sie, kaum kirschgroße Früchte, die ihr volles Aroma erst in gefrorenem Zustand entfalten.

Meine gute burjatische Bekannte Mascha weilt zurzeit in ihrer Heimatstadt Ulan-Ude, und gemeinsam mit ihr haben wir auf einer Milonga gespielt, einem Tango-Tanzabend. Geige und Cello – eine tolle Besetzung für Tangos, auch ohne Bandoneon! Mascha hatte mich in den letzten Jahren in Potsdam regelmäßig besucht, wir hatten in Stevens Tangogarten und bei Kurth und Mona auf dem Theaterschiff und im Musikpavillon am Templiner See gespielt. Erfahrung mit Life-Musik auf Tanzveranstaltungen ist hier in Ulan-Ude kaum vorhanden. Das Honorar, das uns die Tanzschule bot, war auch für hiesige Verhältnisse so lächerlich gering, dass ich es dankend ablehnte. DJ Tujana, die an dem Abend für die Musik von der Konserve verantwortlich war, meinte, man könne zu Life-Musik gar nicht richtig tanzen und wollte uns eigentlich nicht haben, was mir am Anfang ziemlich die Laune verdarb. So einen Unsinn kann wirklich nur jemand in einer kulturellen Wüste wie Sibirien erzählen. Natürlich aber waren die meisten Leute begeistert. Wie es die Regel auf einer Milonga verlangt, spielten wir Tandas (span. Reihe) aus je drei Tangos und dazwischen ein kurzes Nicht-Tango-Stück, Cortina genannt (span. Vorhang), während dem die Männer ihre Dame verabschieden und sich eine neue Tanzpartnerin suchen. - Die temperamentvolle, quirlige Mascha ist für mich eine tolle Duopartnerin, sie spielt brilliant und ohne Aussetzer und Unsicherheiten. Im Januar geht sie zurück auf ein riesiges Kreuzfahrtschiff, wo sie irgendwo in den Weiten der Karibik die Passagiere mit der Geige unterhält.

Gestern habe ich zum ersten Mal eine Studentin nach Hause geschickt. Sie war seit September nicht zum Kurs gekommen – seit April hatte man die junge Frau nicht mehr an der Uni gesehen – und nun auf einmal in der letzten Unterrichtsstunde wieder aufgetaucht. Da das russische System keine flexible Kurswiederholung zulässt, muss sie eigentlich das ganze Jahr noch einmal machen. Aber weil der Lehrstuhl Absolventen braucht, werden die Kollegen sie wahrscheinlich irgendwie durchkommen lassen. Ich finde das nicht fair gegenüber den Studenten, die die meiste Zeit über anwesend waren; es entwertet den Sinn des ganzen Uni-Betriebes.

Den für morgen geplanten Auftritt mit meinem Chor habe ich abgesagt. Als die Probe wie jeden Dienstag um 16.20 Uhr begann, waren nur sechs Leute da; innerhalb der nächsten halben Stunde kamen noch einmal so viele, die allerdings größtenteils bei den letzten Proben nicht dabei waren. Oh Tannenbaum und Stille Nacht klingen zweistimmig eigentlich sehr schön, bei uns allerdings eher furchtbar, und ich möchte mich nicht blamieren.

Gelegentlich skype ich mit meinem Bruder Michael in Leipzig. Der Zeitunterschied von 7 Stunden macht es möglich, dass wir uns dann miteinander unterhalten, wenn wir uns beide am wohlsten fühlen: er um Mitternacht, ich nach dem Aufstehen um 7 Uhr morgens. Man könnte sagen, die Entfernung von achttausend Kilometern ist unserer brüderlichen Kommunikation sehr förderlich.

Micha (oben) und Mascha (unten)
Das "Pentagon" genannte, riesige Gebäude im Form der Buchstaben "CCCP" (vom Betrachter aus auf dem Kopf stehend)
Blick auf den buddhistischen Dazan auf dem Kahlen Berg (oben), Kirschgroße Äpfel (unten)