Normalerweise bereite ich zuhause
kein Fleisch zu. Neulich habe ich eine Ausnahme gemacht und leckeres,
aromatisches Schafsfleisch gekocht. Niso sagt, ihr tadschikischer Vater würde
ein Mittagessen ohne Fleisch nicht mal anschauen, das wäre für ihn kein Essen.
– Außerdem haben wir zusammen Kompott zubereitet: Vogelbeeren, die ich im
Herbst auf dem Markt gekauft und tiefgekühlt hatte, mit braunem Zucker eine
Weile aufgekocht. Kompott in Deutschland heißt: gezuckerte Früchte im eigenen
Saft. Kompot in Russland bedeutet:
süßer Fruchtsaft mit ein paar Früchten darin.
Unser Sonntagsspaziergang führte
uns auf die Hügel nördlich der Stadt. Von dort aus hat man einen guten Blick
auf ein Pentagon genanntes, riesiges,
verwinkeltes und langgestrecktes Gebäude, dessen Form von oben betrachtet an
die Buchstabenreihe CCCP erinnert, Sojuz Sovjetskich Sotsialistitsheskich
Respublik. Die untere Hälfte des Senkrechtstriches des „P“ fehlt allerdings
– unerwartet kamen Perestrojka und das Ende des Kommunismus, der Bau wurde
nicht vollendet. Unterwegs ernteten wir von schneebedeckten Sträuchern winzige Äpfelchen und lutschten sie, kaum kirschgroße Früchte, die ihr volles Aroma erst in gefrorenem Zustand entfalten.
Meine gute burjatische Bekannte
Mascha weilt zurzeit in ihrer Heimatstadt Ulan-Ude, und gemeinsam mit ihr haben
wir auf einer Milonga gespielt, einem
Tango-Tanzabend. Geige und Cello – eine tolle Besetzung für Tangos, auch ohne
Bandoneon! Mascha hatte mich in den letzten Jahren in Potsdam regelmäßig
besucht, wir hatten in Stevens Tangogarten
und bei Kurth und Mona auf dem Theaterschiff
und im Musikpavillon am Templiner See
gespielt. Erfahrung mit Life-Musik auf Tanzveranstaltungen ist hier in Ulan-Ude
kaum vorhanden. Das Honorar, das uns die Tanzschule bot, war auch für hiesige
Verhältnisse so lächerlich gering, dass ich es dankend ablehnte. DJ Tujana, die an dem Abend für die
Musik von der Konserve verantwortlich war, meinte, man könne zu Life-Musik gar
nicht richtig tanzen und wollte uns eigentlich nicht haben, was mir am Anfang
ziemlich die Laune verdarb. So einen Unsinn kann wirklich nur jemand in einer
kulturellen Wüste wie Sibirien erzählen. Natürlich aber waren die meisten Leute
begeistert. Wie es die Regel auf einer Milonga verlangt, spielten wir Tandas (span. Reihe) aus je drei Tangos und dazwischen ein kurzes
Nicht-Tango-Stück, Cortina genannt
(span. Vorhang), während dem die
Männer ihre Dame verabschieden und sich eine neue Tanzpartnerin suchen. - Die
temperamentvolle, quirlige Mascha ist für mich eine tolle Duopartnerin, sie
spielt brilliant und ohne Aussetzer und Unsicherheiten. Im Januar geht sie
zurück auf ein riesiges Kreuzfahrtschiff, wo sie irgendwo in den Weiten der Karibik
die Passagiere mit der Geige unterhält.
Gestern habe ich zum ersten Mal
eine Studentin nach Hause geschickt. Sie war seit September nicht zum Kurs
gekommen – seit April hatte man die junge Frau nicht mehr an der Uni gesehen –
und nun auf einmal in der letzten Unterrichtsstunde wieder aufgetaucht. Da das
russische System keine flexible Kurswiederholung zulässt, muss sie eigentlich
das ganze Jahr noch einmal machen. Aber weil der Lehrstuhl Absolventen braucht,
werden die Kollegen sie wahrscheinlich irgendwie durchkommen lassen. Ich finde
das nicht fair gegenüber den Studenten, die die meiste Zeit über anwesend
waren; es entwertet den Sinn des ganzen Uni-Betriebes.
Den für morgen geplanten Auftritt
mit meinem Chor habe ich abgesagt. Als die Probe wie jeden Dienstag um 16.20 Uhr
begann, waren nur sechs Leute da; innerhalb der nächsten halben Stunde kamen
noch einmal so viele, die allerdings größtenteils bei den letzten Proben nicht
dabei waren. Oh Tannenbaum und Stille Nacht klingen zweistimmig
eigentlich sehr schön, bei uns allerdings eher furchtbar, und ich möchte mich
nicht blamieren.
Gelegentlich skype ich mit meinem
Bruder Michael in Leipzig. Der Zeitunterschied von 7 Stunden macht es möglich,
dass wir uns dann miteinander unterhalten, wenn wir uns beide am wohlsten
fühlen: er um Mitternacht, ich nach dem Aufstehen um 7 Uhr morgens. Man könnte
sagen, die Entfernung von achttausend Kilometern ist unserer brüderlichen
Kommunikation sehr förderlich.
Micha (oben) und Mascha (unten) |
Das "Pentagon" genannte, riesige Gebäude im Form der Buchstaben "CCCP" (vom Betrachter aus auf dem Kopf stehend) |
Blick auf den buddhistischen Dazan auf dem Kahlen Berg (oben), Kirschgroße Äpfel (unten) |