Armenien ist das Land der Steine.
Nicht nur die Häuser in der Stadt und auf dem Land sind aus Tuff oder Basalt,
sondern auch die Kirchen; wuchtig und gedrungen stehen sie in den Bergen,
drinnen herrscht ehrfurchtgebietende Dunkelheit, durch kleine Fenster fällt
Sonnenlicht ins Innere. Sie wirken noch düsterer und trotziger als die
romanischen Kirchen in Mitteleuropa. Andrés armenische Frau Emma nahm mich in
Jerevan mit zu einem Gottesdienst. Die Armenische Apostolische Kirche – älteste
Staatskirche der Welt! – gibt es seit Anfang des 3. Jahrhunderts, ihr Oberhaupt, das Gegenstück zum Papst also, heißt Katholikos. Ich war erstaunt,
Bankreihen zum Sitzen vorzufinden, nur wenige, große Ikonen hingen an den
Wänden, die Priester hatten lange, festliche Gewänder an, es wurde viel
geräuchert. Ein schwerer Vorhang wird an bestimmten Stellen des Rituals vor den
Altar gezogen und verdeckt den Blick der Gemeinde auf das Geschehen. Mich
erinnerte der Gottesdienst eher an den Tridentinischen Ritus der Katholiken
(der 1962 abgeschafft wurde, den es aber zum Beispiel in einigen Berliner
Gemeinden noch gibt) als an die russisch-orthodoxe Kirche. Fast zu Tränen
rührte mich der Männergesang, archaisch, urwüchsig, machtvoll und irgendwie
auch exotisch, nicht auf einer klassischen europäischen Tonalität beruhend.
Ich bin sehr angenehm überrascht
von den Armeniern, die mir auf meiner dreitägigen Rundreise begegneten: offene,
freundliche, hilfsbereite, aber auch nicht aufdringliche Menschen. Haut- und
Haarfarbe sowie mein großer Rucksack klassifizieren mich überall sofort als
Tourist, es kam vor, dass ich angesprochen wurde, Wasser angeboten bekam – und wenig
später mit einem kleinen Kaffee vor der Nase in einem schattigen Innenhof saß.
Die ältere Generation spricht fließend Russisch und die meisten Jüngeren auch,
viele haben zu Sowjetzeiten in Russland gedient und einige auch in der DDR, Deutschland
hat einen guten Ruf.
Unweit des Dorfes Tatev befindet
sich eine berühmte Klosterruine an einem Felsabgrund über einer bewaldeten
Schlucht. Zwei Jugendliche und zwei Frauen kommen auf mich zu, eine von ihnen
spricht mich in geschliffenem Englisch an, ob ich schon eine Übernachtung hätte
und nicht vielleicht zu ihnen wolle? Bed
and Breakfast für nur 7000 Dram (13 Euro), in einer echten armenischen
Familie wohnen, organic food aus
eigenem Anbau, Terrasse mit tollem Blick auf die Berge. Ich bin einverstanden.
Sie gingen jetzt noch in die Kirche und ich solle mich auf keinen Fall schon
allein ins Dorf begeben, sonst würden mich womöglich die Nachbarn abfangen und
in ein anderes Haus mitnehmen, das wäre doch schade.
Von der Herzlichkeit der Familie
bin ich begeistert. Liana, die Schwester der Hausherrin Greta, ist mit ihren beiden Kindern Hrair und Lilit
zu Gast, sie haben anderthalb Jahre in den USA gewohnt, daher ihr Englisch; der
Großvater Rasmik, kerngesund und an die 80, erläutert mir auf Russisch, warum Putins
Politik Armenien gegenüber nicht gerecht sei – weil er beide unterstütze, sein
Land und den Aggressor Aserbaidzhan. Ich spiele mit ihm zwei Runden Schach,
verliere beide Male und bekomme trotzdem ein Lob: im Unterschied zu anderen
Touristen habe er bei mir etwas nachdenken müssen. Haben die Menschen in der
Sowjetunion in Armenien besser gelebt als jetzt, werfe ich als Frage beim
gemeinsamen Abendessen in die Runde. Natürlich, sagt der Großvater, alle hatten
Arbeit, niemand musste sich Sorgen machen, es gab kaum Unterschiede zwischen
Arm und Reich. Natürlich nicht, erklärt mir sein 17-jähriger Enkel, man konnte
nicht sagen was man wollte, nicht frei reisen, kein Unternehmen gründen und
sein eigener Chef sein. Nach dem Frühstück besichtigen wir Stall und Garten:
ein Kalb und ein Esel stehen etwas verloren im Stockdunklen, wegen
Kabelbrand-Gefahr wird das Licht nicht angemacht; vor dem Haus baut die Familie
Bohnen und Kartoffeln an, acht Bienenvölker stehen auf der Wiese.
In Armenien scheint es mehr intakte
Landwirtschaft zu geben als in meiner eher kargen Wahlheimat Burjatien; überall werden
dicke saftige Wassermelonen angeboten und auch Pfirsiche aus heimischem Anbau.
Was für die Burjaten der Baikal ist, ist für die Armenier der Sewan-See, der
größte Süßwassersee des Kaukasus, freilich dreißig mal kleiner und nicht mal
ein Zehntel so tief wie sein „russischer Bruder“. Während in Jerewan auch
nachts eine derartige Hitze herrscht, dass ich nachts kaum Schlaf finde, ist es
am Sewan-See in 1900m Höhe über dem Meeresspiegel angenehm kühl. An seinem
Ufer besuche ich die beiden Kirchen Hayravank und Sewan. Überall stehen steinerne Grabplatten mit eingemeißelten
Kreuzen und armenischen Schriftzeichen, verwittert und mit orangebraunen
Flechten überzogen, es weht ein Hauch von geheimnisvoller Vergangenheit und
Ursprünglichkeit.
Das Kloster Tatev in den armenischen Bergen |
Meine armenische Gastfamilie: Rasmik, Liana, Hrair und Lilit (v.l.n.r.) |
Die Kirche Hayravank am Sewan-See, dem "Baikal Armeniens" |
Die Kirche Sewan am gleichnamigen See |