Brütende August-Hitze in der
armenischen Hauptstadt. An vielen Stellen stehen kleine Brunnen, in denen ein
kompakter Wasserstrahl einige Zentimeter direkt nach oben sprudelt. Zum Trinken
muss man sich nicht einmal die Hände feucht machen, sondern bückt sich etwas
und hält den Mund direkt in das erfrischende Nass.
Zwei Museen in Jerevan
beschäftigen sich mit der jüngeren Geschichte des Landes. Auf einer Anhöhe
gelegen ist das Genozid-Museum mit Ewigem Feuer und einer Fülle an
Informationen, Bildern, Daten und Filmen zur Vertreibung der Armenier aus der
Osttürkei, die im tragischen Völkermord 1915 gipfelte. Ebenso hoch oben über
der Stadt thront eine sowjetisch-gigantomanische Frauenstatue mit Schwert, die „Mutter
Armeniens“, unter der sich das Kriegsmuseum verbirgt, dessen Erdgeschoss dem
Befreiungskrieg um Berg-Karabach in den Jahren 1988-1994 gewidmet ist. Damals
befreiten die Armenier die in Aserbaidzhan gelegene Exklave von den
muslimischen Besatzern und gleich noch eine darum herum gelegene
Sicherheitszone mit dazu. An den Grenzen kommt es seitdem immer einmal wieder
zu Schießereien mit Toten, zuletzt im April dieses Jahres.
Während georgischen Familiennamen
oft auf „-schwili“ enden, erkennt man armenische Namen am „-jan“. Der
derzeitige Präsident heißt Sargsjan, die Frau meines Gastgebers André heißt Emma
Argutjan, neben dem Opernhaus in Jerewan steht ein Denkmal des berühmten
sowjetischen Komponisten Khatschaturjan (dessen „Säbeltanz“ mir noch von meiner
Leipziger Orchester-Zeit im Ohr ist). Auf dem Platz neben der Oper komme ich
mit einem herumsitzenden Polizisten ins Plaudern. Deutsche gibt es wohl eher
selten, dafür sind eine Menge Touristen aus dem Nachbarland Iran unterwegs – am
Kopftuch der Frauen unverkennbar - , für die Armenien viele Freiheiten bietet,
die sie in ihrer Heimat nicht haben – was auch immer genau das heißen mag.
Der Morgen vor meinem Rückflug
nach Russland: wieder sitze ich mit André auf der Terrasse seines Sommerhauses
in Dzorach Bjur, vor ihm auf dem Tisch der obligatorische Laptop, das Handy und
ein Kaffee. Ich kenne niemanden sonst, der von Geschichte und Politik der verschiedensten
Länder eine derartige Ahnung hat wie er. Bewegt erzähle ich ihm von meinen
Museumsbesuchen. „Die Armenier haben mehrere Anschläge auf den ottomanischen
Sultan unternommen. Und nach Ausbruch des ersten Weltkrieges, als die Türkei
auf der Seite Deutschlands gekämpft hat, sind sie massenhaft zum Gegner
Russland übergelaufen. Dann hat der Sultan eben etwas unternommen.“ Ich
schweige etwas erstaunt und nehme mit Verwunderung die Perspektive der
Gegenseite zur Kenntnis. „Natürlich war es schlimm. Aber bisher hat man in
keiner Akte den Befehl zum organisierten Massenabschlachten gefunden, der den
Begriff Völkermord rechtfertigen würde – vergleichbar den
Beschlüssen der Faschisten auf der Wannsee-Konferenz zur Vernichtung der Juden.“
André wirft einen Blick auf meine armenische Landkarte. „In Berg-Karabach gab
es übrigens Dörfer, die sind da bestimmt nicht drauf, weil nichts an sie
erinnern soll: da haben die Armenier alle Aserbaidshaner umgebracht…“-
Der Jerevaner Flughafen ist
hochmodern, im Vergleich zu seinen monströsen Moskauer Gegenstücken aber
ausgesprochen ruhig. Bei der Passkontrolle und beim Einchecken nehmen sich die
Mitarbeiter Zeit für einen Plausch mit mir und fragen mich, wie mir ihr Land
gefallen hat. In der Abflughalle vor den Gates zu den Flugzeugen steht ein in
grellem rot lackiertes Klavier zur freien Benutzung für alle Fluggäste. Wie immer
lasse ich mir im Flugzeug einen Fensterplatz geben und betrachte voller
Ehrfurcht den wilden, schroffen, schneebedeckten und felsigen Hauptkamm des
Kaukasus, den wir kurz nach dem Start überfliegen und der die Grenze zwischen
Georgien und Russland bildet. Bei meinem ersten Besuch im Kaukasus im Jahre
2012 hatte ich, am Hang des Elbrus stehend, auf die georgische Seite
herübergeschaut. Eine aufregendes Stück Erde, und mein Besuch in Armenien war
bestimmt nicht der letzte in der Gegend.
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Kollektives Trinken am öffentlichen Brunnen in Jerevan |
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Ewiges Feuer am Genozid-Museum: Armenier legen Blumen ab zum Gedenken an die Ereignisse von 1915 |
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Im sowjetisch-bombastischen Kriegsmuseum wird die Geschichte des "Befreiungskrieges von Berg-Karabach" erzählt |