Sonntag, 14. August 2016

Jerevan

Brütende August-Hitze in der armenischen Hauptstadt. An vielen Stellen stehen kleine Brunnen, in denen ein kompakter Wasserstrahl einige Zentimeter direkt nach oben sprudelt. Zum Trinken muss man sich nicht einmal die Hände feucht machen, sondern bückt sich etwas und hält den Mund direkt in das erfrischende Nass.
Zwei Museen in Jerevan beschäftigen sich mit der jüngeren Geschichte des Landes. Auf einer Anhöhe gelegen ist das Genozid-Museum mit Ewigem Feuer und einer Fülle an Informationen, Bildern, Daten und Filmen zur Vertreibung der Armenier aus der Osttürkei, die im tragischen Völkermord 1915 gipfelte. Ebenso hoch oben über der Stadt thront eine sowjetisch-gigantomanische Frauenstatue mit Schwert, die „Mutter Armeniens“, unter der sich das Kriegsmuseum verbirgt, dessen Erdgeschoss dem Befreiungskrieg um Berg-Karabach in den Jahren 1988-1994 gewidmet ist. Damals befreiten die Armenier die in Aserbaidzhan gelegene Exklave von den muslimischen Besatzern und gleich noch eine darum herum gelegene Sicherheitszone mit dazu. An den Grenzen kommt es seitdem immer einmal wieder zu Schießereien mit Toten, zuletzt im April dieses Jahres.

Während georgischen Familiennamen oft auf „-schwili“ enden, erkennt man armenische Namen am „-jan“. Der derzeitige Präsident heißt Sargsjan, die Frau meines Gastgebers André heißt Emma Argutjan, neben dem Opernhaus in Jerewan steht ein Denkmal des berühmten sowjetischen Komponisten Khatschaturjan (dessen „Säbeltanz“ mir noch von meiner Leipziger Orchester-Zeit im Ohr ist). Auf dem Platz neben der Oper komme ich mit einem herumsitzenden Polizisten ins Plaudern. Deutsche gibt es wohl eher selten, dafür sind eine Menge Touristen aus dem Nachbarland Iran unterwegs – am Kopftuch der Frauen unverkennbar - , für die Armenien viele Freiheiten bietet, die sie in ihrer Heimat nicht haben – was auch immer genau das heißen mag.

Der Morgen vor meinem Rückflug nach Russland: wieder sitze ich mit André auf der Terrasse seines Sommerhauses in Dzorach Bjur, vor ihm auf dem Tisch der obligatorische Laptop, das Handy und ein Kaffee. Ich kenne niemanden sonst, der von Geschichte und Politik der verschiedensten Länder eine derartige Ahnung hat wie er. Bewegt erzähle ich ihm von meinen Museumsbesuchen. „Die Armenier haben mehrere Anschläge auf den ottomanischen Sultan unternommen. Und nach Ausbruch des ersten Weltkrieges, als die Türkei auf der Seite Deutschlands gekämpft hat, sind sie massenhaft zum Gegner Russland übergelaufen. Dann hat der Sultan eben etwas unternommen.“ Ich schweige etwas erstaunt und nehme mit Verwunderung die Perspektive der Gegenseite zur Kenntnis. „Natürlich war es schlimm. Aber bisher hat man in keiner Akte den Befehl zum organisierten Massenabschlachten gefunden, der den Begriff Völkermord  rechtfertigen würde – vergleichbar den Beschlüssen der Faschisten auf der Wannsee-Konferenz zur Vernichtung der Juden.“ André wirft einen Blick auf meine armenische Landkarte. „In Berg-Karabach gab es übrigens Dörfer, die sind da bestimmt nicht drauf, weil nichts an sie erinnern soll: da haben die Armenier alle Aserbaidshaner umgebracht…“-

Der Jerevaner Flughafen ist hochmodern, im Vergleich zu seinen monströsen Moskauer Gegenstücken aber ausgesprochen ruhig. Bei der Passkontrolle und beim Einchecken nehmen sich die Mitarbeiter Zeit für einen Plausch mit mir und fragen mich, wie mir ihr Land gefallen hat. In der Abflughalle vor den Gates zu den Flugzeugen steht ein in grellem rot lackiertes Klavier zur freien Benutzung für alle Fluggäste. Wie immer lasse ich mir im Flugzeug einen Fensterplatz geben und betrachte voller Ehrfurcht den wilden, schroffen, schneebedeckten und felsigen Hauptkamm des Kaukasus, den wir kurz nach dem Start überfliegen und der die Grenze zwischen Georgien und Russland bildet. Bei meinem ersten Besuch im Kaukasus im Jahre 2012 hatte ich, am Hang des Elbrus stehend, auf die georgische Seite herübergeschaut. Eine aufregendes Stück Erde, und mein Besuch in Armenien war bestimmt nicht der letzte in der Gegend.

Kollektives Trinken am öffentlichen Brunnen in Jerevan
Ewiges Feuer am Genozid-Museum: Armenier legen Blumen ab zum Gedenken an die Ereignisse von 1915
Im sowjetisch-bombastischen Kriegsmuseum wird die Geschichte des "Befreiungskrieges von Berg-Karabach" erzählt