Strahlende Sonne und blauer Himmel mit ein paar Wolken,
Vogelgezwitscher, Fliegengesumme und fernes Hundegebell. Es sind über 20 Grad,
obwohl es erst 7 Uhr morgens ist. Ich sitze am Tisch auf der Terrasse vor einem
steinernen Sommerhaus, mein Blick fällt auf ein kleines Gartengrundstück,
Brombeeren, ein Walnussbaum, Apfel- und Pfirsichbäumchen, etwas weiter am Weg
wächst sogar ein Mandelstrauch. Neben mir tippt André, einer der wenigen meiner
Freunde, die morgens noch früher als ich aufstehen, um geistig zu arbeiten. Vor
ihm stehen ein Laptop und eine Kaffeetasse. „Mehr brauche ich nichts zum
Arbeiten: Notebook, Handy und ein Flughafen“, scherzt André. Er reist durch die
Welt und schreibt Berichte über das, was er sieht und erfährt: für das
britische Außenministerium, das deutsche Auswärtige Amt, die norwegische Entwicklungshilfe und ähnliche Auftraggeber. Bevorzugt ist er in Krisenländern wie
Syrien, Afghanistan oder dem Irak unterwegs. Jetzt aber besuche ich ihn in
einer relativ friedlichen Region. Wir befinden uns in dem Land, welches im Jahre
301 als erstes das Christentum als Staatsreligion einführte, einem kleinen
Staat, wo die Menschen zwar nicht in erster Linie, aber doch meistens auch sehr
gut Russisch sprechen: in Armenien, sozusagen am Südrand des ehemaligen
Sowjet-Imperiums und davor des russischen Zarenreiches.
Von Moskau aus sind es zweieinhalb Flugstunden in die
armenische Hauptstadt Jerewan. Die Einreise ist für deutsche Staatsbürger
denkbar unkompliziert – ein Visum ist nicht nötig, zack, Stempel in den Pass,
wer will, kann 90 Tage bleiben. Anders erging es mir bei der Ausreise aus
Russland.
„Ziel ihrer Reise nach Jerewan“, blafft mich der Grenzbeamte
aus seiner Kabine heraus am Flughafen Domodedovo an. Ich besuche einen Freund,
antworte ich verwirrt und verstehe nicht, warum mir bei der Ausreise jemand so eine Frage stellt.
Bei der Einreise könnten sich ja die
Armenier dafür interessieren, was ich in ihrem Land so vorhabe, aber was geht
das den Russen an? „Wie lange bleiben Sie? Haben Sie eine Rückfahrkarte?“
Schließlich bekomme ich den erlösenden Stempel und darf ins Nahe Ausland reisen, wie Russen die 14
anderen Staaten der ehemaligen UdSSR gern nennen.
André hält sich im Sommer mit seiner armenischen Frau Emma
in einer Art Datsche in der Nähe von Jerewan auf. Als ich Emma von meiner
Befragung beim Grenzübertritt erzähle, regt sie sich furchtbar auf. „Die denken
wohl immer noch, Armenien ist ein russisches Gouvernement, wie im 19.
Jahrhundert und möchten es gern kontrollieren!“ Seit einiger Zeit gibt es in
Jerewan Demonstrationen gegen die amtierende, russlandfreundlich eingestellte
Regierung, die Leute wünschen sich Veränderungen, weniger Korruption, ein
besseres Leben. Putin gefiele es wohl nicht, wenn einreisende Westeuropäer dort
einen Umsturz anstacheln, der nächste Maidan
sozusagen, ähnlich dem Putsch vor zwei Jahren in Kiew.
Ich bin weit entfernt von politischer Tätigkeit und freue
mich einfach darauf, ein neues Land kennenzulernen. An die sibirische
Holzarchitektur gewöhnt, fallen mir als erstes die Sommerhäuser und Zäune aus
Stein auf, aus großen, rötlichen Quadern, armenischer
Tuff genannt. Auf dem Weg vom Flughafen nach Dzorachbjur, wo André und Emma
wohnen, fällt mein Blick auf eine unbewegliche, hoch am Himmel stehende Wolke,
die sich als der schneebedeckte Gipfel des Ararat
herausstellt, der Nationalberg der Armenier, majestätisch über der Stadt
thronend – nur leider befindet er sich auf einem Gebiet, das heute zur Türkei
gehört.
Armenien ist nur etwa so groß wie das Bundesland Brandenburg
und hat auch etwa so viele Einwohner wie dieses, drei Millionen, die stolz auf
ihre jahrtausendealte Geschichte und Traditionen sind. Meine Vorbereitung auf
die Reise bestand darin, mir das im 5. Jahrhundert geschaffene armenische
Alphabet einzuprägen: 39 Schriftzeichen, die irgendwie an griechische und
lateinische Buchstaben erinnern mit Oberlängen, Unterlängen und Rundungen, aber
dann doch wieder ganz anders sind und, wo es Ähnlichkeiten gibt, anders
ausgesprochen werden. Da die Buchstaben sehr exakt die Aussprache wiedergeben,
ist es kein Problem, wenn man sie gelernt hat, auch Worte lesen zu können.
Während mich die Schrift des nördlichen Nachbarn Georgien irgendwie an in
Kreise ausgelegte Nudeln erinnert, haben die armenischen Zeichen eher etwas
eckiges, archaisch-runenhaftes an sich.
Das Sommerhaus meiner Gastgeber in der Nähe von Jerewan |
André beim Arbeiten (oben) und beim Shisharauchen mit Frau Emma (unten) |
Keine Wolke, sondern ein Berg: der schneebedeckte Gipfel des Ararat thront über Jerewan |
Armenische Buchstaben: das rote Wort heißt "Market" |