Das erste Mal Straßenmusik in
Russland! Für alle Fälle nahm ich meinen Pass mit, um mich im Falle einer
Kontrolle ausweisen zu können. Aber es waren dann doch keine Polizisten, die
uns wegjagten, sondern nur eine alte wetternde Oma, die uns auf die andere Straßenseite
schickte, weil vor ihrem Wohnhaus nicht gespielt werden dürfe.
Mit unseren klassischen
Instrumenten Geige und Cello waren Ardan und ich eine große Seltenheit auf dem „Arbat“,
wie die Fußgängerzone in Ulan-Ude nach dem großen Vorbild in Moskau genannt
wird, obwohl sie eigentlich Lenin-Straße heißt. Normalerweise rocken junge
Leute zur Gitarre ab, gelegentlich sieht man ein Akkordeon oder eine Flöte.
Am besten gefällt mir der
Pachelbel-Kanon, weil ich meine Stimme auswendig spiele und dabei die Leute
beobachten kann. Öfters sind filmende Smartphones auf uns gerichtet, Eltern
schicken ihre Kinder vor, um etwas in den Kasten zu werfen, viele sitzen auf
den nahen Bänken und hören zu – es ist nicht viel anders als in Deutschland,
außer vielleicht, dass die Gefahr der Belästigung durch angetrunkene Penner
größer ist. Wir hatten ein paar Freunde eingeladen, die uns moralisch
unterstützten und in der Spielpause Kaffee vorbeibrachten.
Das Thema Straßenmusik begleitet
mich seit meiner Jugend. Im Verlaufe der Jahre habe ich mit verschiedenen russischen
und deutschen Geigern gespielt, mit einem ukrainischen Cellisten, einige Male
sogar mit einer Bratsche. Vor allem in der Potsdamer Fußgängerzone und vor dem
dortigen Brandenburger Tor, aber auch in Berlin: in diversen U-Bahn-Stationen
(mit erforderlicher Genehmigung) und auf der Museumsinsel. Zu meiner
Studentenzeit waren die Einnahmen für mich ein nicht unbedeutender
Nebenverdienst. „Ein Zehner pro Person und Stunde“ hieß die Faustformel – wenn in
dem aufgestellten Geigenkasten diese Summe war, galt die Aktion als erfolgreich.
Meistens kam das zusammen.
900 Rubel in zwei Stunden sind
weniger, aber die Maßstäbe hier sind andere. Ardan und ich hatten einen
windigen Nachmittag erwischt und spielten in der beständigen Befürchtung, die
eingeworfenen Rubelscheine könnten weggeweht werden – ein Problem, das es in
Deutschland nicht gibt, wo auch der kleinste Schein im Kasten eine große
Seltenheit darstellt.