Samstag, 11. Juni 2016

Kommunikation in Russland



Noch liegt in der burjatischen Haupstadt kein Rauchgeruch in der Luft, aber in anderen Gegenden der Republik ist die Waldbrandsaison schon in vollem Gange. Regelmäßig bekomme ich SMS-Nachrichten etwa folgenden Inhalts:

Das Katastrophenschutzministerium informiert: Das Entzünden von Feuern im Wald, das Verbrennen von Müll und von trockenen Pflanzen ist verboten. Strafen von 2000 bis 500000 Rubeln.

Oder:

In den Wäldern Burjatiens gilt der Ausnahmezustand. Das Betreten des Waldes ist verboten. Beim Bemerken eines Waldbrandes rufen Sie die Hotline an…

Was wäre, wenn ein deutsches Ministerium auf die Idee käme, per Rund-SMS die Bevölkerung über bestimmte Gefahren aufzuklären?

In meinem Email-Postfach finde ich nicht selten Mails wie diese:

Von: Dorzhio Azarbajev
An: Thomas Ranft
Thema: Hallo
Thomas wie gehts?

Oder:

Von: Ludmila Stepanovna Nikolajeva
An Thomas Ranft
Thema: Zertifikate
Ich bitte um Zusendung der Zeugnisse für die Weiterbildung am 23.3. für Nikolajeva Ludmila, Zimina Olga und Dorzhieva Sesegma.

Eine Zeitlang habe ich mich über Emails dieser Art sehr geärgert. Ohne Anrede und Gruß dahingerotzt, keinerlei Bemühen um Höflichkeit, um so etwas wie eine Form – und das nicht nur in der privaten Kommunikation, sondern auch im Beruf. Inzwischen habe ich begriffen, dass – um es germanistisch-wissenschaftlich auszudrücken – die Textsorte Email in Russland nicht bekannt ist bzw. sie anders funktioniert. Man schreibt oft Mails genauso fragmentarisch, wie man eine Mitteilung in einem sozialen Netzwerk abschicken würde.   

Auch für das Telefonieren gelten in Russland einige andere Regeln als in Deutschland. Bekannt ist, dass man sich nie mit dem Namen meldet, sondern abhebt und „Da?“ oder „Alló!“ sagt. Vor einer Weile ist mir aufgefallen, dass sich auch nicht verabschiedet wird. Der Dialog ebbt ab, und nach einer kurzen Pause legt einer der beiden Gesprächspartner einfach auf. Das Nutzen der Mailbox-Funktion ist unüblich, man sieht die Nummer dessen, der angerufen hat, und ruft zurück. Die Trennung zwischen Berufs- und Privatleben ist auch am Handy weniger streng, Arbeitskollegen spät abends oder am Wochenende anzuklingeln durchaus möglich.

Im Vergleich zu Westeuropa ist die russische Kultur eine Kultur der Gleichzeitigkeit. Dinge werden weniger systematisch nacheinander abgearbeitet, sondern finden parallel statt und mit weniger scharf abgegrenztem Anfang und Ende: Ein Dozent nimmt eine Prüfung ab und gleichzeitig Anrufe entgegen, eine Mitarbeiterin im Schönheitssalon lackiert einer Kundin die Nägel und telefoniert dabei mit zwischen Schulter und Gesicht eingeklemmtem Handy. Oder, auch das passt hierher: im Gottesdienst der orthodoxen Kirche findet ein ständiges Kommen und Gehen statt, das Lesen der Liturgie, Anzünden und Aufstellen von Kerzen, Küssen der Ikonen, Reinigen der Kerzenhalter, Wischen des Fußbodens, Verkaufen von Bibeln, Abnehmen der Beichte, Schreiben von Segenswünschen auf kleine Zettel – alles ist im Raum und in der Zeit irgendwie ineinander verwoben.

Die russische Kultur ist keine Kultur des Lächelns. Gelächelt wird, wenn es von Herzen kommt und nicht als Bestandteil eines höflichen Umgangs. Die Grußlosigkeit und sparsame bis schroffe Kommunikation in den Geschäften aber weicht mancherorts schon einem sehr westlichen Spasiba sa pokúpku, prichodite ischtschó – Danke für den Einkauf, kommen Sie wieder!