Noch liegt in der burjatischen Haupstadt kein Rauchgeruch in
der Luft, aber in anderen Gegenden der Republik ist die Waldbrandsaison schon
in vollem Gange. Regelmäßig bekomme ich SMS-Nachrichten etwa folgenden Inhalts:
Das Katastrophenschutzministerium
informiert: Das Entzünden von Feuern im Wald, das Verbrennen von Müll und von
trockenen Pflanzen ist verboten. Strafen von 2000 bis 500000 Rubeln.
Oder:
In den Wäldern
Burjatiens gilt der Ausnahmezustand. Das Betreten des Waldes ist verboten. Beim
Bemerken eines Waldbrandes rufen Sie die Hotline an…
Was wäre, wenn ein deutsches Ministerium auf die Idee käme,
per Rund-SMS die Bevölkerung über bestimmte Gefahren aufzuklären?
In meinem Email-Postfach finde ich nicht selten Mails wie diese:
Von: Dorzhio
Azarbajev
An: Thomas
Ranft
Thema: Hallo
Thomas wie gehts?
Oder:
Von: Ludmila Stepanovna
Nikolajeva
An Thomas Ranft
Thema:
Zertifikate
Ich bitte um Zusendung
der Zeugnisse für die Weiterbildung am 23.3. für Nikolajeva Ludmila, Zimina
Olga und Dorzhieva Sesegma.
Eine Zeitlang habe ich mich über Emails dieser Art sehr
geärgert. Ohne Anrede und Gruß dahingerotzt, keinerlei Bemühen um Höflichkeit,
um so etwas wie eine Form – und das nicht nur in der privaten Kommunikation,
sondern auch im Beruf. Inzwischen habe ich begriffen, dass – um es
germanistisch-wissenschaftlich auszudrücken – die Textsorte Email in Russland nicht bekannt ist bzw. sie anders
funktioniert. Man schreibt oft Mails genauso fragmentarisch, wie man eine Mitteilung
in einem sozialen Netzwerk abschicken würde.
Auch für das Telefonieren gelten in Russland einige andere
Regeln als in Deutschland. Bekannt ist, dass man sich nie mit dem Namen meldet,
sondern abhebt und „Da?“ oder „Alló!“ sagt. Vor einer Weile ist mir
aufgefallen, dass sich auch nicht verabschiedet wird. Der Dialog ebbt ab, und
nach einer kurzen Pause legt einer der beiden Gesprächspartner einfach auf. Das
Nutzen der Mailbox-Funktion ist unüblich, man sieht die Nummer dessen, der
angerufen hat, und ruft zurück. Die Trennung zwischen Berufs- und Privatleben
ist auch am Handy weniger streng, Arbeitskollegen spät abends oder am
Wochenende anzuklingeln durchaus möglich.
Im Vergleich zu Westeuropa ist die russische Kultur eine
Kultur der Gleichzeitigkeit. Dinge werden weniger systematisch nacheinander
abgearbeitet, sondern finden parallel statt und mit weniger scharf abgegrenztem
Anfang und Ende: Ein Dozent nimmt eine Prüfung ab und gleichzeitig Anrufe
entgegen, eine Mitarbeiterin im Schönheitssalon lackiert einer Kundin die Nägel
und telefoniert dabei mit zwischen Schulter und Gesicht eingeklemmtem Handy.
Oder, auch das passt hierher: im Gottesdienst der orthodoxen Kirche findet ein
ständiges Kommen und Gehen statt, das Lesen der Liturgie, Anzünden und Aufstellen
von Kerzen, Küssen der Ikonen, Reinigen der Kerzenhalter, Wischen des
Fußbodens, Verkaufen von Bibeln, Abnehmen der Beichte, Schreiben von
Segenswünschen auf kleine Zettel – alles ist im Raum und in der Zeit irgendwie
ineinander verwoben.
Die russische Kultur ist keine Kultur des Lächelns.
Gelächelt wird, wenn es von Herzen kommt und nicht als Bestandteil eines
höflichen Umgangs. Die Grußlosigkeit und sparsame bis schroffe
Kommunikation in den Geschäften aber weicht mancherorts schon einem sehr westlichen
Spasiba sa pokúpku, prichodite ischtschó
– Danke für den Einkauf, kommen Sie wieder!