Heute haben meine österreichische
Kollegin Natalia und ich bei uns am Institut eine Weiterbildungsveranstaltung
für Deutschlehrer durchgeführt. 13 Teilnehmer aus Burjatien kamen angereist,
die meisten von hier aus der Stadt, einige von weiter entfernt aus Dörfern. In
der ersten Doppelstunde erläuterte ich einige Veränderungen, die sich in der
deutschen Sprache in den letzten Jahren vollzogen haben, „Die deutsche Sprache
im Wandel“ hieß der Vortrag. Die Rede war von starken Verben, die schwach
werden (er backte statt er buk), von schwachen Verben, die stark
werden (er hat gewunken statt gewinkt) und von brauchen ohne „zu“:
früher galt das Sprichwort „wer brauchen ohne zu gebraucht, braucht brauchen
gar nicht zu gebrauchen“, heute darf man auch sagen „Du brauchst das nicht
machen!“ statt „nicht zu machen“. In neuen Lehrwerken taucht möchten als eigenes Modalverb auf,
während es früher stets als Konjunktiv II von mögen geführt wurde. Ein immer wieder emotional diskutiertes Thema
sind Anglizismen, von denen es solche gibt, die völlig unsinnigerweise deutsche
Wörter verdrängen (downloaden, Hotline und Feedback statt herunterladen,
Notfallnummer und Rückmeldung) und solche, die eine
sinnvolle Ergänzung darstellen, weil es keine prägnanten Begriffe im Deutschen
dafür gibt (chatten, jobben und surfen klingt besser als netzschwatzen,
einer kleinen vorübergehenden Arbeit
nachgehen und im Internet navigieren).
Themen, die in der russischen Sprache als solche kaum auftauchen, sind auch
„geschlechtergerechter“ und „politisch korrekter“ Sprachgebrauch. Die
weiblichen Formen vieler Berufe würde in Russland niemand benutzen, weil sie
abwertend klingen (vratshicha statt vratsh - Arzt, kassirsha statt kassir - Kassierer),
während es in Deutschland eigene Ratgeberbroschüren gibt, in denen man
nachschlagen kann, dass es Kontaktperson,
Fachkraft und verantwortliche Person
statt Ansprechpartner, Fachmann und
Verantwortlicher zu heißen hat – denn in den letzteren Varianten seien die
Frauen ja nicht enthalten. Arier, Zigeuner und Eskimo klingen in russischen
Ohren ganz normal (ariets, tsiganin, eskimo), während die meisten Deutschen
inzwischen gelernt haben, dass es Sinti und Roma sowie Inuit zu heißen hat. Neger ist verboten, Schwarzer inzwischen auch, Farbiger
ist nicht viel besser, keine Ahnung, was übrigbleibt. Lachen mussten unsere
Lehrkräfte über Euphemismen wie Gesundheitskasse,
Preisanpassung und Rückbau statt Krankenkasse, Preiserhöhung
und Abriss.
Im zweiten Teil der Veranstaltung
führten Natalia und ich einige Unterrichtsmethoden vor, wobei sich die
Teilnehmer in die Rolle von Schülern bzw. Studenten begaben. Bitte korrigiert
die Schüler nicht zu Tode und lasst sie sprechen, auch wenn sie Fehler machen,
gab ich ihnen mit auf den Weg – Deutsch ist auch ohne richtige Artikel und
Endungen verständlich. Die sowjetische Pädagogik hat bekanntlich einen anderen
Weg beschritten, basierend auf Auswendiglernen und Endungstabellen-Drill, der
bei einigen wenigen zu guten Erfolgen führte, heute aber – so ist meine Meinung
– bei den meisten Studenten gründlich danebengeht. Heutzutage sind Methoden
üblich, bei denen es um das Erreichen „kommunikativer Ziele“ geht, also sollte
nicht die ganze Zeit die Lehrkraft sprechen und die Grammatik auf ein
notwendiges Minimum reduziert werden.
Zum Schluss schenkte ich allen
eine neue Deutschlandkarte und ein Exemplar der ZEIT, die ich hier abonniert
habe. Es war eine gelungene Veranstaltung, „zum ersten Mal seit langem wieder
richtiges Deutsch gehört“, meinte eine Lehrerin zu mir. Etwas enttäuscht war
ich, dass keine Kollegen von unserem eigenen Lehrstuhl kamen, um sich
anzuhören, was wir da eigentlich so machen und erzählen. Mir ist etwas unklar,
ob es die Umstände nicht zulassen – alle haben immer viel zu tun – oder ob kein
richtiges Interesse da ist.
In diesem Jahr fand bereits an
drei Sonntagen unser deutscher Spiele- und Filmabend statt. Die Kombination aus
Spielen (und die Teilnehmer sich ein wenig untereinander kennenlernen lassen)
und Film finde ich gut. Wir schauten „Im Juli“, „Almanya- Willkommen in
Deutschland“ und „Vincent will Meer“. Sabine, meine Kollegin aus Schule Nummer
Eins, und ihr Mann Christian sind auch immer mit dabei. Für unsere Teilnehmer
ist es je interessanter, desto mehr Deutsch-Muttersprachler es gibt, und ich
kann mich aufs Organisieren konzentrieren und muss nicht zwischendurch ständig
als Deutsch-Gesprächspartner zur Verfügung stehen.
In den letzten Tagen fühlte ich
mich etwas kränklich mit Schnupfen und leichtem Fieber. Ich heilte mich mit
heißer Zitrone und dem Lutschen von frischen Knoblauchzehen, ein russisches
Hausrezept.
Weiterbildung für Deutsch-Lehrkräfte an unserem Institut mit mir (oben) und Natalia (unten links) |
Erfreulich viele Teilnehmer beim letzten "Deutschen Abend" (Foto: Natalia) |