Dienstag, 22. März 2016

Weiterbildung



Heute haben meine österreichische Kollegin Natalia und ich bei uns am Institut eine Weiterbildungsveranstaltung für Deutschlehrer durchgeführt. 13 Teilnehmer aus Burjatien kamen angereist, die meisten von hier aus der Stadt, einige von weiter entfernt aus Dörfern. In der ersten Doppelstunde erläuterte ich einige Veränderungen, die sich in der deutschen Sprache in den letzten Jahren vollzogen haben, „Die deutsche Sprache im Wandel“ hieß der Vortrag. Die Rede war von starken Verben, die schwach werden (er backte statt er buk), von schwachen Verben, die stark werden (er hat gewunken statt gewinkt) und von brauchen ohne „zu“: früher galt das Sprichwort „wer brauchen ohne zu gebraucht, braucht brauchen gar nicht zu gebrauchen“, heute darf man auch sagen „Du brauchst das nicht machen!“ statt „nicht zu machen“. In neuen Lehrwerken taucht möchten als eigenes Modalverb auf, während es früher stets als Konjunktiv II von mögen geführt wurde. Ein immer wieder emotional diskutiertes Thema sind Anglizismen, von denen es solche gibt, die völlig unsinnigerweise deutsche Wörter verdrängen (downloaden, Hotline und Feedback statt herunterladen, Notfallnummer und Rückmeldung) und solche, die eine sinnvolle Ergänzung darstellen, weil es keine prägnanten Begriffe im Deutschen dafür gibt (chatten, jobben und surfen klingt besser als netzschwatzen, einer kleinen vorübergehenden Arbeit nachgehen und im Internet navigieren). Themen, die in der russischen Sprache als solche kaum auftauchen, sind auch „geschlechtergerechter“ und „politisch korrekter“ Sprachgebrauch. Die weiblichen Formen vieler Berufe würde in Russland niemand benutzen, weil sie abwertend klingen (vratshicha statt vratsh - Arzt, kassirsha statt kassir - Kassierer), während es in Deutschland eigene Ratgeberbroschüren gibt, in denen man nachschlagen kann, dass es Kontaktperson, Fachkraft und verantwortliche Person statt Ansprechpartner, Fachmann und Verantwortlicher zu heißen hat – denn in den letzteren Varianten seien die Frauen ja nicht enthalten. Arier, Zigeuner und Eskimo klingen in russischen Ohren ganz normal (ariets, tsiganin, eskimo), während die meisten Deutschen inzwischen gelernt haben, dass es Sinti und Roma sowie Inuit zu heißen hat. Neger ist verboten, Schwarzer inzwischen auch, Farbiger ist nicht viel besser, keine Ahnung, was übrigbleibt. Lachen mussten unsere Lehrkräfte über Euphemismen wie Gesundheitskasse, Preisanpassung und Rückbau statt Krankenkasse, Preiserhöhung und Abriss.
Im zweiten Teil der Veranstaltung führten Natalia und ich einige Unterrichtsmethoden vor, wobei sich die Teilnehmer in die Rolle von Schülern bzw. Studenten begaben. Bitte korrigiert die Schüler nicht zu Tode und lasst sie sprechen, auch wenn sie Fehler machen, gab ich ihnen mit auf den Weg – Deutsch ist auch ohne richtige Artikel und Endungen verständlich. Die sowjetische Pädagogik hat bekanntlich einen anderen Weg beschritten, basierend auf Auswendiglernen und Endungstabellen-Drill, der bei einigen wenigen zu guten Erfolgen führte, heute aber – so ist meine Meinung – bei den meisten Studenten gründlich danebengeht. Heutzutage sind Methoden üblich, bei denen es um das Erreichen „kommunikativer Ziele“ geht, also sollte nicht die ganze Zeit die Lehrkraft sprechen und die Grammatik auf ein notwendiges Minimum reduziert werden.
Zum Schluss schenkte ich allen eine neue Deutschlandkarte und ein Exemplar der ZEIT, die ich hier abonniert habe. Es war eine gelungene Veranstaltung, „zum ersten Mal seit langem wieder richtiges Deutsch gehört“, meinte eine Lehrerin zu mir. Etwas enttäuscht war ich, dass keine Kollegen von unserem eigenen Lehrstuhl kamen, um sich anzuhören, was wir da eigentlich so machen und erzählen. Mir ist etwas unklar, ob es die Umstände nicht zulassen – alle haben immer viel zu tun – oder ob kein richtiges Interesse da ist.

In diesem Jahr fand bereits an drei Sonntagen unser deutscher Spiele- und Filmabend statt. Die Kombination aus Spielen (und die Teilnehmer sich ein wenig untereinander kennenlernen lassen) und Film finde ich gut. Wir schauten „Im Juli“, „Almanya- Willkommen in Deutschland“ und „Vincent will Meer“. Sabine, meine Kollegin aus Schule Nummer Eins, und ihr Mann Christian sind auch immer mit dabei. Für unsere Teilnehmer ist es je interessanter, desto mehr Deutsch-Muttersprachler es gibt, und ich kann mich aufs Organisieren konzentrieren und muss nicht zwischendurch ständig als Deutsch-Gesprächspartner zur Verfügung stehen.

In den letzten Tagen fühlte ich mich etwas kränklich mit Schnupfen und leichtem Fieber. Ich heilte mich mit heißer Zitrone und dem Lutschen von frischen Knoblauchzehen, ein russisches Hausrezept.

Weiterbildung für Deutsch-Lehrkräfte an unserem Institut mit mir (oben) und Natalia (unten links)
Erfreulich viele Teilnehmer beim letzten "Deutschen Abend" (Foto: Natalia)