Donnerstag, 10. März 2016

Auf der Lena

Unweit des Baikalsees, im Süden Sibiriens, entspringt der Fluss Lena, der im Laufe seines über 4000 Kilometer langen Weges Richtung Arktischer Ozean die Jakutische Hauptstadt passiert und zu einem der mächtigsten Flüsse der Erde anschwillt. Am zweiten Tag meines Aufenthaltes in Jakutsk unternahmen Debora und ich einen Ausflug zu den nur dreieinhalb Autostunden Richtung Süden gelegenen Lenafelsen, eine beeindruckende, sich über 80 Kilometer erstreckende Wand aus steilen Felsennadeln am Flussufer, die im Jahre 2012 zum Unesco-Weltnaturerbe erklärt wurden und mich entfernt an das Elbsandsteingebirge erinnerten.
Stimmt es, dass in Sibirien die Wölfe auf der Straße spazieren? – Nein, das ist nicht wahr. In Sibirien gibt es keine Straßen! – Dass in diesem Witz ein gutes Stück Wahrheit steckt, wurde mir klar, als unser Bus nach etwa einer Stunde Fahrt am Ende der Uferstraße angelangt war und die Reise auf dem vereisten Fluss fortsetzte. Die Dörfer, die fortan am Ufer auftauchten, sind im Winter nur über die Eis-Trasse erreichbar und im Sommer per Fähre. Im Herbst und Frühling gibt es jeweils eine Übergangsperiode von einigen Wochen, wenn der Fluss nicht mehr befahrbar und noch nicht schiffbar ist, in der sie völlig von der Außenwelt abgeschnitten sind.
Im 230-Einwohne-Dorf Tumul legte unsere Reisegruppe eine Mittagspause ein. Hinter dem Haus (mit riesigem russischem weißgekalktem Ofen, der den einzigen Raum in Küche und Wohnbereich teilte) lag das Trinkwasser in Form von Eisquadern aufgestapelt. Durch den Schnee trotteten Kühe zu einer aufgehackten Tränk-Stelle im Fluss. Quer über die Lena waren Strommasten aufs Eis gestellt, die ein noch kleineres Dorf am anderen Ufer mit Elektrizität versorgen. Vor der Eisschmelze werden die Masten eingeholt, dann gibt es auf der anderen Fluss-Seite nur noch Notstrom per Dieselaggregat.

Inzwischen bin ich schon in Moskau – nach 7stündigem Flug, die längste Zeit, die ich jemals in einem Flugzeug zugebracht habe. Die Maschine beschrieb einen großen Bogen nach Norden, wir überquerten den Polarkreis und überflogen ein Stück Küste des zugefrorenen Arktischen Ozeans und die Halbinsel Jamal. Unter mir eröffnete sich der Blick auf hunderte Kilometer geschlossene Schneedecke, komplett geschlossene Schneedecke, kein Wald, keine Siedlung, nichts, außer sich schwach abzeichnender Konturen einiger mäandrierender Flussläufe. Großartig.

Zwischenhalt an den Eliansker Säulen (oben) mit alten Felsmalereien (unten)
Trinkwasser wird in Form von Eisquadern gestapelt
Die Lenafelsen - UNESCO-Weltnaturerbe - erinnern mich an das Elbsandsteingebirge