Unweit des Baikalsees, im Süden Sibiriens, entspringt der
Fluss Lena, der im Laufe seines über 4000 Kilometer langen Weges Richtung Arktischer
Ozean die Jakutische Hauptstadt passiert und zu einem der mächtigsten Flüsse
der Erde anschwillt. Am zweiten Tag meines Aufenthaltes in Jakutsk unternahmen
Debora und ich einen Ausflug zu den nur dreieinhalb Autostunden Richtung Süden
gelegenen Lenafelsen, eine beeindruckende, sich über 80 Kilometer erstreckende
Wand aus steilen Felsennadeln am Flussufer, die im Jahre 2012 zum
Unesco-Weltnaturerbe erklärt wurden und mich entfernt an das
Elbsandsteingebirge erinnerten.
Stimmt es, dass in Sibirien die Wölfe auf der Straße
spazieren? – Nein, das ist nicht wahr. In Sibirien gibt es keine Straßen! –
Dass in diesem Witz ein gutes Stück Wahrheit steckt, wurde mir klar, als unser
Bus nach etwa einer Stunde Fahrt am Ende der Uferstraße angelangt war und die
Reise auf dem vereisten Fluss fortsetzte. Die Dörfer, die fortan am Ufer
auftauchten, sind im Winter nur über die Eis-Trasse erreichbar und im Sommer
per Fähre. Im Herbst und Frühling gibt es jeweils eine Übergangsperiode von
einigen Wochen, wenn der Fluss nicht mehr befahrbar und noch nicht schiffbar
ist, in der sie völlig von der Außenwelt abgeschnitten sind.
Im 230-Einwohne-Dorf Tumul legte unsere Reisegruppe eine
Mittagspause ein. Hinter dem Haus (mit riesigem russischem weißgekalktem Ofen,
der den einzigen Raum in Küche und Wohnbereich teilte) lag das Trinkwasser in
Form von Eisquadern aufgestapelt. Durch den Schnee trotteten Kühe zu einer
aufgehackten Tränk-Stelle im Fluss. Quer über die Lena waren Strommasten aufs
Eis gestellt, die ein noch kleineres Dorf am anderen Ufer mit Elektrizität
versorgen. Vor der Eisschmelze werden die Masten eingeholt, dann gibt es auf
der anderen Fluss-Seite nur noch Notstrom per Dieselaggregat.
Inzwischen bin ich schon in Moskau – nach 7stündigem Flug,
die längste Zeit, die ich jemals in einem Flugzeug zugebracht habe. Die
Maschine beschrieb einen großen Bogen nach Norden, wir überquerten den
Polarkreis und überflogen ein Stück Küste des zugefrorenen Arktischen Ozeans und die
Halbinsel Jamal. Unter mir eröffnete sich der Blick auf hunderte Kilometer
geschlossene Schneedecke, komplett geschlossene
Schneedecke, kein Wald, keine Siedlung, nichts, außer sich schwach
abzeichnender Konturen einiger mäandrierender Flussläufe. Großartig.
Zwischenhalt an den Eliansker Säulen (oben) mit alten Felsmalereien (unten) |
Trinkwasser wird in Form von Eisquadern gestapelt |
Die Lenafelsen - UNESCO-Weltnaturerbe - erinnern mich an das Elbsandsteingebirge |