Freitag, 6. Mai 2016

Mir gefällt, dass unsere Deutschkurs ist ungewöhnlich

„In Deutschland ist es am Ende von Lehrveranstaltungen üblich, dass die Teilnehmer dem Kursleiter eine Rückmeldung geben, wie es ihnen gefallen hat, Feedback nennt sich das“, erklärte ich meinen Studenten in der letzten Kursstunde und teilte ihnen einen Zettel aus, auf den sie eintragen sollten: Was hat Ihnen im Deutschkurs gefallen? Was hat Ihnen im Deutschkurs nicht gefallen, was könnte besser sein? Was ich noch sagen möchte.
Der Fragebogen war anonym. Zuhause versuchte ich natürlich trotzdem, die Handschriften den Studierenden zuzuordnen und las voller Spannung:
- „Alle besprochenen Themen sind aktuell und spannend gewesen. Vielen Dank!“
- „Sie sind ein zu guter Lehrer, Sie müssen strenger sein.“
-„Ich möchte mehr Grammatik wiederholen.“
- „Ich möchte sagen, dass Thomas ein sehr guter Lehrer ist. Ich möchte auch im Herbst mit ihm Deutschkurs haben.“
-„Mir gefällt, dass unsere Deutschkurs ist ungewöhnlich. Kein Problem bei Unterhaltung, wenn du einige Fehler machst. Mir gefällt, wie Grammatik unterrichtet, alles klar, nicht schwer.“
- „Meiner Meinung nach war es der beste und interessanteste Kurs in all der Zeit, die ich hier am Institut studiere. Schade, dass ich so oft gefehlt habe. Ich finde, dadurch habe ich viel verpasst.“
- „Ich wünsche Ihnen viel Glück in deiner Arbeit.“

Heute habe ich an der universitätsinternen Kasse mein Gehalt für April – den „russischen Teil“ meines Gehaltes – in bar abgeholt. Die „BaikalBank“, die große regionale Bank Burjatiens, an der ich und viele meiner Kollegen ihr Konto haben, war eine Woche lang außer Betrieb. Es gab kein Geld an den Geldautomaten, niemand kam an seine Ersparnisse. Von Seiten der Bank hieß es nur „aus technischen Gründen geschlossen“, es gab keine weitere Erklärung, die wildesten Gerüchte über einen Bankrott oder einen Entzug der Lizenz wegen unsauberer Geschäfte kursierten. Seit vorgestern haben die Filialen der BaikalBank wieder geöffnet, trotzdem hatte die Uni entschieden, dorthin keine Gehälter zu überweisen und sich für die Barauszahlung entschieden.

Vor einem Monat tauchte in meinem Chor Cathy auf, eine junge Amerikanerin, Ethnologin, die zu verschiedenen kleinere Völkern in Russland forscht. Welches Selbstverständnis haben die Burjaten, inwieweit fühlen sie sich als Bürger Russlands, inwieweit als Angehörige ihres Volkes, war ihr Thema. Inzwischen ist Cathy wieder verschwunden. Nach einer Vorladung von der Migrationsbehörde und einer stundenlangen Anhörung wurde sie unter einem nichtigen Vorwand – der unangemeldeten Teilnahme in der Jury einer Englisch-Olympiade – des Landes verwiesen inclusive einer Einreisesperre für die nächsten fünf Jahre. Wahrscheinlich gefällt bestimmten Leuten hier ihr Forschungsthema nicht. Ein wenig unruhig bin ich geworden, als ich die Geschichte erfahren habe. So schnell kann das Abenteuer Russland für westliche Ausländer auch manchmal ein Ende finden.