„In Deutschland ist es am Ende von Lehrveranstaltungen
üblich, dass die Teilnehmer dem Kursleiter eine Rückmeldung geben, wie es ihnen
gefallen hat, Feedback nennt sich das“,
erklärte ich meinen Studenten in der letzten Kursstunde und teilte ihnen einen Zettel
aus, auf den sie eintragen sollten: Was hat Ihnen im Deutschkurs gefallen? Was
hat Ihnen im Deutschkurs nicht gefallen, was könnte besser sein? Was ich noch
sagen möchte.
Der Fragebogen war anonym. Zuhause versuchte ich natürlich
trotzdem, die Handschriften den Studierenden zuzuordnen und las voller
Spannung:
- „Alle besprochenen Themen sind aktuell und spannend
gewesen. Vielen Dank!“
- „Sie sind ein zu guter Lehrer, Sie müssen strenger sein.“
-„Ich möchte mehr Grammatik wiederholen.“
- „Ich möchte sagen, dass Thomas ein sehr guter Lehrer ist.
Ich möchte auch im Herbst mit ihm Deutschkurs haben.“
-„Mir gefällt, dass unsere Deutschkurs ist ungewöhnlich.
Kein Problem bei Unterhaltung, wenn du einige Fehler machst. Mir gefällt, wie
Grammatik unterrichtet, alles klar, nicht schwer.“
- „Meiner Meinung nach war es der beste und interessanteste
Kurs in all der Zeit, die ich hier am Institut studiere. Schade, dass ich so
oft gefehlt habe. Ich finde, dadurch habe ich viel verpasst.“
- „Ich wünsche Ihnen viel Glück in deiner Arbeit.“
Heute habe ich an der universitätsinternen Kasse mein Gehalt
für April – den „russischen Teil“ meines Gehaltes – in bar abgeholt. Die „BaikalBank“,
die große regionale Bank Burjatiens, an der ich und viele meiner Kollegen ihr
Konto haben, war eine Woche lang außer Betrieb. Es gab kein Geld an den
Geldautomaten, niemand kam an seine Ersparnisse. Von Seiten der Bank hieß es
nur „aus technischen Gründen geschlossen“, es gab keine weitere Erklärung, die
wildesten Gerüchte über einen Bankrott oder einen Entzug der Lizenz wegen
unsauberer Geschäfte kursierten. Seit vorgestern haben die Filialen der
BaikalBank wieder geöffnet, trotzdem hatte die Uni entschieden, dorthin keine
Gehälter zu überweisen und sich für die Barauszahlung entschieden.
Vor einem Monat tauchte in meinem Chor Cathy auf, eine junge
Amerikanerin, Ethnologin, die zu verschiedenen kleinere Völkern in Russland
forscht. Welches Selbstverständnis haben die Burjaten, inwieweit fühlen sie
sich als Bürger Russlands, inwieweit als Angehörige ihres Volkes, war ihr
Thema. Inzwischen ist Cathy wieder verschwunden. Nach einer Vorladung von der
Migrationsbehörde und einer stundenlangen Anhörung wurde sie unter einem
nichtigen Vorwand – der unangemeldeten Teilnahme in der Jury einer
Englisch-Olympiade – des Landes verwiesen inclusive einer Einreisesperre für
die nächsten fünf Jahre. Wahrscheinlich gefällt bestimmten Leuten hier ihr
Forschungsthema nicht. Ein wenig unruhig bin ich geworden, als ich die
Geschichte erfahren habe. So schnell kann das Abenteuer Russland für westliche
Ausländer auch manchmal ein Ende finden.