Moskau – ein Meer von seelen- und
gesichtslosen Plattenbauten, grau und einförmig, dazwischen 10-spurige Straßen
und riesige Gewerbezentren, trauriges Endstadium einer Entwicklung hin zu
großstädtischer Anonymität und Vermassung. Doch Europas größte Stadt hat auch
andere Seiten, menschliche, grüne, es gibt Ecken, die Geschichte atmen und zum
Verweilen einladen. Auf dem Weg zu Mascha und ihrem Freund, dem Fagottisten
Stjopa, konnte ich mich kaum sattsehen am frischen satten Grün der breiten
Boulevare, die unweit der Metrostation Textilschtschiki
das Wohnviertel durchkreuzen: Ahorn, weiß blühende Kastanien, Flieder und
Kirschbäume, gelber Löwenzahn auf der Wiese – kein Vergleich zu Ulan-Ude, wo
immer noch ein graubrauner Farbton vorherrscht und die Vegetation selbst Anfang
Mai nicht richtig aus dem Winterschlaf erwacht ist. Stjopa wohnt in einer nach
dem Krieg von deutschen Gefangenen erbauten Stalinka,
einem viergeschossigen ockerfarbenen Gebäude mit neun Treppenaufgängen, das
sich wie ein riesiges U um einen großen grünen Innenhof mit Spielplatz
erstreckt. Es gibt riesige Toreinfahrten, die Treppenhäuser sind großzügig
angelegt, die Wände massiv und dick, ganz anders als meine wohl 20 Jahre später
entstandene Chruschtschovka in
Ulan-Ude. Das Haus riecht nach Vergangenheit, die Zimmer haben einen völlig
irrationalen Zuschnitt mit fetten alten Heizkörpern, im Detail ist alles schief
und unregelmäßig, die Wände gehen nicht ganz senkrecht nach oben, einige der
Steckdosen sind unbenutzbar, da nicht in Euro-Norm. Zu Sowjetzeiten war Stjopas
Wohnung eine Kommunalka, eine Art
Wohngemeinschaft mit allerdings nicht einer Person, sondern einer Familie pro
Zimmer. Mir gefällt es in so einer Umgebung, vielleicht, weil es mich entfernt
an das über 100 Jahre alte Haus in der Potsdamer Zeppelinstraße erinnert, in
dem ich fast 10 Jahre lang gewohnt habe.
Wie üblich lieferte ich Mascha
etwa ein Viertel des Inhaltes meines Reisekoffers ab – Dinge, die mir ihre
Mutter für sie mitgegeben hatte – und nahm Abschied, für eine längere Zeit: Sie
wird ein halbes Jahr lang auf einem US-amerikanischen Kreuzfahrtschiff im Duo
gemeinsam mit einer Bratscherin die Passagiere musikalisch unterhalten.
Bilder aus einer Moskauer Stalinka, einem Gebäude aus der späten Stalin-Zeit |