„Ich bin Hedonist und esse für mein Leben gern“,
sagt Thorsten. Wir lenken unsere Schritte in ein zoologisches Fachgeschäft, das
offensichtlich auf den Verkauf von Fischen, Muscheltieren und Reptilien
spezialisiert ist. Ein wenig später wird mir klar, dass es sich um ein
Meeresfrüchte-Restaurant handelt. Ein Fingerzeig auf die gewünschte Speise, und
wenig später liegt sie vor dir: gekocht, gedünstet, gebraten oder roh,
schwarzgepanzerte Schildkröten, rote Krabben und gelbe Krebse, penisförmige
Würmer und pulsierende Kopffüßer, eine meterlange Wand mit fröhlich blubbernden
Aquarien und Wasserbecken, gefüllt mit Leben, bereit zum genossen werden. Einen
Moment überlege ich, meine vegane, für den Tierschutz engagierte Schwester mit
einem Foto zu schocken, lasse es dann aber. Wir sitzen an Tisch Nummer drei,
neben den Tischen zwei und fünf. Die Worte für „vier“ und „Tod“ klingen gleich,
weshalb diese Zahl vermieden wird.
Widerstrebend folge ich meinen Freunden in einen
Massagesalon. Die Vorstellung, mir in einem fremden Land von fremden Händen an
meinem Körper herumdrücken zu lassen, reizt mich wenig. Schließlich willige ich
ein, an der Fußmassage teilzunehmen, zumal es sich um eine kollektive und
soziale Angelegenheit handeln würde.
Zu viert nebeneinander hängen wir in riesigen
Polstersesseln, neben uns Tee und Gebäck, vor jedem von uns ein Wasserbecken,
ein handtuchgepolsterter Schemel und ein Chinese. Unsere Füße und Unterschenkel
werden gesalbt, beklopft, eingeölt, gezerrt, gedrückt und bestrichen, ohne
Zweifel höchst kunstvoll und nach den Erkenntnissen der Traditionellen
Chinesischen Medizin. Es herrscht eine muntere, betriebsame Stimmung, hin und
wieder wirft jemand einen Blick durch die geöffnete Tür, eine hübsche Frau
schenkt uns Tee nach.
„Galina, bitte übersetze mal: etwas weicher bitte“,
sage ich.
Mein Chinese grinst und nimmt für einen kleinen
Moment den Druck aus seinen Händen.
„Galina, bitte übersetze mal: es tut weh“, sage ich
mit sorgenvollem Blick auf die Uhr: erst zehn von fünfzig Minuten sind vorbei.
Der Chinese grinst wieder, beginnt aber zu
verstehen, dass ich, obwohl wir untereinander Russisch sprechen, kein
stahlharter Sibirjake bin. Nun kann ich die Prozedur genießen. Noch nie hat
jemand meinen Füßen so viel Aufmerksamkeit gewidmet.
Nachmittags spazieren wir durch ein deutsches
Villenviertel und entlang des Gelben Meeres auf der Uferpromenade, an einem
deren Geländer ein älterer Mann mit ausgestrecktem Bein Dehnübungen macht.
Überhaupt habe ich noch nirgendwo so viele Menschen in der Öffentlichkeit
Gymnastik treiben sehen wie in China. Allerorten dehnt und streckt sich jemand,
schubbert seinen Rücken rhythmisch an einer Stange, klopft sich oben auf die
Handgelenke zum Anregen der Durchblutung, läuft rückwärts oder stößt laute Rufe
aus zum Entspannen der Stimmbänder. Es gilt überhaupt nicht als peinlich.
Den Abend verbringen wir in einem riesigen
Spa-Zentrum mit dutzenden heißen, warmen und kalten Wasserbecken, Saunen,
Whirlpools, Entspannungsecken, Bars, frei zur Verfügung stehenden Handtüchern,
Badeanzügen, Hygieneartikeln und Teeverkostungs-Angeboten. Die Eindrücke
erschlagen mich; Versuche, zu begreifen, was geschieht, werden in
Heißluftkammern und Kräuterboxen hinweggeröstet, dunkel stehen vor dem inneren
Auge noch meine in einem Teich baumelnden Füße, an denen Schwärme kleiner
grauer Fischlein herumzupfen: Hornhautentfernung und Durchblutungsförderung.
Thorsten, Niso und Galja beim Betrachten eines gymnastiktreibenden Chinesen (oben). Überforderung im Meeresfrüchte-Restaurant (unten) |
Kollektive Fußmassage |