Im EMU-Hochgeschwindigkeitszug von Peking nach
Qingdao waren wir durch eine Dunstglocke gefahren, die sich stellenweise zu
einem Smog-Vorhang mit einer Sichtweite von unter hundert Metern verdichtete.
In der Provinz Shandong zieht fünfzig Kilometer lang ein Ozean an
Gewächshäusern an uns vorüber – nein,
weniger wohl Gewächshäuser, vielmehr überdachte Ackerfläche mit zur Sonnenseite
hin schräg abfallenden Glasflächen und oben auf dem Giebel eine dicke Rolle aus
zusammengewickelter Folie. Zwei Tage später spazieren wir durch das
Laoshan-Gebirge östlich von Qingdao und atmen klare, frische Meeresluft.
Drei Lehren sind es, welche die Grundlagen der
jahrtausendealten chinesischen Hochkultur bilden. Der Konfuzianismus regelt das
Zusammenleben der Menschen untereinander und stellt ein komplexes Regelwerk an
Anstandsformen, Hierarchien und Ahnenverehrung auf. Der Daoismus erklärt das
Verhältnis des Menschen zum Kosmos und lehrt, nichts zu unternehmen, das den
Gesetzen der ewigen Harmonie widerspricht. Die historisch jüngste Lehre ist der
uns aus Burjatien bekannte Buddhismus. Das Laoshan-Gebirge, dessen kahle, mit schütteren
Kiefern bedeckten Felsen mich entfernt an das Elbsandsteingebirge erinnern,
gilt als eine bedeutende Stätte des Daoismus, dessen Tempel inzwischen zu
konservierten, eintrittspflichtigen Sehenswürdigkeiten für die
Naherholungstouristen aus der benachbarten
Neun-Millionen-Einwohner-Metropolregion umfunktioniert sind. Nachdenklich
schreite ich zwischen den Pagodendächern umher, mir vorzustellen versuchend,
wie die Mönche hier früher zu geistiger Einsicht und Klarheit gelangt sein mögen. Auf den zweiten Blick werden
Unterschiede zu buddhistischen Tempeln deutlich: das häufig auftretende
Yin-Yan-Symbol, die Verwendung der schwarzen Farbe, kriegerische Monster
anstelle der dickleibigen Buddha-Gottheiten. Eine gigantomanische Statue des
Religionsgründers Lao Zi schaut aus den Bergen heraus aufs Meer.
Von Peking aus besuchen wir das der Hauptstadt am
nächsten gelegene Stück der Großen Mauer bei Badaling. Wie ein unendlicher
Drachenschwanz schlängelt sich das hier perfekt restaurierte Teilstück des
größten Bauwerkes der Menschheit genau auf den Kämmen der in winterlicher
Bräune liegenden Berge des Yan-Gebirges. Die rechte Ehrfurcht vor der baulichen
Leistung will zunächst nicht aufkommen, da wir uns in Gesellschaft einiger
tausend anderer Touristen befinden, welche die fünf Meter breite Mauerkrone
entlanglaufen. Erst ganz am Ende der für die Besucherströme zugänglichen
Strecke sind wir mit den Überwachungskameras ganz allein. Heute ist nicht mehr
nachvollziehbar, was die Mauer einmal wovon getrennt haben soll: links von ihr die
gleiche stille, klare Bergschönheit wie rechts, nur die Zinnen zeigen an, aus
welcher Richtung die Gefahr kam. Dschinghis Khan im dreizehnten Jahrhundert
konnte der steinerne Drachenschwanz jedenfalls nicht aufhalten, China zu
erobern: seine Reiter bestachen wohl einfach die Wachen und passierten
unbehelligt eines der Tore.
Lao Zi, der Begründer des Daoismus (oben), Eingang in einen daoistischen Tempel (unten) |
Auf der Großen Mauer |