Donnerstag, 31. August 2017

Genüsse, Gefahren, große Leute

Reisebericht aus Tadschikistan, Teil 5

Zwei Wochen lang habe ich keinen einzigen Betrunkenen gesehen und bin nicht einem einzigen Hund begegnet, der mir giftig hinterhergekläfft hätte. Auch zu rauchen scheinen die Tadschiken nicht besonders häufig, dafür klemmen sich viele gern Kautabak unter die Zunge, der in kleinen Päckchen zu je 1 Somoni überall verkauft wird.

Meine letzte zweitägige Reiseetappe führt von Khalaichumb über einen 3200 Meter hohen Pass nach Tavildara und von dort aus zurück in die Hauptstadt. Wer schwache Nerven hat, sollte im Auto links sitzen, steht im Reiseführer. Ich zähle mich dazu und leiste dem Hinweis Folge, nicht beachtend, dass die Strecke in umgekehrter Fahrtrichtung beschrieben ist. An einigen Stellen habe ich das Gefühl, jeden Moment in der sich einen Meter neben mir befindlichen Schlucht zu landen und schließe die Augen. Bei der Fahrt über den Pass stehen Minenwarnschilder am Weg, zwei Jeeps internationaler Minenräumorganisationen sind unterwegs: noch sind die letzten Spuren des Bürgerkrieges nicht beseitigt.
Als wir in glühender Mittagshitze das Tal des Flusses Vachsch erreichen, legt der Fahrer eine Pause ein und belädt die Ladefläche des Toyota HiAce mit Berberitzensäcken für den Markt in Dushanbe. Ich trinke Tee und esse Shurbo, die Schafsfleischsuppe. Imbiss, Straße und Ort wird es vielleicht in ein paar Jahren nicht mehr geben: wir befinden uns in der Nähe von Rogun, wo im nächsten Jahrzehnt am welthöchsten Staudamm das größte Wasserkraftwerk der Erde seinen Betrieb aufnehmen und ein künstlicher See entstehen soll - 30000 Menschen müssen umgesiedelt werden.
Interessant finde ich, dass die Leute auf die Frage nach der Einwohnerzahl eines Ortes oft die Familienanzahl nennen. Beim Zählen der vielen kleinen Kinder kommt ohnehin kaum jemand hinterher, die Familien bleiben wenigstens etwa konstant.  

Vor dem Abflug übernachte ich wieder zwei Nächte in Duschanbe und statte dem großen, neuen Nationalmuseum einen Besuch ab. Die Tadschiken sind ein altes Kulturvolk und stolz auf ihre Vergangenheit: Staatsgründer Ismoil Somoni aus dem 9. Jahrhundert ist einer ihrer Leitfiguren, der im Westen als Avicenna bekannte Mediziner Abuali ibn Sina und – dreitausend Jahre zurück – Religionsgründer Zarathustra, der erste, der die Erde als Arbeitsfeld für den Menschen erkannte und den Kampf zwischen Materie und Geist als notwendig für dessen Entwicklung. Die tadschikische Kultur ist eng mit der persischen verbunden; Tadschikisch ist fast gleich mit dem im Iran gesprochenen Farsi, nur eben nicht mit arabischen, sondern mit kyrillischen Buchstaben geschrieben.

Der Loperamid-Vorrat ist aufgebraucht, meine eigentlich eng anliegenden Hemden schlackern am Oberkörper, die Waage im Hostel zeigt verdächtige 63 Kilo: Zeit für die Rückkehr in vertraute Gefilde. Chusch omaded, boz bijojed – auf Wiedersehen, Tadschikistan, bis zum nächsten Mal!

Meine ersten Reiseaquarelle seit vielen Jahren