Der Deutschlandsommer 2017 ist für uns zu Ende gegangen. Auf
der Taxifahrt vom Flughafen Ulan-Ude nach Hause erkundige ich mich, ob die
Waldbrände in Burjatien denn aufgehört hätten – beim Aussteigen aus dem
Flugzeug hatte ich den charakteristischen Brandgeruch gar nicht wahrgenommen. „Nein“,
meinte der Fahrer, „Putin war hier! Er hat den schlampigen Beamten des
Katastrophenschutzministeriums eins auf den Deckel gegeben. Da haben die Brände
sofort aufgehört.“ So erfuhren wir gleich die wichtigste Neuigkeit der letzten
Woche, der Besuch des Präsidenten in der Region. „Die Rätsel Putins – warum der
Präsident wirklich gekommen ist“, titelt die Zentralnaja gaseta. Der Führer
Russlands ist immer mal Thema des Leitartikels. „Putin hat mein Leben verändert
– die Geständnisse einer Oma aus Muchoschibir“, las man vor einer Weile: weil
der Präsident empfohlen hatte, mehr Bücher zu lesen, hat eine Großmutter 200
Bücher in fünf Jahren verschlungen und ist nun für diesen erbauenden Hinweis
unendlich dankbar.
Ein besonders schönes Erlebnis hatten Niso und ich in einem
Weimarer Kindergarten. Mein Jugendfreund Robert brachte seinen Sohn Ruben
morgens dorthin. Wir begleiteten ihn und Niso, selbst Kindergärtnerin, bat um
Erlaubnis, ein paar Fotos machen zu dürfen. Daraufhin veranstaltete die
Leiterin eine anderthalbstündige Führung für uns durch die ganze Einrichtung,
bei der Niso sogar filmen durfte. Von einer Gruppengröße von 12 (statt 40) Kindern
kann man in Ulan-Ude nur träumen, ebenso von dem tollen Holzspielzeug (wobei es
in Sibirien eigentlich Holz genug gibt). „Was macht dieser Mann hier?“, fragte
meine Freundin und deutete auf einen männlichen Erzieher, der entspannt am
Tisch lehnte. Und noch dazu in lässigem Pulli und mit Bart – für eine Russin
ein echter Kulturschock, wo doch nur Frauen in den Kindergärten sind, für die
noch dazu strenge Kleidervorschriften gelten.
Ich entdeckte meine deutsche Heimat zusammen mit Niso neu: nicht
nur die ungezwungene Bärtevielfalt der Männer, die noch dazu in oft ungebügelten
Hemden auf die Straße gehen - auch die fast völlige Abwesenheit von
Wachpersonal in Geschäften und öffentlichen Einrichtungen – unfassbar, dass wir
in der Universität Potsdam mal eben so einen Hörsaal betreten konnten! – asphaltierte
Radwege und ein riesiges unterirdisches Fahrrad-Parkhaus im Zentrum Leipzigs; nacktes
Umherlaufen am Badestrand; meine Freunde Johannes und Robert, die schreiende
Kleinkinder beruhigen. „Ein russischer Mann würde Panik bekommen und seine Frau
rufen“, meinte Niso. In ein Haus kommt man hinein, indem man auf das
Klingelschild mit dem Namen (oder daneben) drückt, und die erste Etage zählt
nicht, sondern nennt sich „Erdgeschoss“. Meine Schwester verabschiedete sich zusammen
mit ihrem Freund für neun Monate nach Neuseeland, ohne dass die Eltern sich vor
Sorgen verzehrend sie jeden Tag anrufen; als sich Verwandte und Freunde am
Abend davor zu einer kleinen Feier trafen, betrank sich keiner, niemand sang
Lieder, aber jeder schien mit irgendwem ein interessantes Gesprächsthema zu finden,
und freundlich wurden Speisen auf dem keineswegs bis oben hin vollgestopften
Tisch hin- und hergereicht. Einige meiner Freunde sprechen Russisch, viele
ältere Gesprächspartner packten mit Freude ein paar Brocken aus ihrer Schulzeit
aus – schließlich waren wir im Ostteil der Republik unterwegs; die früher mit
einem Iraner verheiratete Christiane in Berlin konnte sich mit Niso auf
Persisch verständigen. Deutschland (80 Mio. Einw.) ist so groß wie Burjatien (1
Mio. Einw.): vom Spiegelwaldturm im Erzgebirge überblickten wir das zersiedelte
Land und lauschten den Erläuterungen meines Großvaters, der auf Niso ob seiner
Vitalität einen außerordentlichen Eindruck machte. Auf unserer letzten
Wanderung am Baikal hatten wir 12 Stunden gebraucht, um an den Fuß eines Berges
zu gelangen, im Elbsandsteingebirge erklommen wir drei Gipfel in zwei Tagen.
In unserer Wohnung in der Frunze-Straße – in den letzten
zwei Jahren weitgehend insektenfrei – haben sich die Küchenschaben vermehrt. Einige
von ihnen siedelten sich unter der elektrischen Herdplatte an – günstig für
ihre Bekämpfung, denn so braucht man diese nur anzuschalten und zu warten, bis
die Tierchen, das Geröstetwerden vermeiden wollend, eine nach dem anderen durch
den seitlichen Spalt ans Licht kommen, wo sie allerdings ein im Ergebnis gleiches Schicksal erwartet.
Der russische Präsident ist nicht selten der Titelheld der Lokalpresse |