Samstag, 12. August 2017

Die Geheimnisse Putins, Deutschlands und unserer Herdplatte

Der Deutschlandsommer 2017 ist für uns zu Ende gegangen. Auf der Taxifahrt vom Flughafen Ulan-Ude nach Hause erkundige ich mich, ob die Waldbrände in Burjatien denn aufgehört hätten – beim Aussteigen aus dem Flugzeug hatte ich den charakteristischen Brandgeruch gar nicht wahrgenommen. „Nein“, meinte der Fahrer, „Putin war hier! Er hat den schlampigen Beamten des Katastrophenschutzministeriums eins auf den Deckel gegeben. Da haben die Brände sofort aufgehört.“ So erfuhren wir gleich die wichtigste Neuigkeit der letzten Woche, der Besuch des Präsidenten in der Region. „Die Rätsel Putins – warum der Präsident wirklich gekommen ist“, titelt die Zentralnaja gaseta. Der Führer Russlands ist immer mal Thema des Leitartikels. „Putin hat mein Leben verändert – die Geständnisse einer Oma aus Muchoschibir“, las man vor einer Weile: weil der Präsident empfohlen hatte, mehr Bücher zu lesen, hat eine Großmutter 200 Bücher in fünf Jahren verschlungen und ist nun für diesen erbauenden Hinweis unendlich dankbar.

Ein besonders schönes Erlebnis hatten Niso und ich in einem Weimarer Kindergarten. Mein Jugendfreund Robert brachte seinen Sohn Ruben morgens dorthin. Wir begleiteten ihn und Niso, selbst Kindergärtnerin, bat um Erlaubnis, ein paar Fotos machen zu dürfen. Daraufhin veranstaltete die Leiterin eine anderthalbstündige Führung für uns durch die ganze Einrichtung, bei der Niso sogar filmen durfte. Von einer Gruppengröße von 12 (statt 40) Kindern kann man in Ulan-Ude nur träumen, ebenso von dem tollen Holzspielzeug (wobei es in Sibirien eigentlich Holz genug gibt). „Was macht dieser Mann hier?“, fragte meine Freundin und deutete auf einen männlichen Erzieher, der entspannt am Tisch lehnte. Und noch dazu in lässigem Pulli und mit Bart – für eine Russin ein echter Kulturschock, wo doch nur Frauen in den Kindergärten sind, für die noch dazu strenge Kleidervorschriften gelten.

Ich entdeckte meine deutsche Heimat zusammen mit Niso neu: nicht nur die ungezwungene Bärtevielfalt der Männer, die noch dazu in oft ungebügelten Hemden auf die Straße gehen - auch die fast völlige Abwesenheit von Wachpersonal in Geschäften und öffentlichen Einrichtungen – unfassbar, dass wir in der Universität Potsdam mal eben so einen Hörsaal betreten konnten! – asphaltierte Radwege und ein riesiges unterirdisches Fahrrad-Parkhaus im Zentrum Leipzigs; nacktes Umherlaufen am Badestrand; meine Freunde Johannes und Robert, die schreiende Kleinkinder beruhigen. „Ein russischer Mann würde Panik bekommen und seine Frau rufen“, meinte Niso. In ein Haus kommt man hinein, indem man auf das Klingelschild mit dem Namen (oder daneben) drückt, und die erste Etage zählt nicht, sondern nennt sich „Erdgeschoss“. Meine Schwester verabschiedete sich zusammen mit ihrem Freund für neun Monate nach Neuseeland, ohne dass die Eltern sich vor Sorgen verzehrend sie jeden Tag anrufen; als sich Verwandte und Freunde am Abend davor zu einer kleinen Feier trafen, betrank sich keiner, niemand sang Lieder, aber jeder schien mit irgendwem ein interessantes Gesprächsthema zu finden, und freundlich wurden Speisen auf dem keineswegs bis oben hin vollgestopften Tisch hin- und hergereicht. Einige meiner Freunde sprechen Russisch, viele ältere Gesprächspartner packten mit Freude ein paar Brocken aus ihrer Schulzeit aus – schließlich waren wir im Ostteil der Republik unterwegs; die früher mit einem Iraner verheiratete Christiane in Berlin konnte sich mit Niso auf Persisch verständigen. Deutschland (80 Mio. Einw.) ist so groß wie Burjatien (1 Mio. Einw.): vom Spiegelwaldturm im Erzgebirge überblickten wir das zersiedelte Land und lauschten den Erläuterungen meines Großvaters, der auf Niso ob seiner Vitalität einen außerordentlichen Eindruck machte. Auf unserer letzten Wanderung am Baikal hatten wir 12 Stunden gebraucht, um an den Fuß eines Berges zu gelangen, im Elbsandsteingebirge erklommen wir drei Gipfel in zwei Tagen. 

In unserer Wohnung in der Frunze-Straße – in den letzten zwei Jahren weitgehend insektenfrei – haben sich die Küchenschaben vermehrt. Einige von ihnen siedelten sich unter der elektrischen Herdplatte an – günstig für ihre Bekämpfung, denn so braucht man diese nur anzuschalten und zu warten, bis die Tierchen, das Geröstetwerden vermeiden wollend, eine nach dem anderen durch den seitlichen Spalt ans Licht kommen, wo sie allerdings ein im Ergebnis gleiches Schicksal erwartet.

Der russische Präsident ist nicht selten der Titelheld der Lokalpresse