Reisebericht aus Tadschikistan, Teil 1
„Wenn Hitler damals die Welt erobert hätte, würden wir jetzt
alle in Deutschland wohnen“, sagt mein Nachbar, und es klingt nicht so, als ob
er diese Möglichkeit bedauerlich fände. Ich befinde mich an Bord eines
Flugzeugs der tadschikischen Somon Air
auf dem Weg von Irkutsk nach Duschanbe, die Hauptstadt Tadschikistans. Außer
einigen in lange, schöne Gewänder gekleideten Frauen mit Kindern befinde ich
mich in der Gesellschaft von lauter meist jüngeren Männnern, Gastarbeiter auf
Heimaturlaub. Einer von ihnen sitzt neben mir.
„Ihr seid doch auch Arier, oder?“ Ich versuche zu erklären,
dass das Wort für Deutsche Tabu ist, weil die Nazis damit ihre Überlegenheit
anderen Völkern gegenüber ausgedrückt haben. Auf meiner Reise wird es mir noch
oft begegnen: im Unterschied zu den umliegenden Turkvölkern, zu Kirgisen,
Usbeken und Turkmenen betonen die Tadschiken gern ihre indoeuropäische
Abstammung, und natürlich gerade im Gespräch mit einem Deutschen. In der Tat
sehen ihre Gesichter oft sehr europäisch aus.
„Die Faschisten haben gesagt, die Russen sind Schweine.
Warum eigentlich?“ Nun, führe ich aus, Hitler hat eben mit seiner Ideologie vom
slavischen Untermenschen den Leuten das Hirn vernebelt. Aber mein
Gesprächspartner hat schon selbst eine Antwort. „Er hatte recht! Wenn sie
trinken, benehmen sie sich wie Schweine!“ Ich wechsle das Thema. Welche Früchte
werden in Tadschikistan angebaut? Dafür muss ich nun meinerseits erklären,
warum in Deutschland keine Baumwolle und keine Wassermelonen wachsen können. „Scharbati seb“, sage ich und weise auf
das vor mir stehende Getränk, stolz darauf, das tadschikische Wort für Apfelsaft gelernt zu haben. „Ich kann
Deine Sprache auch“, sagt mein Nachbar. „Heil
Hitler! – Was heißt eigentlich heil?“
Gegen Ende der über 4stündigen Reise überfliegen wir das
Fergana-Tal und das nördlich von Dushanbe gelegene Turkestan- und
Zarafshan-Gebirge, die in schroffer Kahlheit auf gedrängtem Raum über 4000
Meter in die Höhe ragen. Tadschikistan ist ein Land der Berge, sein Osten ist
vom Pamir-Gebirge eingenommen, die höchsten Gipfel der Sowjetunion befinden
sich hier, Pik Kommunismus und Pik Lenin, Siebentausender, beide
allerdings inzwischen in Pik Somoni
und Pik Abuali ibn Sino umbenannt. Es
ist das bergigste, kleinste und ärmste der postsowjetischen –stan-Länder.
Industrie gibt es kaum, dafür viele arbeitssuchende junge Männer, die ihr
Einkommen in Russland auf dem Bau erwirtschaften und dann nach Hause schicken.
Fast 40% der männlichen Bevölkerung unter 30 arbeitet als gastarbejter – das deutsche Wort wird auch im Russischen verwendet
– im großen nördlichen Nachbarstaat und erwirtschaftet dort ein Drittel des
tadschikischen Bruttoinlandsprodukts.
Ich sitze am Fenster und staune in die strahlende
Morgensonne am blauen Himmel, während die Maschine, anscheinend fast einen
Hügel rammend, eine große Schleife beschreibt und in Dushanbe aufsetzt. Jemand fegt
mit einem Reisigbesen die Fläche um das Flugzeug herum, ansonsten wirkt alles
so wie auf modernen Flughäfen üblich. Die Außentemperatur beträgt 35 Grad,
erfahren die Passagiere auf tadschikisch und russisch, Ortszeit 7.30 Uhr
morgens. Ich stelle meine Uhr um drei Stunden zurück, von „Moskau plus 5“ (die
burjatische Zeit) auf „Moskau plus 2“. An der Passkontrolle zeige ich mein
sogenanntes e-Visum vor: man muss nur
50 Dollar überweisen, einen Pass-Scan hochladen, und einen Tag später kommt es
per Email zum selbst Ausdrucken – der Staat macht es westlichen Reisenden
besonders einfach, um den Tourismus anzukurbeln. Chusch omaded, willkommen in Tadschikistan!
Blick über die tadschikische Hauptstadt Dushanbe |