Donnerstag, 31. August 2017

Dushanbe

Reisebericht aus Tadschikistan, Teil 2

Tadschikistan ist das Land der Kinder. Ich habe noch nie so viele kleine Kinder gesehen, vor den Hauseingängen, in den Straßen und auf den unabgesperrten Baustellen, und noch nie so viele Jungs bei der Arbeit: Ob als Verkäufer im Buchladen, als Schaffner im Kleinbus, mit dem Schlauch in der Hand in der Autowäsche oder vor dem Gästehaus zum Anwerben von Touristen, überall scheinen sie ihre Familien bei der Erwerbsarbeit unterstützen zu müssen. Am ersten September sind die Ferien zu Ende, dann geht es in die Schule – hoffentlich.
Tadschikische Frauen tragen wunderschöne lange Kleider in leuchtenden Farben und dazu meist locker im Nacken zusammengebundene Kopftücher. In der Hauptstadt verzichten einige auch ganz auf die Kopfbedeckung. Einige Männer tragen lange Bärte und die charakteristische Gebetskappe (Takke), die sie als Moslems ausweist. Die Bevölkerung ist muslimisch, aber von Regierungsseite aus werden religiöse Aktivitäten eher skeptisch betrachtet und eingeschränkt, da man islamischen Extremismus fürchtet. Kindern ist das Betreten einer Moschee nicht gestattet, in kleineren Ortschaften bleiben diese freitags, zur Zeit des eigentlich wichtigsten wöchentlichen Gebetes, geschlossen. Nirgendwo in Duschanbe schallen die Muezzin-Gebetsrufe über die Dächer, wie es für andere  islamische Länder typisch ist.
Zunächst wohne ich ein paar Nächte im „Hello“-Hostel in der Altstadt. Um den großen Tisch im Erdgeschoss sind Backpacker aus allen Ländern versammelt, man führt auf Englisch die typischen Globetrotter-Gespräche. Tadschikistan mit dem Fahrrad zu durchqueren ist populär, und einige Fahrer der in England beginnenden und in Ulan-Ude endenden Mongol Rallye sind dabei: mit mindestens 10 Jahre alten Autos Eurasien zu durchqueren ist das Ziel, Dauer etwa 2 Monate, und gewonnen hat, wer hinterher die besten Storys erzählen und die coolsten Fotos zeigen kann. Die meisten durchreisen gleich mehrere zentralasiatische Länder am Stück, und alle erzählen vom Pamir-Gebirge, wo sie entweder hinwollen oder gerade herkommen.
Als ich an einer Tankstelle gerade die Preise fotografieren möchte, springt mir der junge Tankwart vor die Kamera und möchte auch mit aufs Bild. Ich soll mich hinsetzen, er holt eine Kanne Grüntee vom benachbarten Imbiss, und ich darf ihm bei der Arbeit zuschauen: Autos fahren an die Zapfsäule, er ruft ihnen zu „Benzin gibt’s gerade nicht!“, und sie düsen davon. Jedes zweite Auto in Tadschikistan ist ein mindestens 15 Jahre alter Opel Astra der ersten Generation – warum wohl gerade dieses Modell in Massen den Weg hierher gefunden hat? Mitunter kommt ein Kunde mit einer kleinen Plastikflasche, die der Tankwart mit Diesel befüllt, zum Motorreinigen oder zum Anheizen für Zuhause.
35 Grad sind kein Spaß. Für 50 Diram oder einen Somoni – umgerechnet 10 Cent – kann man sich am Straßenrand in Duschanbe auf verschiedene Weise erfrischen: Softeis wird angeboten oder der russische Brottrunk Kwass, außerdem zuckersüße, laborfarbene „Sowjet-Limo“, ein Dzharob genanntes Airan-ähnliches Getränk oder Aprikosensaft. In einem Imbiss probiere ich das Nationalgericht Plov, in Fett gebratener Reis mit Fleisch (natürlich kein Schweinefleisch) und Gemüse. Ich staune darüber, dass Männer wie Frauen fast überall gut Russisch sprechen, das sich als zweite Umgangssprache aus Sowjetzeiten zumindest in der Hauptstadt noch bis heute gehalten hat.

Wer in Dushanbe unterwegs ist, macht zwangsläufig Bekanntschaft mit dem tadschikischen Präsidenten. Überlebensgroß schaut die väterliche, in Anzug und Krawatte gehüllte Gestalt Emamoli Rahmons von allen öffentlichen Gebäuden auf das Volk herab, von Schulen und Universitäten, und wo es nicht sein Antlitz ist, dort sind Banner mit seinen Zitaten aufgespannt. „Frieden und Einheit der tadschikischen Nation sind ein unschätzbarer Wert“, heißt es, „Wir eröffnen die Eisenbahn in alle vier Himmelsrichtungen“ oder „Bildung ist das Wesen der Existenz der Nation“; anderswo kürzer: „Der Präsident – unser Stolz“. Dynamisch streckt er auf manchen Fotos seine Hand nach vorn; die Ähnlichkeit mit dem Hitlergruß ist sicher nicht beabsichtigt. Rahmon hatte nach fünfjährigem Bürgerkrieg in Tadschikistan 1997 ein dauerhaftes Friedensabkommen mit der Opposition unterzeichnet und herrscht seitdem monarchenähnlich über das kleine Land. Die Leute, die ich frage, scheinen ihn zu unterstützen. Egal wie korrupt – er  garantiert Frieden und Stabilität, das ist wichtiger als Demokratieexperimente, die in einen neuen Krieg münden könnten. Im Zentrum der Hauptstadt steht, von wunderschönen, gepflegten Parks umgeben, sein neuer Palast, ein Stück daneben – vom  zweithöchsten Fahnenmast der Welt – weht majestätisch eine gigantische tadschikische Flagge.

Tadschikische Frauen sind wunderschön gekleidet
"UdSSR-Limonade" (oben). Das Thema Baustellenabsicherung ist unbekannt (unten)
                              
Der tadschikische Präsident Rahmon ist allgegenwärtig, ohne oder mit Putin (unten)

Das russische Getränk Kwass gibts auch hier (oben). Meine Tankstellenbekanntschaft (unten)
Tadschikistan - das Land der Kinder