Reisebericht aus Tadschikistan, Teil 2
Tadschikistan ist das Land der Kinder. Ich habe noch nie so
viele kleine Kinder gesehen, vor den Hauseingängen, in den Straßen und auf den unabgesperrten
Baustellen, und noch nie so viele Jungs bei der Arbeit: Ob als Verkäufer im
Buchladen, als Schaffner im Kleinbus, mit dem Schlauch in der Hand in der
Autowäsche oder vor dem Gästehaus zum Anwerben von Touristen, überall scheinen
sie ihre Familien bei der Erwerbsarbeit unterstützen zu müssen. Am ersten September
sind die Ferien zu Ende, dann geht es in die Schule – hoffentlich.
Tadschikische Frauen tragen wunderschöne lange Kleider in
leuchtenden Farben und dazu meist locker im Nacken zusammengebundene
Kopftücher. In der Hauptstadt verzichten einige auch ganz auf die
Kopfbedeckung. Einige Männer tragen lange Bärte und die charakteristische
Gebetskappe (Takke), die sie als
Moslems ausweist. Die Bevölkerung ist muslimisch, aber von Regierungsseite aus
werden religiöse Aktivitäten eher skeptisch betrachtet und eingeschränkt, da man
islamischen Extremismus fürchtet. Kindern ist das Betreten einer Moschee nicht
gestattet, in kleineren Ortschaften bleiben diese freitags, zur Zeit des
eigentlich wichtigsten wöchentlichen Gebetes, geschlossen. Nirgendwo in
Duschanbe schallen die Muezzin-Gebetsrufe über die Dächer, wie es für
andere islamische Länder typisch ist.
Zunächst wohne ich ein paar Nächte im „Hello“-Hostel in der
Altstadt. Um den großen Tisch im Erdgeschoss sind Backpacker aus allen Ländern
versammelt, man führt auf Englisch die typischen Globetrotter-Gespräche.
Tadschikistan mit dem Fahrrad zu durchqueren ist populär, und einige Fahrer der
in England beginnenden und in Ulan-Ude endenden Mongol Rallye sind dabei: mit mindestens 10 Jahre alten Autos
Eurasien zu durchqueren ist das Ziel, Dauer etwa 2 Monate, und gewonnen hat,
wer hinterher die besten Storys erzählen und die coolsten Fotos zeigen kann.
Die meisten durchreisen gleich mehrere zentralasiatische Länder am Stück, und
alle erzählen vom Pamir-Gebirge, wo sie entweder hinwollen oder gerade
herkommen.
Als ich an einer Tankstelle gerade die Preise fotografieren
möchte, springt mir der junge Tankwart vor die Kamera und möchte auch mit aufs
Bild. Ich soll mich hinsetzen, er holt eine Kanne Grüntee vom benachbarten
Imbiss, und ich darf ihm bei der Arbeit zuschauen: Autos fahren an die
Zapfsäule, er ruft ihnen zu „Benzin gibt’s gerade nicht!“, und sie düsen davon.
Jedes zweite Auto in Tadschikistan ist ein mindestens 15 Jahre alter Opel Astra
der ersten Generation – warum wohl gerade dieses Modell in Massen den Weg
hierher gefunden hat? Mitunter kommt ein Kunde mit einer kleinen
Plastikflasche, die der Tankwart mit Diesel befüllt, zum Motorreinigen oder zum
Anheizen für Zuhause.
35 Grad sind kein Spaß. Für 50 Diram oder einen Somoni –
umgerechnet 10 Cent – kann man sich am Straßenrand in Duschanbe auf
verschiedene Weise erfrischen: Softeis wird angeboten oder der russische
Brottrunk Kwass, außerdem zuckersüße,
laborfarbene „Sowjet-Limo“, ein Dzharob
genanntes Airan-ähnliches Getränk oder Aprikosensaft. In einem Imbiss probiere
ich das Nationalgericht Plov, in Fett
gebratener Reis mit Fleisch (natürlich kein Schweinefleisch) und Gemüse. Ich
staune darüber, dass Männer wie Frauen fast überall gut Russisch sprechen, das
sich als zweite Umgangssprache aus Sowjetzeiten zumindest in der Hauptstadt noch
bis heute gehalten hat.
Wer in Dushanbe unterwegs ist, macht zwangsläufig
Bekanntschaft mit dem tadschikischen Präsidenten. Überlebensgroß schaut die
väterliche, in Anzug und Krawatte gehüllte Gestalt Emamoli Rahmons von allen
öffentlichen Gebäuden auf das Volk herab, von Schulen und Universitäten, und wo
es nicht sein Antlitz ist, dort sind Banner mit seinen Zitaten aufgespannt.
„Frieden und Einheit der tadschikischen Nation sind ein unschätzbarer Wert“,
heißt es, „Wir eröffnen die Eisenbahn in alle vier Himmelsrichtungen“ oder
„Bildung ist das Wesen der Existenz der Nation“; anderswo kürzer: „Der
Präsident – unser Stolz“. Dynamisch streckt er auf manchen Fotos seine Hand
nach vorn; die Ähnlichkeit mit dem Hitlergruß ist sicher nicht beabsichtigt.
Rahmon hatte nach fünfjährigem Bürgerkrieg in Tadschikistan 1997 ein
dauerhaftes Friedensabkommen mit der Opposition unterzeichnet und herrscht
seitdem monarchenähnlich über das kleine Land. Die Leute, die ich frage,
scheinen ihn zu unterstützen. Egal wie korrupt – er garantiert Frieden und Stabilität, das ist
wichtiger als Demokratieexperimente, die in einen neuen Krieg münden könnten.
Im Zentrum der Hauptstadt steht, von wunderschönen, gepflegten Parks umgeben,
sein neuer Palast, ein Stück daneben – vom zweithöchsten Fahnenmast der Welt – weht majestätisch
eine gigantische tadschikische Flagge.
Tadschikische Frauen sind wunderschön gekleidet |
"UdSSR-Limonade" (oben). Das Thema Baustellenabsicherung ist unbekannt (unten) |
Das russische Getränk Kwass gibts auch hier (oben). Meine Tankstellenbekanntschaft (unten) |
Tadschikistan - das Land der Kinder |