Am 9. Mai, dem wichtigsten Feiertag in Russland, steckte ich
mir ein kleines schwarz-oranges St.-Georgs-Band an die Jacke – das Symbol für
den Tag des Sieges – und ging früh aus dem Haus, um mir auf dem Sowjetplatz
eine Stelle ganz vorn an der Absperrung zu sichern. Als die Parade um 10 Uhr
begann, herrschte schon ein unglaubliches Gedränge, Groß und Klein wollte gute Sicht
haben auf die tausendfünfundert auf- und abmarschierenden Soldaten, auf die im
Schritttempo vorbeifahrenden Panzer, Uragan-Raketenwerfer
und mit Iskander-Kurzstreckenraketen
bestückten Fahrzeuge.
Nach dem Ende der Parade setzte sich das Unsterbliche Regiment in Marsch: zehntausende
Einwohner liefen mit großen Fotos ihrer gefallenen Vorfahren durch die
Innenstadt, eine Form des Gedenkens, die sich seit einigen Jahren etabliert hat
und vielleicht einen Ausgleich für das Dahinschwinden der Veteranen darstellt, deren
letzte Vertreter auf einer Tribüne vor dem Leninkopf saßen. Der 72. Jahrestag des Sieges über Nazideutschland hatte zugleich
Volksfestcharakter und endete mit gigantischen Feuerwerken am spätabendlichen
Himmel. Wohl kein anderes Ereignis versammelt in russischen Städten so viele
Menschen zugleich auf der Straße.