Christiane, als Du in Ulan-Ude durch die Straßen
gelaufen bist... was ist Dir aufgefallen, was ist anders als in
Deutschland?
Also da gibt es viele kleine Dinge. Zum
Beispiel rennen die Leute mit einem Becher Kwass in der Hand herum
statt mit einem Kaffee to go. ( Apropos Kaffee: bei Thomas haben wir
gerne welchen getrunken. Das dunkle Pulver hatte er offensichtlich in
einer grünen Tasse aufbewahrt. Eines morgens hatte ich wirklich
große Lust auf einen aromatischen Kaffee, und habe mir welchen aus
dem dunklen Pulver aufgebrüht. Nun, er schmeckte sehr bitter,
überhaupt nicht wie Kaffee. Lediglich die Farbe stimmte überein.
Auf Nachfrage stellte sich heraus, dass es sich hierbei nicht um eine
spezielle sibirische Kaffeesorte handelte, sondern dass ich mir
irgendein Gesöff mit Faulbaumpulver aufgegossen hatte. Trinken
wollte das dann keiner.)
Außerdem gibt es keine schönen Männer
(nichts gegen die russische Männlichkeit) bzw. habe ich keinen
gesehen. Die Frauen dagegen sind oft recht hübsch und haben meist
hohe Schuhe und Kleider an, ich glaube, bei uns sind sie allgemein
sportlicher gekleidet.
Werbung erreicht einen nicht nur
visuell, sondern tönt auch aus Lautsprechern auf die Straße.
Außerdem wird man oft angequatscht und soll irgendwelche Flyer (zum
Schuhe ausstopfen geeignet) mitnehmen.
Wie Thomas schon oft beschrieben hat,
bestehen viele Jobs aus scheinbar nichtigen Dingen, wie zum Beispiel
in einem geschlossenen öffentlichen Gebäude rumsitzen und den
Pförtner, der eigentlich auch nichts zutun hat, unterstützen.(Wobei
auch immer.)
Was mich am Anfang auch gewundert hat,
war, dass überall Leute vom Militär oder Polizisten zu sehen sind.
Thomas meinte dazu nur, das sei hier eben Russland. Es gilt hier auch
als „cool“, in Uniformen rumzulaufen.
Trotz der großen Hitze hatten viele
lange Sachen an. Das scheint man hier einfach gewohnt zu sein. Der
Verkehr hier ist recht wild, die Autos schrammen nur knapp an einem
vorbei. Es gibt zwar tausend Fußgängerüberwege, aber sicher habe
ich mich beim Überqueren derer nicht gefühlt^^ Super fand ich die
Ampeln mit Sekundenanzeige, woran man ablesen kann, wie lange noch
grün oder rot ist. Auch wenn die Grün-Zeiten immer sehr knapp
bemessen waren, keine Ahnung wie das ältere Bürger schaffen sollen,
scheinen alle gut zurechtzukommen.
Antiabtreibunspropaganda kenne ich aus
Deutschland nicht. In Ulan-Ude hat man einige solche Plakate gesehen,
z.b. stand dort „Mutti, ich werde später deine Gehilfin“ oder
ähnliches. Seltsam, seltsam. Das liegt wohl mit an dem Einfluss der
Kirche, den es hier wohl eher als in Deutschland noch gibt.
Ebenso auffällig war, dass hier die
Leute gerne Selfies machen. Nicht nur Teenager, auch Menschen über
40 packen wie selbstverständlich ihre Selfiesticks aus und machen 10
Bilder von sich, und als peinlich scheint das hier nicht zu gelten.
Bei uns würden alle über so eine offensichtliche Selbstdarstellung
nachsichtlich schmunzeln und sich freuen, dass sie selbst das nicht
nötig haben. Nun ja.
Was hat Dich in Russland positiv
beeindruckt? Und was war Dir eher unsympathisch?
Ich hatte mir alles ärmlicher
vorgestellt, aber da wir hauptsächlich in der Stadt waren, gab es
natürlich auch viele Westprodukte. Die Menschen waren alle eher
schick gekleidet, unabhängig von dem doch meistens sehr niedrigen
Einkommen. Sehr entspannt fand ich die öffentlichen Busse, die eher
großen Familienautos ähnelten und die Bezahlung dort. Man durfte
erstmal bedingungslos einsteigen und mitfahren und hat erst beim
Aussteigen dem Fahrer 20 Rubel in die Hand gedrückt, egal wie lange
oder weit man mitgefahren ist. Der buddhistische Tempel, den wir
besucht haben, hat mir auch sehr gefallen, vor allem der Weg
rundherum, ein Holzweg mit einer Laube für jedes der 12 Tiere, die
zum Geburtsjahr eines Menschen gehören. Die Waldtiere, wie
Eichhörnchen und Vögel, wirkten sehr zutraulich hier. Auf den
Dörfern laufen Kühe und Ziegen frei herum, Schafe ebenso. Das ist
schön, dass es auch Tierhaltung gibt, die nicht nur auf Kommerz,
Gewinn und Ausschlachtung basiert.
Im Gegensatz dazu fand ich die
Markthalle in der burjatischen Hauptstadt ziemlich ekelhaft, da einem
schon beim Eintreten der Geruch nach Leichen und rohem Fleisch
entgegenschlägt. Mir tut es immer weh, wenn ich sehe, wie die Leute
hemmungslos und lächelnd die toten Körperteile von Lebewesen, die
nicht weit unter uns stehen (wenn überhaupt) verkaufen. Man stelle
sich vor, dies seien Menschenteile. Würde man das dann auch einfach
so als normal betrachten und sich über die guten Nährwerte
unterhalten? Generell wird in Russland viel Fleisch und Fisch
gegessen, dabei hat man auch hier schon längst andere Möglichkeiten
und ist nicht mehr auf Fischfang und Jagd angewiesen. Es war aber
kein Problem für mich, mich hier vegetarisch zu ernähren, wie ich
dachte. Nicht jede Teigtasche ist mit Fleisch gefüllt. Und mir ist
es hier auch nicht passiert, dass jemand behauptete, es sei
vegetarisch, und dann befanden sich doch kleine Schinkenstückchen in
der Suppe. (Das musste ich leider schon erleben. Es ist leider nicht
allgemein bekannt, das vegetarisch bedeutet, überhaupt kein Totes zu
essen, egal in welchen geringen Mengen!) Leider ist diese
Ernährungsform hier noch nicht wirklich angekommen, aber man hofft.
Wie natürlich jeder weiß, ist
Russland bekannt für den Alkohol, besonders für den Wodka. Nun,
viele Männer sehen tatsächlich recht versoffen aus. Wenn man bei
uns jemanden als Straßensäufer identifizieren würde, dann wäre
einer mit dem gleichen Aussehen hier wahrscheinlich ein normaler
Familienvater, der „einfach gerne trinkt“. Da wir aber abends
eigentlich nicht mehr draußen waren, haben wir in der Richtung nicht
soviel mitbekommen. (Eine Begegnung mit dem Nachbarn von Thomas,
welcher sabbernd zu uns hineinwollte, weil Mutti und ich den Riegel
nicht schnell genug vorgeschoben haben, war hier eher die Ausnahme.)
Bei uns in Deutschland gibt es nun zum
Glück strengere Gesetze, was Plastiktüten angeht. Hier wird jedes
Gebäckstück in eine eigene solche Tüte getan. Dass das Erdöl
knapp ist, scheint hier noch nicht angekommen zu sein. (Man stelle
sich vor, was eine riesige Nation wie Russland ohne diese Unmengen an
Plastikbeuteln einsparen könnte.)
Befremdlich fand ich den Gottesdienst
in einer russisch-orthodoxen Kirche. Dieses traditionelle, scheinbar
nicht hinterfragendes Gebaren kommt mir einfach nicht mehr zeitgemäß
vor. Dass es sich wirklich nur noch um Tradition handelt, wird zum
Beispiel bei den Kopftüchern deutlich. Frauen müssen in der Kirche
welche tragen, um ihre „weiblichen Reize“ zu bedecken. (Welchen
Grund sollte es sonst haben, dass dies bei Männern nicht verlangt
wird?) Nun, am strengsten handhaben diese Regel die alten
Mütterchen.... Man komme nun selbst darauf, was ich meine.
Eine superchristliche junge Frau im
Gottesdienst küsste, wie so viele andere auch, die hinter Glas
gesetzten Füße eines Bildes des Gekreuzigten, und nachdem ihr Sohn
dies nicht tat, sagte sie ihm streng ein paar Worte, um ihn ach dazu
aufzufordern. Später brannten von ebendieser Frau die Haare, da habe
ich mich unglaublich erschrocken. Sie stand neben mir und hatte sich
heruntergebeugt um irgendeinen anderen Heiligen zu küssen, da kamen
ihre langen, unter dem Kopftuch hervorquellenden Haare in eine der
tausend Kerzen, die in der Kirche standen und Flammen züngelten
hindurch. Zum Glück hat sie es schnell gemerkt und das Feuer hastig
ausgeklopft.
Wie war es am Baikal? Ist der See so,
wie Du ihn Dir vorgestellt hast?
Insgesamt 3 Mal war ich dort. Der See
ist ja sehr bekannt für seine Größe, man fühlt sich davor stehend
wie am Meer. Ungefähr so hatte ich es mir auch vorgestellt. Das
erste Dörfchen kam mir etwas trostlos vor, kein Mensch zu sehen,
außer zwei versoffener Männer, die sich gerne mit uns unterhalten
hätten. Beim zweiten Besuch, wo es auch die heiße Quelle gab, war
es deutlich voller. Ich denke, typisch für die Gegend am Baikalsee
ist, dass man sowohl Berge, als auch „Meer“ hat. Bei uns gibt es
ja beides nur einzeln, doch der Baikalsee ist gerahmt von wunderschön
bewaldeten Hügeln. Baden waren wir erst bei unserem dritten Besuch
am Baikal. Das war wundervoll, der weite Blick, die Landschaft, das
Gefühl, so weit weg zu sein und trotzdem alles irgendwie gar nicht
so fremd. Die Sommertemperaturen waren besser auszuhalten am See, vor
allem für unsere liebe Mutter.
Erzähle doch mal etwas über
interessante Menschen, die Du getroffen hast.
Oh, na das fing schon sehr früh an, da
Thomas sehr kontaktfreudig ist und verschiedene Bekannte und Freunde
ihn immer gern besuchen möchten. An unserem zweiten Abend kam Alexej
alias Ljoscha vorbei, der gerade von einer Durchquerung der Wüste
Gobi kam und sich auf der Heimreise befand. Er konnte kein Englisch
und wir kein Russisch, also haben wir uns nicht unterhalten. Das war
aber nicht schlimm, er sah interessant genug aus, da waren spannende
Erzählungen gar nicht nötig. Man sah ihm an, dass er zäh war.
Außerdem war er sehr „leicht“. Aber er habe in der Wüste wohl
nur 3 Kilo abgenommen.
Sehr gefreut haben wir uns darüber,
Niso kennengelernt zu haben. Auch mit ihr sprachen wir keine
gemeinsame Sprache, aber entweder hat Thomas übersetzt oder wir
haben uns nur angelächelt und ich habe meine tollen Wortkenntnisse
„Danke“, „Hallo“, „Käse“ und „Schmetterling“
angewendet. Ich glaube, wir waren uns alle sehr sympathisch. Thomas
hat sich unterwegs ständig mit irgendwelchen Leuten unterhalten, die
gehört haben, dass wir Ausländer sind. Meistens hatte ich keine
Lust, immer wieder Smalltalk zu führen, aber Thomas schien da
unermüdlich zu sein. Für alle das erste mal war die Begegnung mit
einem alten Mütterchen, einer Wolga-Deutschen.
Insgesamt haben wir schon viele
Bekanntschaften geschlossen dank meinem Bruderherz. Seine
Institutsleiterin hat uns eingeladen und ein kleiner Enkel sprang bei
ihr herum. Ihre Tochter konnte auch Deutsch sprechen und ihr Mann
meinte zu uns, dass er ganz verlegen sei bei solchen Gästen. Ein
Glas Wein bekamen wir auch, auf Thomas Ablehnung kam die Frage, ob er
lieber etwas Stärkeres wolle. Es hat sich wohl noch nicht so
rumgesprochen, dass er ohne Ausnahme Alkoholabstinenz ausübt. Den
bald berühmten Opernsänger Maxim haben wir auch getroffen. Ein
sympathischer junger Mann, der gerne Bier trinkt und in Deutschland
studieren möchte. Belustigt zeigte er uns Bilder, die er in
Deutschland gemacht hatte, unter anderem von einem schwulen Pärchen
oder großen „Ob rauf oder runter, Benutzt Kondome“-Plakate. So
etwas kommt wohl in Russland eher selten (bis gar nicht) vor. Schön,
dass Deutschland in dieser Hinsicht schon so weit ist.
Möchtest Du nochmal nach Russland
reisen? Hast Du vielleicht Lust bekommen, Russisch zu lernen?
Ja ich habe schon Lust, dieses Land mal
wieder zu besuchen, vielleicht an anderen, neuen Ecken. Aber es steht
bei mir nicht an vorderster Stelle. Erstmal geht es in einem Jahr ins
Ausland, mal sehen, wohin es uns da verschlägt. Der asiatische Raum
kommt jedenfalls in Frage, aber wir müssen auch schauen, wo wir von
irgendeiner Organisation angenommen werden.
Ich finde es zwar immer faszinierend,
wenn man eine eher untypische Fremdsprache sprechen kann und mit der
russischen Sprache kann man sich zwar einen sehr großen Raum
erschließen, aber erstmal möchte ich mein Englisch verbessern und
natürlich wäre es auch schön, meine eher spärlichen Kenntnisse in
Französisch nicht ganz zu verlieren. Aber wer weiß, was später
kommt. Ich bin jedenfalls sehr froh, diese Reise soweit weg von
meinem Heimatland gemacht haben zu dürfen und freue mich auf
Einblicke in viele neue Kulturen in der Zukunft. An dieser Stelle ein
großes Dankeschön an Thomas, der sich so super macht als
Reiseleiter von uns unerfahrenen, bestimmt auch manchmal nervigen
Frauen, immer geduldig ist und neue Ideen hat und – ganz wichtig -
nie müde wird, immer alles zu übersetzen, was jemand von sich
gibt.(Naja, zumindest was er für wichtig erachtet ;) ) Danke, dass
du uns dies ermöglicht hast.