Freitag, 15. Juli 2016

Fragen an meine Schwester




Christiane, als Du in Ulan-Ude durch die Straßen gelaufen bist... was ist Dir aufgefallen, was ist anders als in Deutschland?

Also da gibt es viele kleine Dinge. Zum Beispiel rennen die Leute mit einem Becher Kwass in der Hand herum statt mit einem Kaffee to go. ( Apropos Kaffee: bei Thomas haben wir gerne welchen getrunken. Das dunkle Pulver hatte er offensichtlich in einer grünen Tasse aufbewahrt. Eines morgens hatte ich wirklich große Lust auf einen aromatischen Kaffee, und habe mir welchen aus dem dunklen Pulver aufgebrüht. Nun, er schmeckte sehr bitter, überhaupt nicht wie Kaffee. Lediglich die Farbe stimmte überein. Auf Nachfrage stellte sich heraus, dass es sich hierbei nicht um eine spezielle sibirische Kaffeesorte handelte, sondern dass ich mir irgendein Gesöff mit Faulbaumpulver aufgegossen hatte. Trinken wollte das dann keiner.)
Außerdem gibt es keine schönen Männer (nichts gegen die russische Männlichkeit) bzw. habe ich keinen gesehen. Die Frauen dagegen sind oft recht hübsch und haben meist hohe Schuhe und Kleider an, ich glaube, bei uns sind sie allgemein sportlicher gekleidet.
Werbung erreicht einen nicht nur visuell, sondern tönt auch aus Lautsprechern auf die Straße. Außerdem wird man oft angequatscht und soll irgendwelche Flyer (zum Schuhe ausstopfen geeignet) mitnehmen.
Wie Thomas schon oft beschrieben hat, bestehen viele Jobs aus scheinbar nichtigen Dingen, wie zum Beispiel in einem geschlossenen öffentlichen Gebäude rumsitzen und den Pförtner, der eigentlich auch nichts zutun hat, unterstützen.(Wobei auch immer.)
Was mich am Anfang auch gewundert hat, war, dass überall Leute vom Militär oder Polizisten zu sehen sind. Thomas meinte dazu nur, das sei hier eben Russland. Es gilt hier auch als „cool“, in Uniformen rumzulaufen.
Trotz der großen Hitze hatten viele lange Sachen an. Das scheint man hier einfach gewohnt zu sein. Der Verkehr hier ist recht wild, die Autos schrammen nur knapp an einem vorbei. Es gibt zwar tausend Fußgängerüberwege, aber sicher habe ich mich beim Überqueren derer nicht gefühlt^^ Super fand ich die Ampeln mit Sekundenanzeige, woran man ablesen kann, wie lange noch grün oder rot ist. Auch wenn die Grün-Zeiten immer sehr knapp bemessen waren, keine Ahnung wie das ältere Bürger schaffen sollen, scheinen alle gut zurechtzukommen.
Antiabtreibunspropaganda kenne ich aus Deutschland nicht. In Ulan-Ude hat man einige solche Plakate gesehen, z.b. stand dort „Mutti, ich werde später deine Gehilfin“ oder ähnliches. Seltsam, seltsam. Das liegt wohl mit an dem Einfluss der Kirche, den es hier wohl eher als in Deutschland noch gibt.
Ebenso auffällig war, dass hier die Leute gerne Selfies machen. Nicht nur Teenager, auch Menschen über 40 packen wie selbstverständlich ihre Selfiesticks aus und machen 10 Bilder von sich, und als peinlich scheint das hier nicht zu gelten. Bei uns würden alle über so eine offensichtliche Selbstdarstellung nachsichtlich schmunzeln und sich freuen, dass sie selbst das nicht nötig haben. Nun ja.


Was hat Dich in Russland positiv beeindruckt? Und was war Dir eher unsympathisch?

Ich hatte mir alles ärmlicher vorgestellt, aber da wir hauptsächlich in der Stadt waren, gab es natürlich auch viele Westprodukte. Die Menschen waren alle eher schick gekleidet, unabhängig von dem doch meistens sehr niedrigen Einkommen. Sehr entspannt fand ich die öffentlichen Busse, die eher großen Familienautos ähnelten und die Bezahlung dort. Man durfte erstmal bedingungslos einsteigen und mitfahren und hat erst beim Aussteigen dem Fahrer 20 Rubel in die Hand gedrückt, egal wie lange oder weit man mitgefahren ist. Der buddhistische Tempel, den wir besucht haben, hat mir auch sehr gefallen, vor allem der Weg rundherum, ein Holzweg mit einer Laube für jedes der 12 Tiere, die zum Geburtsjahr eines Menschen gehören. Die Waldtiere, wie Eichhörnchen und Vögel, wirkten sehr zutraulich hier. Auf den Dörfern laufen Kühe und Ziegen frei herum, Schafe ebenso. Das ist schön, dass es auch Tierhaltung gibt, die nicht nur auf Kommerz, Gewinn und Ausschlachtung basiert.
Im Gegensatz dazu fand ich die Markthalle in der burjatischen Hauptstadt ziemlich ekelhaft, da einem schon beim Eintreten der Geruch nach Leichen und rohem Fleisch entgegenschlägt. Mir tut es immer weh, wenn ich sehe, wie die Leute hemmungslos und lächelnd die toten Körperteile von Lebewesen, die nicht weit unter uns stehen (wenn überhaupt) verkaufen. Man stelle sich vor, dies seien Menschenteile. Würde man das dann auch einfach so als normal betrachten und sich über die guten Nährwerte unterhalten? Generell wird in Russland viel Fleisch und Fisch gegessen, dabei hat man auch hier schon längst andere Möglichkeiten und ist nicht mehr auf Fischfang und Jagd angewiesen. Es war aber kein Problem für mich, mich hier vegetarisch zu ernähren, wie ich dachte. Nicht jede Teigtasche ist mit Fleisch gefüllt. Und mir ist es hier auch nicht passiert, dass jemand behauptete, es sei vegetarisch, und dann befanden sich doch kleine Schinkenstückchen in der Suppe. (Das musste ich leider schon erleben. Es ist leider nicht allgemein bekannt, das vegetarisch bedeutet, überhaupt kein Totes zu essen, egal in welchen geringen Mengen!) Leider ist diese Ernährungsform hier noch nicht wirklich angekommen, aber man hofft.
Wie natürlich jeder weiß, ist Russland bekannt für den Alkohol, besonders für den Wodka. Nun, viele Männer sehen tatsächlich recht versoffen aus. Wenn man bei uns jemanden als Straßensäufer identifizieren würde, dann wäre einer mit dem gleichen Aussehen hier wahrscheinlich ein normaler Familienvater, der „einfach gerne trinkt“. Da wir aber abends eigentlich nicht mehr draußen waren, haben wir in der Richtung nicht soviel mitbekommen. (Eine Begegnung mit dem Nachbarn von Thomas, welcher sabbernd zu uns hineinwollte, weil Mutti und ich den Riegel nicht schnell genug vorgeschoben haben, war hier eher die Ausnahme.)
Bei uns in Deutschland gibt es nun zum Glück strengere Gesetze, was Plastiktüten angeht. Hier wird jedes Gebäckstück in eine eigene solche Tüte getan. Dass das Erdöl knapp ist, scheint hier noch nicht angekommen zu sein. (Man stelle sich vor, was eine riesige Nation wie Russland ohne diese Unmengen an Plastikbeuteln einsparen könnte.)
Befremdlich fand ich den Gottesdienst in einer russisch-orthodoxen Kirche. Dieses traditionelle, scheinbar nicht hinterfragendes Gebaren kommt mir einfach nicht mehr zeitgemäß vor. Dass es sich wirklich nur noch um Tradition handelt, wird zum Beispiel bei den Kopftüchern deutlich. Frauen müssen in der Kirche welche tragen, um ihre „weiblichen Reize“ zu bedecken. (Welchen Grund sollte es sonst haben, dass dies bei Männern nicht verlangt wird?) Nun, am strengsten handhaben diese Regel die alten Mütterchen.... Man komme nun selbst darauf, was ich meine.
Eine superchristliche junge Frau im Gottesdienst küsste, wie so viele andere auch, die hinter Glas gesetzten Füße eines Bildes des Gekreuzigten, und nachdem ihr Sohn dies nicht tat, sagte sie ihm streng ein paar Worte, um ihn ach dazu aufzufordern. Später brannten von ebendieser Frau die Haare, da habe ich mich unglaublich erschrocken. Sie stand neben mir und hatte sich heruntergebeugt um irgendeinen anderen Heiligen zu küssen, da kamen ihre langen, unter dem Kopftuch hervorquellenden Haare in eine der tausend Kerzen, die in der Kirche standen und Flammen züngelten hindurch. Zum Glück hat sie es schnell gemerkt und das Feuer hastig ausgeklopft.

Wie war es am Baikal? Ist der See so, wie Du ihn Dir vorgestellt hast?

Insgesamt 3 Mal war ich dort. Der See ist ja sehr bekannt für seine Größe, man fühlt sich davor stehend wie am Meer. Ungefähr so hatte ich es mir auch vorgestellt. Das erste Dörfchen kam mir etwas trostlos vor, kein Mensch zu sehen, außer zwei versoffener Männer, die sich gerne mit uns unterhalten hätten. Beim zweiten Besuch, wo es auch die heiße Quelle gab, war es deutlich voller. Ich denke, typisch für die Gegend am Baikalsee ist, dass man sowohl Berge, als auch „Meer“ hat. Bei uns gibt es ja beides nur einzeln, doch der Baikalsee ist gerahmt von wunderschön bewaldeten Hügeln. Baden waren wir erst bei unserem dritten Besuch am Baikal. Das war wundervoll, der weite Blick, die Landschaft, das Gefühl, so weit weg zu sein und trotzdem alles irgendwie gar nicht so fremd. Die Sommertemperaturen waren besser auszuhalten am See, vor allem für unsere liebe Mutter.

Erzähle doch mal etwas über interessante Menschen, die Du getroffen hast.

Oh, na das fing schon sehr früh an, da Thomas sehr kontaktfreudig ist und verschiedene Bekannte und Freunde ihn immer gern besuchen möchten. An unserem zweiten Abend kam Alexej alias Ljoscha vorbei, der gerade von einer Durchquerung der Wüste Gobi kam und sich auf der Heimreise befand. Er konnte kein Englisch und wir kein Russisch, also haben wir uns nicht unterhalten. Das war aber nicht schlimm, er sah interessant genug aus, da waren spannende Erzählungen gar nicht nötig. Man sah ihm an, dass er zäh war. Außerdem war er sehr „leicht“. Aber er habe in der Wüste wohl nur 3 Kilo abgenommen.
Sehr gefreut haben wir uns darüber, Niso kennengelernt zu haben. Auch mit ihr sprachen wir keine gemeinsame Sprache, aber entweder hat Thomas übersetzt oder wir haben uns nur angelächelt und ich habe meine tollen Wortkenntnisse „Danke“, „Hallo“, „Käse“ und „Schmetterling“ angewendet. Ich glaube, wir waren uns alle sehr sympathisch. Thomas hat sich unterwegs ständig mit irgendwelchen Leuten unterhalten, die gehört haben, dass wir Ausländer sind. Meistens hatte ich keine Lust, immer wieder Smalltalk zu führen, aber Thomas schien da unermüdlich zu sein. Für alle das erste mal war die Begegnung mit einem alten Mütterchen, einer Wolga-Deutschen.
Insgesamt haben wir schon viele Bekanntschaften geschlossen dank meinem Bruderherz. Seine Institutsleiterin hat uns eingeladen und ein kleiner Enkel sprang bei ihr herum. Ihre Tochter konnte auch Deutsch sprechen und ihr Mann meinte zu uns, dass er ganz verlegen sei bei solchen Gästen. Ein Glas Wein bekamen wir auch, auf Thomas Ablehnung kam die Frage, ob er lieber etwas Stärkeres wolle. Es hat sich wohl noch nicht so rumgesprochen, dass er ohne Ausnahme Alkoholabstinenz ausübt. Den bald berühmten Opernsänger Maxim haben wir auch getroffen. Ein sympathischer junger Mann, der gerne Bier trinkt und in Deutschland studieren möchte. Belustigt zeigte er uns Bilder, die er in Deutschland gemacht hatte, unter anderem von einem schwulen Pärchen oder großen „Ob rauf oder runter, Benutzt Kondome“-Plakate. So etwas kommt wohl in Russland eher selten (bis gar nicht) vor. Schön, dass Deutschland in dieser Hinsicht schon so weit ist.

Möchtest Du nochmal nach Russland reisen? Hast Du vielleicht Lust bekommen, Russisch zu lernen?

Ja ich habe schon Lust, dieses Land mal wieder zu besuchen, vielleicht an anderen, neuen Ecken. Aber es steht bei mir nicht an vorderster Stelle. Erstmal geht es in einem Jahr ins Ausland, mal sehen, wohin es uns da verschlägt. Der asiatische Raum kommt jedenfalls in Frage, aber wir müssen auch schauen, wo wir von irgendeiner Organisation angenommen werden.
Ich finde es zwar immer faszinierend, wenn man eine eher untypische Fremdsprache sprechen kann und mit der russischen Sprache kann man sich zwar einen sehr großen Raum erschließen, aber erstmal möchte ich mein Englisch verbessern und natürlich wäre es auch schön, meine eher spärlichen Kenntnisse in Französisch nicht ganz zu verlieren. Aber wer weiß, was später kommt. Ich bin jedenfalls sehr froh, diese Reise soweit weg von meinem Heimatland gemacht haben zu dürfen und freue mich auf Einblicke in viele neue Kulturen in der Zukunft. An dieser Stelle ein großes Dankeschön an Thomas, der sich so super macht als Reiseleiter von uns unerfahrenen, bestimmt auch manchmal nervigen Frauen, immer geduldig ist und neue Ideen hat und – ganz wichtig - nie müde wird, immer alles zu übersetzen, was jemand von sich gibt.(Naja, zumindest was er für wichtig erachtet ;) ) Danke, dass du uns dies ermöglicht hast. 


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