Ein intelligent
aussehender junger Mann betritt den Waggon, mit einem CD-Spieler und
einer Querflöte in der Hand. Er stellt das Gerät auf der vordersten
Sitzbank neben einer älteren Frau ab, schaltet es ein, setzt sein
Instrument an die Lippen und beginnt eine Melodie zu spielen, während
aus dem Lautsprecher das Hintergrundorchester tönt. Musiker in einem
Moskauer Vorortzug, einer Elektritschka – durchaus ein übliches
Ereignis. Um vom Flughafen Domodedovo bis zum Paveletsker Bahnhof zu
kommen in der Innenstadt, haben wir uns für die Elektritschka
entschieden, 120 Rubel pro Person, statt für den dreimal so teuren
Aero-Express, und nehmen dafür auch gern in Kauf, dass der Zug an
jeder kleinen Station hält und doppelt so lange unterwegs ist, eine
Stunde und 15 Minuten.
In der U-Bahn-Station
Kurskaja: wir stehen auf der Rolltreppe, die uns Richtung Ausgang
bringt, und hören aus der vor uns liegenden unterirdischen Halle
anwachsende klassische Klänge. Musiker in der Metro! Das ist
illegal, so viel ich weiß, lange werden sie wohl nicht dort sitzen.
Eine Geigerin und ein Gitarrist sind es, wie sich herausstellt, sie
spielen mit Verstärker, sitzen auf einem roten Teppich an der Wand,
und ein paar Schritte weiter lehnt ein Polizist lässig an einer
Säule und hört zu. Ich bin verwirrt – es macht nicht den
Eindruck, als ob er sie jeden Moment wegjagen wird. Hinter den
Musikern an der Wand sehen ich schließlich ein offizielles Schild:
Unentgeltlicher Auftritt, Vergütung nach Ermessen des Publikums. Ich
bin begeistert und fühle mich an Berlin erinnert: hat also Moskau
nun auch das Musizieren in den U-Bahnhöfen gestattet! Der Gitarrist
gibt mir Auskunft: es gab ein Probespielen, nach welchem die Musiker
ausgewählt wurden; das ist anders als in der deutschen Hauptstadt, wo
man lediglich eine Genehmigung kaufen muss. - An einem Touristeninfo-Schalter lasse ich mir eine Wegdarstellung zu unserem Hostel ausdrucken. Noch vor zwei Jahren wäre das ein Ding der Unmöglichkeit gewesen. Moskau entwickelt sich, wird schick und modern - spätestens zur Fußball-WM 2018 will die Stadt der Welt zeigen, dass sie westlichen Hauptstädten in nichts nachsteht.
Mit Mutter und Schwester
bewegen wir uns auf den Roten Platz zu, das Zentrum Moskaus
schlechthin. Schon aus großer Entfernung wehen uns die pathetischen
Klänge der russischen Nationalhymne entgegen. Erhebender kann die
Annäherung an das Herz Russlands, an Kreml, GUM und
Basilius-Kathedrale nicht sein. Der Platz ist durch Metallzäune und
hunderte Polizisten abgesperrt, wir erleben marschierende Kadetten,
eine Militärparade. Ist denen das nicht peinlich, fragt meine
Schwester, so im Gleichschritt zu laufen, das ist doch total albern.
Aber wieso denn, kläre ich sie auf, der Heimat dienen, das Vaterland
verteidigen, Glied eines Großen Ganzen sein, Muskeln und Macht zeigen, das sind Werte hier,
das ist Russland.
Wir umrunden den Kreml,
anderntags spazieren wir vorbei am gigantomanischen Gebäude der
Lomonossov-Universität – bis 1990 das höchste Gebäude Europas –
und schauen uns Moskau von den Sperlingsbergen aus von oben an. Heute
fliegen wir zurück nach Deutschland, für mich beginnen drei Wochen
Heimaturlaub - meine Leser begrüße ich an dieser Stelle wieder im
August.