Freitag, 15. Juli 2016

Mit Musik durch Moskau

Ein intelligent aussehender junger Mann betritt den Waggon, mit einem CD-Spieler und einer Querflöte in der Hand. Er stellt das Gerät auf der vordersten Sitzbank neben einer älteren Frau ab, schaltet es ein, setzt sein Instrument an die Lippen und beginnt eine Melodie zu spielen, während aus dem Lautsprecher das Hintergrundorchester tönt. Musiker in einem Moskauer Vorortzug, einer Elektritschka – durchaus ein übliches Ereignis. Um vom Flughafen Domodedovo bis zum Paveletsker Bahnhof zu kommen in der Innenstadt, haben wir uns für die Elektritschka entschieden, 120 Rubel pro Person, statt für den dreimal so teuren Aero-Express, und nehmen dafür auch gern in Kauf, dass der Zug an jeder kleinen Station hält und doppelt so lange unterwegs ist, eine Stunde und 15 Minuten.

In der U-Bahn-Station Kurskaja: wir stehen auf der Rolltreppe, die uns Richtung Ausgang bringt, und hören aus der vor uns liegenden unterirdischen Halle anwachsende klassische Klänge. Musiker in der Metro! Das ist illegal, so viel ich weiß, lange werden sie wohl nicht dort sitzen. Eine Geigerin und ein Gitarrist sind es, wie sich herausstellt, sie spielen mit Verstärker, sitzen auf einem roten Teppich an der Wand, und ein paar Schritte weiter lehnt ein Polizist lässig an einer Säule und hört zu. Ich bin verwirrt – es macht nicht den Eindruck, als ob er sie jeden Moment wegjagen wird. Hinter den Musikern an der Wand sehen ich schließlich ein offizielles Schild: Unentgeltlicher Auftritt, Vergütung nach Ermessen des Publikums. Ich bin begeistert und fühle mich an Berlin erinnert: hat also Moskau nun auch das Musizieren in den U-Bahnhöfen gestattet! Der Gitarrist gibt mir Auskunft: es gab ein Probespielen, nach welchem die Musiker ausgewählt wurden; das ist anders als in der deutschen Hauptstadt, wo man lediglich eine Genehmigung kaufen muss. - An einem Touristeninfo-Schalter lasse ich mir eine Wegdarstellung zu unserem Hostel ausdrucken. Noch vor zwei Jahren wäre das ein Ding der Unmöglichkeit gewesen. Moskau entwickelt sich, wird schick und modern - spätestens zur Fußball-WM 2018 will die Stadt der Welt zeigen, dass sie westlichen Hauptstädten in nichts nachsteht.

Mit Mutter und Schwester bewegen wir uns auf den Roten Platz zu, das Zentrum Moskaus schlechthin. Schon aus großer Entfernung wehen uns die pathetischen Klänge der russischen Nationalhymne entgegen. Erhebender kann die Annäherung an das Herz Russlands, an Kreml, GUM und Basilius-Kathedrale nicht sein. Der Platz ist durch Metallzäune und hunderte Polizisten abgesperrt, wir erleben marschierende Kadetten, eine Militärparade. Ist denen das nicht peinlich, fragt meine Schwester, so im Gleichschritt zu laufen, das ist doch total albern. Aber wieso denn, kläre ich sie auf, der Heimat dienen, das Vaterland verteidigen, Glied eines Großen Ganzen sein, Muskeln und Macht zeigen, das sind Werte hier, das ist Russland.

Wir umrunden den Kreml, anderntags spazieren wir vorbei am gigantomanischen Gebäude der Lomonossov-Universität – bis 1990 das höchste Gebäude Europas – und schauen uns Moskau von den Sperlingsbergen aus von oben an. Heute fliegen wir zurück nach Deutschland, für mich beginnen drei Wochen Heimaturlaub - meine Leser begrüße ich an dieser Stelle wieder im August.