Montag, 29. Februar 2016

Glaubensgemeinschaften in Ulan-Ude



Neben zahlreichen russisch-orthodoxen Kirchen und buddhistischen Tempeln, genannt Dazane, gibt es eine bunte Vielzahl weiterer Glaubensgemeinschaften in Ulan-Ude. Mehrere evangelische Kirchen der Pfingstbewegung sind zu finden, wo es statt Altar eine Bühne mit Technik gibt, die mich eher an ein Rockkonzert als an einen Gottesdienst erinnert. Einmal war ich dabei, als sich die kleine Bahai-Gemeinde im angemietenen Konferenzraum eines Hotels traf. In einer baptistischen Kirche ist schon seit mehreren Jahren ein jüngeres Schweizer Ehepaar tätig. Im Sommer sah ich bunt gekleidete, fröhlich singende Hare-Krishna-Anhänger durch die Straßen laufen, und zwei junge Mormonen, schick gekleidete Amerikaner in Anzug und Krawatte, sprachen mich an und erzählten mir von Jesus` Wirken in Amerika. An diesem Wochenende hatte ich Gelegenheit, zwei weitere Kirchen zu besuchen, jeder auf ihre Art für Ulan-Ude etwas Besonderes.
In der Nähe des Jubiläums-Parkes, unweit des republikanischen Kinderkrankenhauses, erhebt sich in strahlendem Weiß das moderne Gebäude der polnischen Katholischen Kirche. Während sich russisch-orthodoxe Kirchen eher am Quadrat als Grundmaß orientieren, liegt der aufstrebenden Bauweise westlicher Sakralbauten die Idee des Goldenen Schnittes zugrunde. Außerdem fällt sofort ins Auge, dass das Kreuz nur aus zwei Elementen besteht, der schräge untere Balken fehlt. Beim Abendgottesdienst war ich, von den drei Ordensschwestern abgesehen, einer von nur vier Besuchern. Der Innenraum der Kirche beeindruckte mich mit seiner hellen Klarheit und Reinheit, der Blick verliert sich nicht in den Details von hunderten Ikonendarstellungen, man kann sich hinsetzen und es gibt eine Orgel – ich fühlte mich fast heimisch. Als Vater Adam, der Priester, anhub zu sprechen, brauchte ich einen Moment, um zu begreifen, dass es nicht Polnisch war, sondern nur Russisch mit starkem polnischem Akzent: aus fast jedem „s“ machte er ein „sch“. Vor dem Ausgang sprach mich Schwester Erika an, offensichtlich erfreut über das neue Gesicht in ihrer Kirche. Sie ist eine von drei aus Polen stammenden Dominikaner-Nonnen der Gemeinde und lud mich ein, mal mit dem Cello wiederzukommen.
Etwas stadtauswärts hinter dem russischen Dramatheater, dort, wo das Denkmal mit den drei Pferden mitten auf der Straße steht, gibt es eine neu renovierte, helle Steinkirche mit blauem Dach, die sich von außen in nichts von anderen russisch-orthodoxen Kirchen unterscheidet. Auch innen sieht es zunächst ähnlich aus: der Blick auf den Altar wird durch die Ikonostase, die Ikonenwand, versperrt, im Raum stehen Aufsteller mit langen dünnen Kerzen vor den Ikonen und die Gläubigen stehen, nur für Gebrechliche stehen Bänke an den Seiten. Wohnt man aber einem Gottesdienst bei, fällt auf, dass sich die Menschen nicht nur bekreuzigen und verneigen, sondern sich ganz auf den Boden werfen und ihn mit der Stirn berühren, wobei sie schnell ein kleines quadratisches Tuch zwischen diese und den Untergrund legen, das sie die ganze Zeit in der Hand halten. An der Wand neben dem Eingang hängt eine Darstellung, wie das Kreuzzeichen mit den Fingern richtig zu machen ist: ausgestreckt werden nur Zeige- und Mittelfinger, der Daumen wird gegen die beiden übrigen Finger gelegt.
Die Kirche ist eine Gemeinde der Altgläubigen, eine Bewegung, die im Jahre 1666 eine Reform der orthodoxen Kirche verweigert und sich von dieser abgespalten hat. Diese Kirchenspaltung, Raskol genannt, ist ein trauriges und blutiges Kapitel in der russischen Geschichte, die Altgläubigen wurden erbarmungslos verfolgt und zogen sich in die Tiefen Sibiriens zurück – aus heutiger Sicht sicher kaum nachzuvollziehen, es ging um Formalien des Ritus, zum Beispiel darum, mit wie vielen Fingern man sich bekreuzigt, aber anscheinend steckte hinter diesen Äußerlichkeiten etwas ganz Wesentliches. Erst im letzten Jahrhundert hob die Moskauer Großkirche den Bann über den altrussischen Ritus auf.
Als nach fast drei Stunden immer noch kein Ende des Gottesdienstes abzusehen war, beschloss ich, zu gehen und bewunderte die Gläubigen insgeheim für ihre Demut und Geduld, die sich im ewig langen Stehenkönnen ausdrückt. In dem kleinen zur Kirche gehörenden Geschäft kaufte ich Weihrauchkügelchen und extra dafür zum Anzünden gedachte Holzkohle. Ich finde das Ritual des Räucherns schön und liebe den Geruch, er erinnert mich an meine eigene Zeit als Ministrant im Gottesdienst der Christengemeinschaft, der Kirche, in der ich getauft und konfirmiert bin.

Die katholische Kirche in Ulan-Ude
Die Kirche der Altgläubigen mit Erklärungen, wie die Finger beim Kreuzeszeichen richtig zu halten sind (unten)