Samstag, 13. Februar 2016

Wo das neue Jahr im Februar beginnt

Der letzte Dienstag war ein wichtiger Feiertag: Sagaalgan, der Beginn des neuen Jahres nach dem „östlichen Kalender“, nach der mongolisch-buddhistischen Tradition. Das Fest hat für Burjaten eine noch größere Bedeutung als das Neujahrsfest am 31. Dezember, mit Sagaalgan beginnt der sogenannte „Weiße Monat“ und es wird ein neues Tier-Jahr eingeleitet, das „Jahr des Affen“. 12 Tier-Jahre lösen einander ab, das vergangene war das „Jahr des Schafes“ – wie übrigens auch mein Geburtsjahr.
Trotz Feiertag musste ich kurz ins Institut, etwas aus dem Büro holen. Es war abgeschlossen, aber nach meinem Klingeln wurde mir die Tür geöffnet von einem der Wächter, die in 24-Stunden-Schichten dort ihren Dienst verrichten. Ich wünschte ihm alles Gute zum Fest und wollte die Treppe hinaufspringen, doch er stellte sich mir in den Weg.
„Heute ist Feiertag, da braucht man eine Sondergenehmigung, wenn man reinwill“, meinte er.
„Na so was“, antwortete ich mit etwas gespielter Ratlosigkeit, „was mache ich denn da bloß?“ Da ich mir in der Woche gern Zeit für einen kleinen Plausch nehme und er mich gut kannte, wusste ich, dass das bestimmt nicht sein letztes Wort war.
„Wenn ich Deutscher wäre, würde ich Sie nicht durchlassen“, sagte der ältere Mann, „bei euch ist doch alles nach Gesetz und Regel, oder?“ Er machte eine Pause, grinste und trat dann mit einer einladenden Handbewegung zur Seite. „Aber die russische Seele ist großzügig. Kommen Sie rein!“

Anlässlich von Sagaalgan fand ein lautstarkes Spektakel auf dem zentralen Platz statt. Es wurden Posy verkauft, die traditionellen burjatischen fleischgefüllten Teigtaschen, zum Anti-Krisen-Preis von nur 15 Rubel das Stück mit kostenlosem Tee dazu, der Bürgermeister hielt eine Ansprache, die Kinder vergnügten sich beim Filzstiefel-Weitwurf und als Höhepunkt tanzten die Massen vor dem Operntheater Jóchor, den burjatischen Volkstanz. Minus zehn Grad hielten niemanden vom Feiern ab, wer fror, schlüpfte in eine der beheizten Jurten und nahm einen Imbiss zu sich.

Vorgestern Abend wollte ich eine Flasche Wein kaufen. Das kommt etwa zweimal im Jahr vor – nämlich dann, wenn ich gebeten werde, irgendwohin eine mitzubringen, da ich selbst keinen Alkohol trinke. Ich stand eine Weile grübelnd vor dem Weinregal und wunderte mich, dass keinerlei trockener Weißwein zu finden war (ist in Russland viel weniger üblich), als mich eine Verkäuferin darauf hinwies, dass die Wein-Wodka-Abteilung schon geschlossen sei. Natürlich, das hatte ich vergessen: nach 21 Uhr wird landesweit kein Alkohol mehr verkauft. Das ist er, der Kampf um die Gesundheit der Nation – Zigaretten sind aus den Auslagen verschwunden und die Schachteln mit grusligen Bildern versehen, der Staat finanziert den Bau riesiger Sport- und Schwimmhallen, eine davon hier in Ulan-Ude. „ ‚Wir tun alles, damit Sport ein Teil des Lebens jeder russischen Familie wird.‘ – W.W. Putin“ steht in überdimensionalen Lettern von innen an der Wand.
Mit der anderntags gekauften Weinflasche ging ich zu einer Feier mit Kollegen des Lehrstuhles, stattfindend in der großen Wohnung unserer neuen österreichischen Praktikantin Natalja. Ich lernte, wie man Posy und Pelmeni mit der Hand selbst herstellt und probierte Salamat, eine burjatische weiße Speise aus Sahne und Mehl, die in der Pfanne zubereitet wird. Essend, trinkend und redend saßen wir von 15 bis 19 Uhr am Tisch, wenn auf diese Art Vertrautheit hergestellt und erhalten wird, arbeitet es sich dann am Institut auch leichter zusammen.

Verkauf von Posy und anderen Leckereien zum Sagaalgan-Fest
Wer friert, geht in eine der beheizten Jurten. Frauen in edlen Pelzmänteln - im russischen Winter ein alltäglicher Anblick
Posy selbst gemacht - auf der Sagaalgan-Feier mit Arbeitskollegen. In der Mitte: unsere neue Praktikantin Natalja aus Wien