Der letzte Dienstag war ein wichtiger
Feiertag: Sagaalgan, der Beginn des
neuen Jahres nach dem „östlichen Kalender“, nach der mongolisch-buddhistischen
Tradition. Das Fest hat für Burjaten eine noch größere Bedeutung als das
Neujahrsfest am 31. Dezember, mit Sagaalgan
beginnt der sogenannte „Weiße Monat“ und es wird ein neues Tier-Jahr
eingeleitet, das „Jahr des Affen“. 12 Tier-Jahre lösen einander ab, das
vergangene war das „Jahr des Schafes“ – wie übrigens auch mein Geburtsjahr.
Trotz Feiertag musste ich kurz ins Institut,
etwas aus dem Büro holen. Es war abgeschlossen, aber nach meinem Klingeln wurde
mir die Tür geöffnet von einem der Wächter, die in 24-Stunden-Schichten dort
ihren Dienst verrichten. Ich wünschte ihm alles Gute zum Fest und wollte die
Treppe hinaufspringen, doch er stellte sich mir in den Weg.
„Heute ist Feiertag, da braucht man eine
Sondergenehmigung, wenn man reinwill“, meinte er.
„Na so was“, antwortete ich mit etwas
gespielter Ratlosigkeit, „was mache ich denn da bloß?“ Da ich mir in der Woche
gern Zeit für einen kleinen Plausch nehme und er mich gut kannte, wusste ich,
dass das bestimmt nicht sein letztes Wort war.
„Wenn ich Deutscher wäre, würde ich Sie nicht
durchlassen“, sagte der ältere Mann, „bei euch ist doch alles nach Gesetz und
Regel, oder?“ Er machte eine Pause, grinste und trat dann mit einer einladenden
Handbewegung zur Seite. „Aber die russische Seele ist großzügig. Kommen Sie
rein!“
Anlässlich von Sagaalgan fand ein lautstarkes Spektakel auf dem zentralen Platz
statt. Es wurden Posy verkauft, die
traditionellen burjatischen fleischgefüllten Teigtaschen, zum Anti-Krisen-Preis
von nur 15 Rubel das Stück mit kostenlosem Tee dazu, der Bürgermeister hielt
eine Ansprache, die Kinder vergnügten sich beim Filzstiefel-Weitwurf und als
Höhepunkt tanzten die Massen vor dem Operntheater Jóchor, den burjatischen Volkstanz. Minus zehn Grad hielten
niemanden vom Feiern ab, wer fror, schlüpfte in eine der beheizten Jurten und
nahm einen Imbiss zu sich.
Vorgestern Abend wollte ich eine Flasche Wein
kaufen. Das kommt etwa zweimal im Jahr vor – nämlich dann, wenn ich gebeten
werde, irgendwohin eine mitzubringen, da ich selbst keinen Alkohol trinke. Ich
stand eine Weile grübelnd vor dem Weinregal und wunderte mich, dass keinerlei
trockener Weißwein zu finden war (ist in Russland viel weniger üblich), als
mich eine Verkäuferin darauf hinwies, dass die Wein-Wodka-Abteilung schon
geschlossen sei. Natürlich, das hatte ich vergessen: nach 21 Uhr wird
landesweit kein Alkohol mehr verkauft. Das ist er, der Kampf um die Gesundheit
der Nation – Zigaretten sind aus den Auslagen verschwunden und die Schachteln
mit grusligen Bildern versehen, der Staat finanziert den Bau riesiger Sport-
und Schwimmhallen, eine davon hier in Ulan-Ude. „ ‚Wir tun alles, damit Sport ein Teil des Lebens jeder russischen Familie
wird.‘ – W.W. Putin“ steht in überdimensionalen Lettern von innen an der
Wand.
Mit der anderntags gekauften Weinflasche ging
ich zu einer Feier mit Kollegen des Lehrstuhles, stattfindend in der großen
Wohnung unserer neuen österreichischen Praktikantin Natalja. Ich lernte, wie
man Posy und Pelmeni mit der Hand selbst herstellt und probierte Salamat, eine burjatische weiße Speise
aus Sahne und Mehl, die in der Pfanne zubereitet wird. Essend, trinkend und
redend saßen wir von 15 bis 19 Uhr am Tisch, wenn auf diese Art Vertrautheit
hergestellt und erhalten wird, arbeitet es sich dann am Institut auch leichter zusammen.
Verkauf von Posy und anderen Leckereien zum Sagaalgan-Fest |
Wer friert, geht in eine der beheizten Jurten. Frauen in edlen Pelzmänteln - im russischen Winter ein alltäglicher Anblick |
Posy selbst gemacht - auf der Sagaalgan-Feier mit Arbeitskollegen. In der Mitte: unsere neue Praktikantin Natalja aus Wien |