Dienstag, 23. Februar 2016

Ein Kammerkonzert



Meine neue Kollegin Natalia aus Wien (anders, als der Name vermuten lässt, keine Russin) spricht fast Hochdeutsch. Sie sagt, der Wiener Dialekt ist kaum verbreitet. Manchmal aber schmücken lustige Wörter ihre Rede, wenn sie zum Beispiel ihre Haube im Café liegenlassen und zu wenig Gewand mitgenommen hat, sich vor einiger Zeit ins Masterstudium inskribierte, oft mit der Bim fährt und gern Palatschinken isst. Dann muss ich erst überlegen und nachfragen, um herauszubekommen, dass sie Mütze, Kleidung, eingeschrieben, Straßenbahn und Pfannkuchen/Eierkuchen meint.
Ein ganz besonderer Höhepunkt war das Kammerkonzert mit Maxim (Bassgesang),meiner amerikanischen Kollegin Carolyn (Klavier) und mir am Cello am letzten Samstag. Wir traten im Kammermusiksaal des Tschaikovski-Colleges für Kunst auf und hatten 35 Zuhörer, meistens Studenten und Lehrkräfte aus meinem Institut, die Carolyn und ich eingeladen hatten. Maxim hatte uns den Raum organisiert, da er am College arbeitet; offiziell angemeldet war die Veranstaltung nicht. Während wir kurz vor Beginn alles schön herrichteten und eine Ecke mit Tee und Gebäck aufbauten, donnerte ein Pianist im Nachbarraum die Revolutionsetüde von Chopin herunter und durchdringende Querflötentöne drangen von einer im Gang vor unserer Tür übenden Studentin zu uns. Als unser Konzert begann, waren zum Glück beide fertig.
Auf dem Programm standen die erste Suite für Cello Solo von Bach und vier romantische Lieder von Massenet, Verdi, Glinka und Borodin. „Bach ist vielleicht eine typisch deutsche Musik“, stimmte ich das Publikum ein, „ernsthaft, gemäßigt im Ausdruck und streng in der Form. Mir liegt sie sehr, der Komponist hat in meiner Heimatstadt Leipzig gelebt und gearbeitet. – Die Lieder gehören einer anderen Epoche an, unübertroffen im Ausdruck von Emotionen natürlich die beiden russischen Stücke…“, was eigentlich nicht ganz meine Meinung war, aber ich wollte dem Nationalstolz des Publikums gern ein wenig schmeicheln. Die Bach-Suite begleitet mich seit 20 Jahren und eigentlich spiele ich sie sicher auswendig – am Schluss verlor ich trotzdem komplett den Faden, improvisierte ein paar Takte und endete feierlich und mit zufriedenem Gesichtsausdruck auf dem Grundton. Niemand merkte etwas. – Am besten kamen natürlich die vier Lieder an. Für Carolyn und mich war es eine gewisse Herausforderung, Maxim zu begleiten, der an manchen Stellen sehr frei sang, mit überraschenden Riterdandi und unberechenbaren Beschleunigungen – die russische Seele lässt sich eben nicht in einem Korsett deutscher Genauigkeit einsperren, dachte ich mir und nahm es mit Humor. Für Ulan-Ude war unser Konzert etwas ganz Besonderes. „Cello solo habe ich nur einmal vor vielen Jahren in Moskau gehört“, meinte eine sehr gerührte alte Dame zu mir hinterher.
Eine russische Bildungseinrichtung vom Typ College ist eine Mischung aus Berufsschule und Fachgymnasium: man erwirbt eine Hochschulzugangsberechtigung ähnlich dem deutschen Fachabitur, die auch noch gleichzeitig als abgeschlossene Berufsausbildung gilt. Da Maxim am Freitag die Stadt Richtung Europa verlässt, war unser Auftritt in dieser Dreierkombination leider der erste und auch letzte.

Nach Konzert und Teetrinken: Gruppenfoto mit dem Publikum