Neben zahlreichen russisch-orthodoxen Kirchen und
buddhistischen Tempeln, genannt Dazane,
gibt es eine bunte Vielzahl weiterer Glaubensgemeinschaften in Ulan-Ude.
Mehrere evangelische Kirchen der Pfingstbewegung
sind zu finden, wo es statt Altar eine Bühne mit Technik gibt, die mich eher an
ein Rockkonzert als an einen Gottesdienst erinnert. Einmal war ich dabei, als
sich die kleine Bahai-Gemeinde im
angemietenen Konferenzraum eines Hotels traf. In einer baptistischen Kirche ist schon seit mehreren Jahren ein jüngeres
Schweizer Ehepaar tätig. Im Sommer sah ich bunt gekleidete, fröhlich singende Hare-Krishna-Anhänger durch die Straßen
laufen, und zwei junge Mormonen,
schick gekleidete Amerikaner in Anzug und Krawatte, sprachen mich an und
erzählten mir von Jesus` Wirken in Amerika. An diesem Wochenende hatte ich
Gelegenheit, zwei weitere Kirchen zu besuchen, jeder auf ihre Art für Ulan-Ude
etwas Besonderes.
In der Nähe des Jubiläums-Parkes,
unweit des republikanischen Kinderkrankenhauses, erhebt sich in strahlendem
Weiß das moderne Gebäude der polnischen Katholischen
Kirche. Während sich russisch-orthodoxe Kirchen eher am Quadrat als
Grundmaß orientieren, liegt der aufstrebenden Bauweise westlicher Sakralbauten
die Idee des Goldenen Schnittes zugrunde. Außerdem fällt sofort ins Auge, dass
das Kreuz nur aus zwei Elementen besteht, der schräge untere Balken fehlt. Beim
Abendgottesdienst war ich, von den drei Ordensschwestern abgesehen, einer von
nur vier Besuchern. Der Innenraum der Kirche beeindruckte mich mit seiner
hellen Klarheit und Reinheit, der Blick verliert sich nicht in den Details von
hunderten Ikonendarstellungen, man kann sich hinsetzen und es gibt eine Orgel –
ich fühlte mich fast heimisch. Als Vater Adam, der Priester, anhub zu sprechen,
brauchte ich einen Moment, um zu begreifen, dass es nicht Polnisch war, sondern
nur Russisch mit starkem polnischem Akzent: aus fast jedem „s“ machte er ein
„sch“. Vor dem Ausgang sprach mich Schwester Erika an, offensichtlich erfreut
über das neue Gesicht in ihrer Kirche. Sie ist eine von drei aus Polen
stammenden Dominikaner-Nonnen der Gemeinde und lud mich ein, mal mit dem Cello
wiederzukommen.
Etwas stadtauswärts hinter dem
russischen Dramatheater, dort, wo das Denkmal mit den drei Pferden mitten auf
der Straße steht, gibt es eine neu renovierte, helle Steinkirche mit blauem
Dach, die sich von außen in nichts von anderen russisch-orthodoxen Kirchen
unterscheidet. Auch innen sieht es zunächst ähnlich aus: der Blick auf den
Altar wird durch die Ikonostase, die Ikonenwand, versperrt, im Raum stehen
Aufsteller mit langen dünnen Kerzen vor den Ikonen und die Gläubigen stehen,
nur für Gebrechliche stehen Bänke an den Seiten. Wohnt man aber einem
Gottesdienst bei, fällt auf, dass sich die Menschen nicht nur bekreuzigen und
verneigen, sondern sich ganz auf den Boden werfen und ihn mit der Stirn
berühren, wobei sie schnell ein kleines quadratisches Tuch zwischen diese und
den Untergrund legen, das sie die ganze Zeit in der Hand halten. An der Wand
neben dem Eingang hängt eine Darstellung, wie das Kreuzzeichen mit den Fingern
richtig zu machen ist: ausgestreckt werden nur Zeige- und Mittelfinger, der
Daumen wird gegen die beiden übrigen Finger gelegt.
Die Kirche ist eine Gemeinde der Altgläubigen, eine Bewegung, die im
Jahre 1666 eine Reform der orthodoxen Kirche verweigert und sich von dieser
abgespalten hat. Diese Kirchenspaltung, Raskol
genannt, ist ein trauriges und blutiges Kapitel in der russischen Geschichte,
die Altgläubigen wurden erbarmungslos verfolgt und zogen sich in die Tiefen
Sibiriens zurück – aus heutiger Sicht sicher kaum nachzuvollziehen, es ging um
Formalien des Ritus, zum Beispiel darum, mit wie vielen Fingern man sich
bekreuzigt, aber anscheinend steckte hinter diesen Äußerlichkeiten etwas ganz
Wesentliches. Erst im letzten Jahrhundert hob die Moskauer Großkirche den Bann
über den altrussischen Ritus auf.
Als nach fast drei Stunden immer
noch kein Ende des Gottesdienstes abzusehen war, beschloss ich, zu gehen und
bewunderte die Gläubigen insgeheim für ihre Demut und Geduld, die sich im ewig
langen Stehenkönnen ausdrückt. In dem kleinen zur Kirche gehörenden Geschäft
kaufte ich Weihrauchkügelchen und extra dafür zum Anzünden gedachte Holzkohle.
Ich finde das Ritual des Räucherns schön und liebe den Geruch, er erinnert mich
an meine eigene Zeit als Ministrant im Gottesdienst der Christengemeinschaft,
der Kirche, in der ich getauft und konfirmiert bin.
Die katholische Kirche in Ulan-Ude |
Die Kirche der Altgläubigen mit Erklärungen, wie die Finger beim Kreuzeszeichen richtig zu halten sind (unten) |