Der unsichtbare Feind ist angekommen: die Statistik
meldet acht Coronavirus-Fälle in Ulan-Ude. Bildungseinrichtungen, Restaurants,
Sport- und Freizeitstätten bleiben geschlossen. Putin hat ab heute eine
arbeitsfreie Woche ausgerufen. Das im April geplante Referendum über eine
Verfassungsänderung, die es ihm ermöglicht, auf Lebenszeit im Amt zu bleiben,
wurde verschoben. Ob wohl auch die heiligste aller staatlichen Zeremonien
ausfallen wird, die Parade am neunten Mai zum fünfundsiebzigjährigen
Siegesjubiläum?
Das Oberhaupt Burjatiens ruft alle
Bürger auf, zuhause zu bleiben und bittet auch darum, die Stadt nicht zu
verlassen, um das Virus nicht in der ganzen Republik zu verbreiten. Ich muss
seine Worte ignorieren und nach Jelan zu den Schwiegereltern fahren, um Frau
und Kind zu holen. Niso und Maja waren eine knappe Woche auf dem Dorf. Die
landestypische Ernährung, von der sie schon etwas entwöhnt sind – dreimal am
Tag Fleisch im Wechsel mit Süßigkeiten und Schwarztee – hat eine ordentliche
Magenverstimmung der beiden zur Folge. Entkräftet und mit Bauchschmerzen liegen
sie nun im Schlafzimmer, während ich das achte und neunte Paket mit Büchern,
Kleidung, Spielen und Dokumenten zum Abschicken nach Deutschland packe.
Hoffentlich hat die Post geöffnet.
Mein Schwiegervater Nikolai, der in einem
Milchviehbetrieb arbeitet, sattelt für Niso und mich ein friedliches weißes
Pferd und lässt uns nacheinander eine Runde reiten. Los geht’s, sagt Nikolai, drückt
mir die Zügel in die Hand und weist mit einer Armbewegung auf den Horizont der
weiten Steppe, so weit und so lange ich wolle. Auf Pferden reiten, das habe er
nach der Übersiedlung aus Tadschikistan auch nicht gleich gekonnt, in seiner
Heimat sei man mehr auf Eseln unterwegs.
Meine Entsendeorganisation fordert alle Kollegen
auf, gut zu überlegen, ob wir wirklich in den Gastländern bleiben wollen, wo
doch der weitere Verlauf der Corona-Krise höchst ungewiss sei, oder nicht doch
lieber in die deutsche Heimat zurückkehren und unseren Lehrverpflichtungen online
nachkommen wollen. Russland hat allerdings inzwischen alle Flugverbindungen ins
Ausland komplett eingestellt. Das deutsche Auswärtige Amt führt Rückholaktionen
für Deutsche aus verschiedenen Ländern durch. Russland ist noch nicht darunter.
Ehe eine vorzeitige Ausreise für mich in Betracht kommt, müssten Niso und Maja
ihre bereits beantragten Visa bekommen. Schließlich wollen wir als Familie
zusammen übersiedeln.
In der letzten Woche konnte ich den Arbeitsplatz
noch aufsuchen. Nun ist auch dies nicht mehr möglich, die Uni ist nicht nur für
Studenten, sondern auch für alle Mitarbeiter geschlossen. Am Freitag habe ich mein
Büro so hinterlassen, dass es ein Nachfolger im Herbst ordentlich vorfindet,
auch wenn ich es nicht mehr betreten sollte. Für alle Fälle.
Obwohl die Statistik über tausend Corona-Infizierte
in Russland ausweist, ist bisher nur von zwei Toten die Rede. Man stirbt nicht
an Corona hierzulande, dafür geht die Zahl der Lungenentzündungs-Opfer in die
Höhe.